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Mille Fleurs, Baby!

Filmtagebuch

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o.k.


o.k.

Will einer den Goldzahn?


1970. Der Vietnamkrieg tobt immer noch mit amerikanischer Beteiligung und Hollywood hat immer noch nichts zu diesem Krieg zu sagen. John Waynes „The Green Berets“ (1968) kann kaum als ernsthafter Beitrag gewertet werden, zu sehr steht die plumpe Propaganda im Vordergrund. Die Heimkehrerfilme und die Kriegsdramen lassen noch auf sich warten, lediglich die „Critical Western“ verweisen im Subtext – mal mehr, mal weniger gekonnt – auf den Krieg. Wenn zum Beispiel am Ende des berüchtigten „Soldier Blue“ die Kavallerie ein Indianerdorf niedermacht, Frauen und Kinder massakriert, dann ist das nicht nur eine Abkehr von einer Genrekonvention (die Kavallerie als Heldentrupp mit Trompeten-Fanfare und gelbem Halstuch), sondern auch ein Verweis auf die realen Gräueltaten im fernen Vietnam, namentlich das Massaker von My Lai, bei dem amerikanische Soldaten 500 Zivilisten bestialisch ermordeten.
Dass sich in diesem Jahr ausgerechnet ein deutscher Film mit dem Krieg beschäftigt (genauer: mit einem Verbrechen, das Ostern 1966 stattfand), ist bereits ungewöhnlich, aber „o.k.“ ist noch aus anderen Gründen ein interessantes Kuriosum der Filmgeschichte. Einerseits ist der Film in seiner Machart nahezu einzigartig, andererseits war er Anlass für einen beispiellosen Skandal (dazu später mehr).


V-Effekt

Die herausragende Besonderheit des Filmes ist, dass er auf eine Theater-Theorie Brechts zurückgreift, nämlich den „Verfremdungseffekt“. Dabei wird – vereinfacht gesagt – der bekannte Ablauf und Aufbau eines Theaterstücks aufgebrochen, der Zuschauer wird angesprochen, soll aus seiner passiv-konsumierenden Haltung herausgerissen werden, kritisches Bewusstsein soll geweckt werden. Der Verzicht auf Bühnenbild und Ausstattung oder die Unterbrechung des Stückes für Lieder oder Anreden des Publikums sind Beispiele für diese Verfremdung. Wie man dieser Methode grundsätzlich gegenübersteht ist unerheblich – aber wenn man „o.k.“ möglichst neutral bewerten will, muss man daran denken, dass der Film auf diesen Verfremdungseffekt zurückgreift und daher weniger als klassischer Kriegsfilm, sondern mehr als abgefilmtes Theater zu verstehen ist.
Ohne diese Erkenntnis bleibt der Film zwar verständlich, wird dem Zuschauer aber unweigerlich als lächerliche Farce erscheinen. Schon der Prolog dürfte irritieren: Man sieht Schauspieler in einem Raum mit Requisiten; sie stellen sich mit Name, Familienstand und militärischem Status vor; sie erläutern kurz die Ausgangssituation der Handlung; dazwischen mäandert die Kamera ziellos im Raum herum, während Gesprächsfetzen zu hören sind. Diese Einleitung ist der vielleicht einzige, wirkliche Schwachpunkt des Filmes, weil sie zwar kurzweilig anzuschauen ist, der Film aber nicht auf sie angewiesen ist. Diejenigen Zuschauer, die mit der ungewöhnlichen Umsetzung des Filmes keine Schwierigkeiten haben, erfahren hier nichts, was sie nach wenigen Sekunden des eigentlichen Filmes nicht von alleine gemerkt hätten, und diejenigen, die sich nicht auf die Besonderheiten des Filmes einlassen wollen, werden bereits durch die Einführung zu einer ablehnenden Haltung getrieben. Nun muss es zwar nicht zum Selbstverständnis eines Regisseurs gehören, es unbedingt jedem recht zu machen, aber es ist dennoch schade, wenn sich ein so bemerkenswerter Film wie „o.k.“ gleich zu Beginn selbst Steine in den Weg legt. Es liegt allerdings die Vermutung nahe, dass diese Sequenz auch eine ganz simple und praktische Funktion erfüllt: Betrachtet man die Gesamtspieldauer von rund 75 Minuten, dann wird klar, dass „o.k.“ ohne diese einleitenden sieben Minuten unterhalb der imaginären Mindestlänge für einen Spielfilm geblieben wäre.

Ostern ‘66

Nach dieser Verzögerung beginnt endlich der eigentliche Film und spätestens jetzt wird klar, dass dieser Film anders ist. Dieselben Schauspieler, die sich eben noch in mehr oder weniger korrektem Hochdeutsch dem Zuschauer vorstellten, stecken jetzt in amerikanischen Uniformen und sprechen sich mit den entsprechenden Namen und Dienstgraden an, stehen aber inmitten eines offensichtlich mitteleuropäischen Waldes und unterhalten sich ausnahmslos auf bayrisch – wenn das kein Verfremdungseffekt ist, dann gibt es keinen! Jetzt hat der Film seine Karten aufgedeckt und es liegt am Zuschauer zu entscheiden, ob er dies nun billig findet oder sich darauf einlässt.
Es folgen dreißig Minuten, in denen wir fünf Soldaten sehen, die ihren Posten mit Stacheldraht eingrenzen, Schützenstände ausheben und sich generell langweilen. Wenn sie nicht von ihrem ruppigen Kommandanten durch den Wald gehetzt werden, sitzen sie herum, machen Witze und vertreiben sich die Zeit mit Kartenspielen. Sonst gibt es nichts zu tun, denn schließlich herrscht über die Osterfeiertage Waffenruhe. Im Hintergrund singen Vögel. Das Ende dieses Teils wird durch eine Auseinandersetzung innerhalb der Gruppe markiert. Private Rafe fällt seinem Vorgesetzen durch seinen Schnurrbart negativ auf. Nachdem er den Befehl ablehnt sich zu rasieren, wird kurzerhand eine Zwangsrasur vorgenommen, bei der Rafe von seinen Kameraden festgehalten wird, während einer ihm den Bart mit einem Messer schneidet. Rafe bäumt sich auf, wimmert und wehrt sich. Plötzlich hören die Männer Geräusche. Sie stammen von einem Mädchen, dass auf ihrem Fahrrad unterwegs ist und an diesem Tag schon einmal an ihnen vorbeigefahren ist. Die Soldaten wittern Spionage und halten sie an. Die aggressive Stimmung, die innerhalb der Gruppe herrschte, richtet sich nun gegen das Mädchen, der Gewaltakt gegen den eigenen Kameraden erscheint als Vorspiel für die Gewalt gegen das Mädchen.
Die nun folgende halbe Stunde unterscheidet sich grundlegend von der entspannten Stimmung des bisher Gesehenen. Die Scherze und Frotzeleien sind aggressiver und bedrohlich gegen die 15-jährige Vietnamesin gerichtet. Die Männer spielen mit ihrer Angst, werfen ihr Spionage vor und wenden ihre Aussagen gegen sie. Einer von ihnen, Eriksson, versucht einzugreifen und das Mädchen zu retten, aber er kann nichts ausrichten. Seine Kameraden vergewaltigen das Mädchen und zwingen ihn – der ihnen mit Anzeige drohte – mit roher Gewalt zu dem selben Verbrechen. Schließlich ermorden sie das Mädchen. Eriksson kann ihnen entkommen und meldet die Tat. Aber während die Mörder die Leiche entsorgen, muss er feststellen, dass seine Vorgesetzten den Fall herunterspielen und ihn unverrichteter Dinge zurück zu seinen Kameraden schicken. Es folgt ein kurzer Epilog. Zu Bildern von den Schauspielern, die (wieder in der realen Welt) das Gebäude verlassen, in dem die Requisiten untergebracht sind, erläutert ein Sprecher aus dem off den Stand der Dinge: Eriksson vertraute sich einem Militärgeistlichen an, der wiederum brachte den Fall vor Gericht. Es ergingen harte Urteile von 8 Jahren bis zu lebenslänglicher Haft. Wenig später wurden die Urteile revidiert: 8 Jahre statt lebenslang, 4 Jahre statt 8, Freispruch wegen eines Formfehlers, vorzeitige Entlassung und Wiedereinstellung in die Armee. Ende der Geschichte.


Berlinale

Die Jury der Berlinale von 1970 war über den Film nicht begeistert und schloss ihn unter fadenscheinigen Vorwänden vom Wettbewerb aus. Das führte zu Protesten von Künstlern und Journalisten – als Reaktion löste sich die Jury auf und verzichtete darauf Preise zu vergeben. Seltsamer war es bis dahin noch nie auf einer Berlinale zugegangen.
Diese Ereignisse sprechen für die Qualität des Filmes, denn würde es sich bei „o.k.“ lediglich um die Aufzeichnung einer Freiluft-Aufführung einer bayrischen Laientruppe handeln, dann hätte er die Gemüter kaum derartig erhitzen können. (An dieser Stelle sollte die exzellente Kameraarbeit des Filmes erwähnt werden, die in einem seltsamen Kontrast zu dem Gesamtkonzept des Filmes steht. Der Film wartet mit interessanten Perspektiven auf, mit Kranfahrten, mit einer Kamera die um Darsteller kreist oder mit extremen close-ups die direkt aus italienischen Western entnommen sein könnten.) Aber „o.k.“ wurde von der Jury ernstgenommen und das aus gutem Grund. Die geographischen Gegebenheiten und der Dialekt der Darsteller mögen die Geschichte verfremden, trotzdem bleibt sie als Abbild eines grausamen Verbrechens verständlich, das im Übrigen nicht spezifisch dem amerikanischen Militär angelastet wird, sondern (eben aufgrund des Verfremdungseffekts) die generellen Umstände solcher Taten beleuchtet und somit ebenso als Tat deutscher, französischer oder englischer Soldaten vorstellbar ist. Diese Allgemeingültigkeit der Aussage ist die größte Leistung des Filmes. Vergleicht man Verhoevens Version der Geschichte mit Brian De Palmas Bearbeitung („The casualties of war“ , 1989), dann muss man trotz der erdrückenden technischen Überlegenheit des amerikanischen Filmes feststellen, dass er zu keiner Zeit die Intensität seines deutschen Konkurrenten erreicht und vielleicht gerade seine glatte und professionelle Inszenierung eine tiefergehende Beschäftigung mit den Geschehnissen verhindert.


Schlussgedanken

„o.k.“ ist also ein wirklicher Ausnahmefilm, dessen bizarr anmutende Grundidee etwas Entgegenkommen vom Zuschauer verlangt. Ist man dazu bereit, wird man einen der besten deutschen Filme der Nachkriegszeit entdecken, der in der ersten Hälfte mit amüsanten Episoden prächtig unterhält, während er danach abrupt den Tonfall wechselt und den Zuschauer mit der qualvollen Vergewaltigung des Mädchens und dem unerträglichen Korpsgeist des Militärs konfrontiert. „Vietnam ist weit weg“, heißt es im Prolog, darum habe man die Geschichte nach Bayern verlegt, um dem Zuschauer einen anderen Zugang zu den Geschehnissen zu ermöglichen. Dies ist in vollem Umfang gelungen, vielleicht auch deswegen, weil der Film nicht beim vermeintlich guten Ausgang der Geschichte aufhört ( „...harte Urteile wurden gefällt...“ ), sondern, weil er auch diese Illusion zerstört, in dem er auf die späteren Begnadigungen verweist. Solche Vertuschungsversuche und lächerlich anmutende Urteile gab es bereits bei der Strafverfolgung des Massenmordes von My Lai – der verantwortliche Kommandierende wurde verurteilt, dann begnadigt und ist heute ein freier Mann. Eine Untersuchungskommission kam zu dem faszinierenden Urteil, das unmenschliche Verbrechen sei durch „grob missverständliche Befehle“ entstanden und nicht etwa die barbarische Entgleisung gestörter Soldaten. Angesichts dieser bitteren Wahrheit sollte die US-Army dankbar dafür sein, dass Verhoevens Film letztlich nur noch als einflusslose Fußnote der Filmgeschichte gilt, De Palmas Werk auch nicht gerade in den Reigen der großen Vietnam- oder Kriegsfilm aufgenommen wurde und vor allem, dass sich in den 70ern oder 80ern (der unumstrittenen Blütezeit gewalttätiger Filme) kein amerikanischer Star-Regisseur oder zumindest ein italienischer Horror-Exploitation-Filmer fand, der sich den Geschehnissen von My Lai angenommen hätte. Man will sich gar nicht vorstellen, wie viele Film-Festivals dann unter geheuchelter Beleidigung hätten abgebrochen werden müssen.

Texte aus kino.de-Zeiten


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Spiel mir das Lied vom Tod


Spiel mir das Lied vom Tod

Nebenschauplatz: Der Ozean und Morton


In einem Film voll Rache und Mord ein ergreifender, aber auch seltsam deplazierter Wunsch: Einfach nur den Ozean erreichen. Der, der ihn hegt, heißt Morton: Ein Eisenbahnmagnat, so reich wie todkrank. Beide Charakteristika spiegeln sich in seinem privaten Eisenbahnwagon wieder, in dem man ihn meist sieht: Die stilvolle Ausstattung, das Geld, das ohne große Sicherungsmaßnahmen in den Schubfächern des Schreibtisches liegt, und die Tatsache, dass jemand dem Massentransportmittel Eisenbahn den komfortablen Luxus eines eigenen und nach eigenen Wünschen verkehrenden Privatzuges mit individuellem Wagon abgetrotzt hat – all dies spricht für Mortons Reichtum. Das Innenleben des Zuges betont aber auch seine Krankheit – durch das von der Decke herablassbare Gitter, an welchem er seinen erschlaffenden Körper trainiert – und seinen Wunsch, den Ozean zu erreichen, ausgedrückt durch ein Ölgemälde tosender Wellen. Mortons Wagon ist zugleich Thron und Schutzwall, außerhalb dessen er „wie eine Schildkröte ohne ihren Panzer“ wirkt, wie es sein Handlanger Frank einmal formuliert.
Überhaupt: Frank. Mortons Beziehung zu ihm ist zwiespältig. Wir wissen, dass beide schon länger zusammenarbeiten, aber wir wissen nicht wie diese Zusammenarbeit ausgesehen haben mag, wie sie sich durch Mortons Krankheit verändert hat. Es ist aber sicher, dass Frank nun mehr und mehr die Oberhand in dieser Beziehung gewinnt. Vielleicht war Morton früher skrupelloser, jetzt aber sind ihm die Methoden seines Handlangers unangenehm, einerseits weil sie unnötig brutal sind, andererseits, weil Franks zunehmend eigenmächtigeres Handeln seine Ambitionen verrät. Morton verlässt sich lieber auf sein Geld und die Macht, die es ihm verleiht, während Frank um die Macht seines Revolvers weiß, was ihn aber nicht daran hindert, zusätzlich auch nach Geld und Einfluss – beides potenziell durch die Inbesitznahme von McBains Land erreichbar – zu streben. Während der Geschäftsmann Morton Skrupel gegenüber dem Töten hegt und krankheitsbedingt immer schwächer wird, dringt der Revolvermann Frank auf dessen Territorium vor, will beides: Mörder und Kapitalist sein. Später im Film werden die beiden Männer ihre Rivalität ausfechten, sich jeweils auf die Waffe ihrer Wahl verlassend: Geld versus Schützenkunst. Keiner wird den anderen töten. Aber: Keiner wird den Film überleben.
Was Mortons Figur so interessant macht, sind auf menschlicher Ebene seine Verzweiflung und seine Verletzbarkeit, und außerdem die Tatsache, dass er – fast schon wie im klassischen Drama – quasi als schuldlos Schuldig-Gewordener in den Konflikt zwischen Frank, Mundharmonika und Cheyenne hineingezogen wird: „Schuldlos“, weil er Franks Mordtat an der McBain-Familie weder befiehlt noch gutheißt, „schuldig“, weil er dennoch Franks Auftraggeber ist und nicht die Augen vor dem Charakter und den Methoden seines strebsamen Unterlings verschließen kann.
Regisseur Sergio Leone wird ein Zitat zugesprochen, das lautet: „Wenn einer bei John Ford aus dem Fenster schaut, dann tut er es, um die Landschaft zu bewundern. Wenn einer bei mir aus dem Fenster schaut, dann wird er erschossen.“ Was heißt das für einen, der, wenn er aus dem Fenster sieht, Wüste erblickt und sich doch nichts sehnlicher wünscht, als den Ozean zu erreichen?
In einer wunderschönen und doch todtraurigen Szene, eine der berührendsten des ganzen Films, wird Morton sein Ziel schließlich erreichen und doch verfehlen: Die Pfütze als Ozean. Ende einer Nebenfigur. Nur der Tod ist gewiss.

Texte aus kino.de-Zeiten


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A History of Violence


A History of Violence

Es gibt keine Monster

Ein Kind wacht nächtens schreiend auf. Der ins Zimmer eilende Vater versichert dem von einem Albtraum verängstigten Mädchen, dass es sich nicht vor den Gestalten seiner Fantasie zu fürchten brauche: Monster, so der Vater, gibt es nicht. Auch der große Bruder und die Mutter gesellen sich zu den Beiden, vollenden das Bild familiären Zusammenhalts und der Liebe. Wie das Mädchen möchte auch der Zuschauer den Beteuerungen des Vaters glauben, allein das kann nicht gelingen, haben wir doch eben, in der vorangegangenen, ersten Szene des Films den Gegenbeweis gesehen: Zwei Männer, die aus einem Motel auscheckend zum Abschied zwei Angestellte und ein Kind ermorden und dabei nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde aus ihrer phlegmatischen Lethargie heraustreten. Es gibt Monster.

Dass diese Monster in das Leben der Familie Stall treten werden, ist schon alleine durch die Verbindung der Ermordung des Mädchens im Motel und die wie eine direkte Reaktion darauf angeschlossene Szene der aus ihrem Alptraum hochschreckenden kleinen Tochter der Familie absehbar, aber ein auch anderes Detail verrät uns mehr über das, was noch kommen wird, dient als Omen: Tom Stall (Viggo Mortensen mit mutiger Frisur) ist Vater zweier Kinder, glücklicher Ehemann von Edie (Mario Bello) und Besitzer eines kleinen Diners in einem kuscheligen Kaff – in eben jenem Diner erzählt ihm ein Mitarbeiter von der „verrücktesten Frau, mit der er je zusammen war“, die die seltsamsten Träume hatte und ihn einmal im Schlaf mit einer Gabel anstach, weil sie meinte er sei ein wahnsinniger Killer. Ähnliches wird Edie im Verlauf des Films über ihren Mann Tom denken. Der Grund dafür: Die Killer aus der ersten Szene überfallen aus Geldnot Toms kleines Restaurant – bevor sie aber Schaden anrichten können, tötet Tom sie, für alle verblüffend, im Handumdrehen. Der Durchschnittsmann wird zum Helden, doch nicht nur der plötzlich auftauchende Verbrecher Carl Fogarty (Ed Harris) stellt die Frage, wie es kommt, dass Tom so gut darin ist, Leute zu töten.

Der Film lässt uns eine Weile im Unklaren darüber, derweil wir auch ein wenig mehr über das Leben von Toms Teenager-Sohn Jack (Ashton Homes) erfahren, der seinerseits in der Schule regelmäßig von einem eingebildeten Unsympath drangsaliert wird. Weicht er den Beleidigungen anfangs noch aus oder versucht sich ihrer mit halbwegs schlagfertigen Bemerkungen zu entziehen, verliert er endlich doch auch die Geduld und verletzt seinen Peiniger und dessen Freund in einem unerwarteten Gewaltausbruch. Spiegelbildlich zu der Heldentat seines Vaters ist auch dieser normale und sympathisch zurückhaltende Junge zu einem Akt überraschender Gewalt fähig, wenn er sich denn dazu genötigt fühlt. Auch wenn diese Beziehung durch spätere Enthüllungen relativiert wird (Jacks Vater ist eben doch keiner Normalbürger, sondern hat als ehemaliger Verbrecher eine beeindruckende history of violence), so ist dieses Vorkommnis doch deutlich als Aussage über die uns allen innewohnende Fähigkeit zur Gewalt zu verstehen – auch ohne Vorstrafenregister ist der Mensch zu Ausbrüchen solcher Art in der Lage.

Auch als Zuschauer wird man in dieser Szene ertappt: Trotz der Heftigkeit von Jacks Aufwallen applaudiert man heimlich, denkt, dass es doch Zeit wurde, dass er dem ständig provozierenden, sich sicher und unantastbar fühlenden Mitschüler eine Lektion erteilt. Schon in der nachfolgenden Szene hält mit Jacks Vater aber Vernunft Einzug: Wieso, fragt er entsetzt, verprügelt sein Sohn einen Anderen – allein weil dieser ihn genervt hat? Das sei kein Grund jemandem die Zähne auszuschlagen, merkt er an, und man muss zugeben: Eigentlich hat er ja Recht. Muss man sich um die eigene Einstellung sorgen, wenn man dennoch, trotz aller Relativierung, instinktiv Jacks Reaktion für angemessen hält? (Nebenbei: In zwei von drei Szenen, in denen Jack von seinen Mitschülern ins Visier genommen wird, ist er in Gesellschaft seiner [oder zumindest: einer] Freundin. Die beiden Unruhestifter selbst bleiben aber als männliches Duo unter sich, während sie Jack gerne als Homosexuellen beschimpfen. Alpha-Männchengetue, wie Jack andeutet, oder haben die beiden vielleicht ein verdrängtes Problem mit ihrer eigenen Sexualität? Letztlich ist dies für den Film eigentlich ohne Bedeutung und genauso wenig belegbar wie widerlegbar, aber als Gedankenspiel ist es vielleicht doch von ein wenig Interesse.)

Besagte Szene zwischen Vater und Sohn ist übrigens besonders gelungen, weil sie noch einmal eine andere Bruchstelle der friedlichen Fassade aufzeigt. Dies sei keine Familie, in der man Andere schlage, sagt Tom seinem Sohn, der darauf hin – in Anspielung auf die Tat seines Vaters – antwortet: „Nein, wir erschießen sie stattdessen.“ Des Vaters Reaktion: Er schlägt seinen Sohn. Deutlicher könnten Anspruch und Wirklichkeit nicht kollidieren.

Was David Cronenberg uns in seinem Film bis dahin zeigt, handelt vom Einbruch der Gewalt in die friedliche Normalität des Alltags und von den daraus resultierenden Folgen: Zwei Verbrecher landen per Zufall in einer abgelegenen, ruhigen Kleinstadt und werden unerwartet zur Strecke gebracht. Die Gemeinde reagiert getreu dem callahan’schen Motto, dass nichts Falsches daran zu finden sei, dass Menschen erschossen werden, so lange es nur die richtigen treffe und besucht sein Lokal in unüblich hoher Zahl. Die Presse kürt den Mann zum amerikanischen Helden. Und: Seinem Sohn, sonst duldsam bis zur Memmenhaftigkeit, reißt der Geduldsfaden, woraufhin er zwei Halbstarke vertrimmt. (Aber: Auch vor den Ereignissen in Toms Lokal finden sich schon Risse in der Idylle, interessanterweise in zwei scheinbar typisch amerikanischen Ausprägungen: Kinder, die nachts nur dann albtraumfrei schlafen können wenn das Licht noch brennen gelassen wird und Schüler, die in der Schule grundlos von bullies schikaniert werden, sind so häufig in Filmen und Romanen anzutreffende Klischees, dass sie wohl nicht völlig aus der Luft gegriffen sein können. Außerdem: Dass das Paar Edie und Tom auf der Garderobe neben der Eingangstür zwei Würfel mit ihren Initialen (E und T, zusammen: E.T.) aufgestellt hat, verweist, auch wenn es zugegebenermaßen sehr weit hergeholt scheint, vielleicht auf Spielbergs „E.T.“ und bietet dem Zuschauer die Möglichkeit das Ehe-Idyll ähnlichen zu bewerten: Als heilsamen Kitsch, als wertepositives Märchen. Dass man bei einem Film von David Cronenberg aber nicht auf das Verharren in diesem paradiesischen Zustand zu warten braucht, sollte klar sein.)

Im Folgenden verändert Cronenberg den Fokus: Tom erhält erneut Besuch von Carl Fogarty. Der beharrt, wie bei seinen vorherigen Besuchen immer noch darauf, dass er Tom aus Philadelphia kenne, und zwar erstens unter dem Namen Joey Cusack und zweitens als veritablen Gewalttäter, der ihm einst das Gesicht verunstaltete. Der Zuschauer hat dieser Geschichte bis hierhin keinen großen Glauben geschenkt (sie vielleicht nur deswegen als wahr erwogen, weil Filme nun mal die Eigenschaft haben, vermeintlich Unmögliches als Tatsächliches zu enthüllen), muss aber, wie Toms Familie auch, nach dieser Szene umdenken: Behände tötet Tom die beiden Handlanger des Gangsters (was Cronenberg, wie auch in anderen Szenen des Films, mit der barbarischen Deutlichkeit eines Kriegsberichterstatters inszeniert), outet sich zusätzlich noch im Gespräch tatsächlich als Joey und wird dann durch Eingreifen seines Sohnes gerettet.

Was folgt ist neben den genrebedingt zu erwartenden Ereignissen (Tom/Joey bricht nach Philadelphia auf und regelt gewisse Dinge mit seinem Bruder) und einer kleinen für Regisseur Cronenberg typischen Einlage (Toms/Joeys Bruder, gespielt von William Hurt, ist in Cronenbergs Werk nicht die erste patriarchale Figur mit Hang zum Monolog) vor allem auch eine interessante, wenn auch etwas zu kurz gekommene Erkundung der Probleme, die durch Joeys Identitätswechsel entstanden. Seine Frau findet sich plötzlich mit einem Phantom verheiratet, dessen Kinder sie auf die Welt gebracht hat und die den selben Namen wie sie tragen – einen Namen, den Joey sich gab, „weil er gerade verfügbar war“. Joeys Seite des Problems wird leider nur angerissen, aber doch auch deutlich: Drei Jahre habe er gebraucht um vollends zu Tom Stall zu werden und sich von seiner Vergangenheit zu lösen. Es wirkt glaubwürdig wenn er das sagt und wir wollen ihm daher glauben: Wie bitter muss es für diesen Mann sein, dass er in einem vermutlich schweren inneren Kampf sein altes Ich für ein besseres Alter Ego eintauscht und fast gut zwei Jahrzehnte diese neue Rolle überzeugend bis ins Detail lebt, nur um dann im Bruchteil einer Sekunde doch wieder vom harmlosen Ladenbesitzer zum effizienten Killer zu werden?

Toms Familie jedenfalls ist über Joey nicht begeistert. Joey, wie schon erwähnt, fährt nach Philadelphia und regelt die Dinge auf seine eigene Art. Nachher wirft er eine Waffe in einen See, wäscht sich Blut vom Körper. Selbsttaufe, Neugeburt?

Ist der Mann, der dann zu Edie, Jack und Sarah Stall zurückkehrt, Tom Stall oder Joey Cusack? Es gibt Monster, leugnen hilft nicht – nicht gegenüber sich selbst, nicht vor den Menschen, die um die Wahrheit wissen. Die Aufgabe kann nur lauten, sich selbst zwischen den Extremen zu finden. Schwarz und Weiß verlaufen zu Grau. Tom Stall, der Ladenbesitzer, der früh noch selbst den Müll vor seinem Laden aufhebt, und Joey Cusack, der Mann, der Anderen mit Stacheldraht ans Augenlicht will, verwischen. Vielleicht ist es ja Joey Stall, der da nach einigem Zögern wortlos an den Familientisch gelassen wird. Eine letzte Veränderung, eine Metamorphose des Geistes. Es wäre kein untypisches Ende für einen Cronenberg-Film.

Texte aus kino.de-Zeiten


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Last Samurai


Last Samurai

Der Weg des Samurai ist der Tod
Wenn der Samurai sich zwischen Leben und Tod entscheiden muss, gibt es für ihn nur die schnelle Wahl des Todes.
(Auszug aus dem Hagakure)

Wir schreiben das Jahr 1876, die USA feiern ihr hundertjähriges Bestehen. Nathan Algren (Tom Cruise) ist ein ehemaliger Kavallerie-Hauptmann, ein hochdekorierter Veteran der Indianerkriege. Seine glorreichen Tage hat er aber hinter sich und statt dessen ist er mittlerweile zum Säufer herabgesunken, der als traurige Karikatur seiner selbst Werbung für Winchester-Gewehre macht. Eines Tages aber erhält er ein Angebot des japanischen Angesandten Omura: Für 500 Dollar im Monat soll er die kaiserliche Armee nach amerikanischem Modell ausbilden und sie so für den Kampf gegen aufständische Samurai rüsten. Der Zyniker willigt ein. Als gegen seinen Willen verfrüht ausgerückt wird, versagen die neuen Truppen schon bei ihrem ersten Einsatz und werden aufgerieben. Algren selbst wird Gefangener der Samurai und deren Anführer Katsumoto (Ken Watanabe), die ihn in ihre Siedlung mitnehmen, wo er wetterbedingt bis zum nächsten Frühjahr bleiben muss.
Soviel zum Ausgangspunkt der Geschichte. Es braucht nicht viel Weitsicht um zu wissen, was kommen wird, aber The Last Samurai vermeidet es glücklicherweise den Westler Algren zum besserwisserischen Übermenschen zu machen, der den Japanern die Überlegenheit der westlichen Kultur aufzeigt. Algren ist zwar ein hervorragender Kämpfer, der sich langsam den Respekt der Japaner erarbeitet, aber dies schafft er nur weil er darum bemüht ist, sich der Kultur der Samurai anzupassen, und natürlich weil ein so sturer Hund ist, dass er sich manche unnötige Blessur holt. Genau diese verbissene Ausdauer macht den Amerikaner aber für die Japaner so sympathisch, geht es doch im Kriegerkodex der Samurai essentiell um eben diese Haltung: Niemals aufgeben und kämpfend untergehen. Oder wie es im Hagakure an einer Stelle heißt: Ein wirklicher Mann denkt nicht an Sieg oder Niederlage. Er stürzt sich unbekümmert in einen irrationalen Tod.
In das Verhalten der Krieger und die Welt der normalen Menschen gewährt The Last Samurai dem Zuschauer Einblick. Es sind widersprüchliche Menschen, meint Algren anfänglich, aber sie faszinieren ihn dennoch. Die Art, wie sie ihr Leben leben, die Ruhe, die Suche nach Harmonie ziehen ihn in ihren Bann, genauso wie die Kampfeskunst der Samurai. Algren lernt dazu: Bei seiner Gefangennahme glaubte er zu sehen, wie ein General der kaiserlichen Armee von den siegreichen Samurai enthauptet wurde. Was wie die Ermordung eines Gefangenen aussah, war aber in Wirklichkeit seppuku, ritueller Selbstmord, der im Westen häufiger als harakiri bekannt ist. Seppuku ist eine ehrenhafte Tat, mit der man sich von Schande reinwäscht, wie beispielsweise als General nach der Niederlage in einer Schlacht. Dabei stößt sich der Selbstmörder eine Klinge in den Bauch und wird daraufhin von einem Beisteher, kaishakunin genannt, enthauptet. Da als kaishakunin oft Freunde des Selbstmörders fungieren, ist diese Tat als letzter Akt der Freundschaft zu verstehen, als Hilfestellung bei der Ehrenrettung. Dies ist so ein Beispiel für die von Algren ausgemachte Widersprüchlichkeit der Japaner, die genaugenommen nur eine scheinbare ist, weil sie auf eine andere Auslegung und Wertung des Begriffes „Ehre“ zurückzuführen ist, als sie im Westen gemacht wird. Nur so lässt es sich verstehen, wie ein Freund dem anderen stolz beim Selbstmord assistieren kann, dass es eine letzte Liebesgeste eines Vaters an seinen sterbenden Sohn ist, diesem auf die Beine zu helfen und ihm zu einem aufrechten Tode zu verhelfen, und dass es ebenfalls ein Akt der Liebe ist, wenn eine Frau ihrem Mann in die Rüstung hilft, in der er in den sicheren Tod ziehen wird.
Nichts kann diese Weltsicht der Samurai besser ausrücken, als der eigentliche Grund für ihren Kampf. Dazu ein kurzer Blick auf die Geschichte: Unter Meiji, dem jungen tenno, überwand Japan die Zeit des Shogunats (shogun war ein weltlicher, vereinfacht gesagt auf militärischer Macht basierender Herrschertitel, nicht zu vergleichen mit dem Glanz des tenno, des Gott-Kaisers). Meiji, stark unter dem Einfluss seiner Berater stehend, wollte das Land „nach Westen“ hin öffnen, Handel zu treiben, westliche Moden und Gepflogenheiten einführen. Die Samurai waren gegen diese Öffnung – im Film, wie auch in der historischen Wirklichkeit. Die Gründe dafür bleiben im Film ein wenig vage: Es sei nicht gut für das Land und für das Volk, dass man sich dem Westen öffnet, glauben die Samurai. Um ihren Standpunkt glaubwürdig zu machen, wurde die Figur des Omura benutzt. Dessen Büroeinrichtung und Art sich zu kleiden, ja selbst sein Geschäft (Eisenbahn) weisen ihn als typisch westlichen Großkapitalisten aus; addiert man sein skrupelloses Vorgehen (der Mordanschlag auf Katsumoto) und seine mangelnde Großzügigkeit hinzu, ist es nur allzu glaubwürdig, dass sein starker Einfluss auf den tenno nicht gut für Japan sein kann. (Noch deutlicher: Der sanfte tenno erstrebt und wünscht „nationale Harmonie“ – und Omura besorgt ihm als Mittel zum Zweck einen Offizier, der an den Indianerkriegen beteiligt war, die nun kaum als leuchtendes Beispiel für „nationale Harmonie“ gelten können.) Aber geht man über diese zweckdienliche und gelungene Konstruktion des Filmes hinaus, dann offenbart sich ein interessanter Aspekt: Die eigentlichen Motive der Samurai waren simple Fremdenfeindlichkeit und Ärger über den Verlust der eigenen gesellschaftlichen Stellung. Die Fremdenfeindlichkeit lässt sich daran aufzeigen, dass nicht gegen spezielle negative westliche Importgüter oder Werte protestiert wurde (wie etwa ausbeuterische Fabrikarbeit), sondern generell gegen alles nicht-japanische, und der Unmut über den Verlust ihrer Stellung ist ebenfalls leicht nachzuvollziehen: Wie sollten die Samurai es auch verkraften, dass sie erst dem tenno wieder zur Macht verhalfen und dann plötzlich, bei der Neuordnung der Stände und durch den Import von Schusswaffen, ihrer Stellung beraubt wurden? Diesen Männern blieb in ihrer Situation nur übrig sich entweder anzupassen und damit alles zu verraten, woran sie glaubten, oder sehenden Auges in die Rebellion (und damit den eigenen Tod) zu gehen. Ihre Gründe mögen also vielleicht profaner gewesen sein, als der Film es deutlich sagen will, aber das ändert nichts an der Faszination, die seine Geschichte ausstrahlt, die den Samurai mit Respekt und Bewunderung für ihre Konsequenz gegenübertritt.
The Last Samurai ist aber trotz seiner ernsten Thematik auch in erster Linie ein Produkt Hollywoods, und noch dazu ein gelungenes. Die Schauspieler überzeugen. Tom Cruise verkörpert seinen gebrochenen, alptraumgeplagten Helden glaubhaft, macht es nachvollziehbar wie dieser unter scheinbar fremden Menschen wahre Brüder findet, und sieht, nebenbei bemerkt, auch gut aus. Ken Watanabes Darstellung Katsumotos ist ebenso fehlerfrei wie die, der anderen japanischen Darsteller. Einzig der tenno (Shichinosuke Nakamura) bleibt eine blasse Figur, was aber sicher auch in der Natur dieser Rolle liegt.
Musik (vom vielbeschäftigten Hans Zimmer) und besonders die Ausstattung des Filmes sind auch sehr gelungen. Zu bemängeln gibt es nur, dass Regisseur Edward Zwick optisch „nur“ das erwartet schöne Handwerk abgeliefert hat, mit dem man natürlich durchaus zufrieden sein kann, dem aber der eine oder andere gänzlich eigenständige visuelle Höhenflug auch nicht geschadet hätte.
Die Action-Szenen, insbesondere das enorme Finale, sind prächtig anzusehen, sehr gut über den Film verteilt und sie haben den Vorteil, dass sie, obwohl sie ähnlich schnell geschnitten sind wie in anderen zeitgenössischen Filmen, dennoch übersichtlich wirken: Man kann einzelne Momentaufnahmen durchaus erkennen und ist nicht darauf angewiesen in einem undefinierbar-hektischen Bilderbrei zu rätseln, was denn gerade geschehen mag. Die finale Konfrontation ist dafür ein gutes Beispiel. Eine andere, hastigere Szene unterläuft diesen Standard erst scheinbar, ihr Verlauf wird aber sofort für den Zuschauer in Zeitlupenstudien seziert, was der „Nachbearbeitung“ des Kampfes im Kopf des Kriegers entspricht. Im übrigen gilt für alle Action-Szenen ein Lob, das man Hollywoodfilmen nicht oft machen kann, nämlich, dass sie letztendlich wirklich begründbar sind, weil sie entweder die Geschichte voranbringen oder den Charakter, beziehungsweise die Entwicklung einer Figur verdeutlichen. Ein Makel lässt sich allerdings für mindestens eine Actionsequenz ausmachen, nämlich, dass sie ein wenig zu lang, oder zumindest zu gleichförmig geworden ist. (Gemeint ist nicht das Finale, sondern die Szene am Hof in Tokio.)
Eingeweihte Japankenner und Wahrscheinlichkeitskrämer werden natürlich an mancher Szene etwas auszusetzen haben, andere werden bemängeln, dass Tom Cruise erstaunlich schnell Fortschritte in Sprache und Kampfkunst seiner „Gastgeber“ macht und dabei übersehen, dass er als lernwilliger Mann und mutiger Soldat vorgestellt wird, der so verbissen an der Umsetzung seiner Ziele arbeitet, wie er bei seiner Festnahme um sein Leben kämpfte. Diese Vorwürfe kann man aber getrost außen vor lassen, wie den üblichen Pathos-Vorwurf, der in gewissem Maße unrealistisch ist: Wie soll man nüchtern von den Samurai erzählen, diesen fanatischen, aber auch faszinierenden, disziplinierten Männern, die in ihren angst- und respekteinflößenden Rüstungen wie Geister aus einer anderen Welt erscheinen , und die lieber würdevoll sterben, als ehrlos leben würden? Gänzlich unmöglich ist dies nicht, aber die Geschichte, von der The Last Samurai erzählt, braucht ein bestimmtes Maß an Pathos (ausnahmsweise mal keinen amerikanischen!) und kommt damit auch sehr gut zurecht; erst ganz zum Schluss übertreibt der Film es damit, als es eigentlich schon nicht mehr nötig gewesen wäre – mit gutem Willen wird der Zuschauer aber darüber hinwegsehen können, zumal dieses Ende (mit den letzten Worten Algrens an den tenno) einen schönen Übergang von der Vergangenheit in die Zukunft findet.
Jenseits kleinerer Kritikpunkte ist The Last Samurai ein gewaltiger, blutiger, aber auch schöner und unterhaltsamer Film, der sich einer faszinierenden, mittlerweile verlorenen Welt nähert. Großes Kino.

Texte aus kino.de-Zeiten


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Krieg der Welten


Krieg der Welten

Spielberg pervers

Alter Hollywoodscherz: „Was ist der Unterschied zwischen George Lucas und Steven Spielberg? – George Lucas glaubt er sei Gott. Gott hingegen glaubt er sei Steven Spielberg.“ Die Kluft zwischen den Kumpels Lucas und Spielberg ist zwar nicht so groß wie die zwischen dem Robert Rodriguez und seinem ungleich talentierteren Spezi Quentin Tarantino, aber wenn man sich die diesjährigen Giganto-Produktionen vor Augen hält, wird klar: Lucas bemüht sich angestrengt, wo Spielberg Dinge scheinbar locker aus dem Ärmel schüttelt.
Ich will den Vergleich der beiden Regisseure und ihrer Filme nicht übermäßig auswalzen, weil so etwas ja schnell ermüdet, aber ganz grob betrachtet lassen sich doch ein paar Vergleichspunkte zwischen den „Kriegen“ – dem der Sterne und dem der Welten – ausmachen: Beide wurden im Bewusstsein gedreht, gigantische Geldmaschinen zu sein, beide erzählen eigentlich nicht bahnbrechend überraschende Geschichten (beim einen Film weiß man um das Ende, weil man ein Prequel zu Bekanntem sieht, beim anderen zählt die Geschichte inklusive Auflösung eigentlich zur Allgemeinbildung) und beide sind verhältnismäßig düster ausgefallen, wenn man bedenkt, dass ihre Regisseure einst als die Könige der glücksverheißenden hollywood’schen Zuckergussmaschinerie galten.
Hier hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf, denn Spielberg trumpft von Anfang an auf und liefert, was Lucas nicht bieten konnte: Seine Figuren haben Seele, sind gut gezeichnet und bringen das Publikum zum Lachen, ohne dass die dunkle Seite (!) der Geschichte nicht spürbar würde. Beispiel: Wenn Tom Cruise als geschiedener Vater seine Kinder übers Wochenende bekommt, während seine Ex-Frau mit ihrem neuen Mann verreist, bröckelt der Putz der heilen Leinwandfamilien-Welt an allen Ecken und Enden. Nicht nur ist Cruise geschieden, er hat auch keinen Zugang zu seinen Kindern, die wiederum keinen Zugang zu ihm haben. Und seine Ex-Frau ist von ihrem neuen Gatten sogar schon schwanger – ein neues Kind und Geschwisterchen ist unterwegs, womit Cruises Familie immer weiter von ihm wegdriftet, während er alleine in seiner Bude hockt und an Motoren herumbastelt. Klingt nicht gerade nach unterhaltsamem Kinostoff, aber die Reibungen zwischen dem Vater und seinen entfremdeten Kindern sind mit einer Prise grimmigen Humors inszeniert, der sehr unterhaltsam anzusehen ist. Wir halten fest: Die Mischung aus ernstem Grundton und comic relief funktioniert wunderbar.
Bleiben wir mal kurz bei dem düsteren Grundton, der den ganzen Film durchzieht und listen ohne bestimmte Reihenfolge kurz auf, was „Krieg der Welten“ da anzubieten hat: (1) Neben den nicht näher identifizierten Invasoren, werden auch die Menschen recht negativ dargestellt. Das beginnt bei vergleichsweise Harmlosem wie den Reportern, die auch im Angesicht des Weltuntergangs immer noch nach „der Story“ suchen, geht über die von Tim Robbins gespielte Figur bis hin zu dem deprimierenden Mob, der das Auto bestürmt, mit dem Cruise und seine Kindern flüchten, und sich um dessen Willen selbst zerfleischt. Angesichts einer Bedrohung von Außen, den Blick auf den „Inneren Feind“ zu werfen, ist für einen Film dieser Größenordnung durchaus gewagt, wenn man bedenkt, was beispielsweise Roland Emmerich bei solchen Gelegenheiten üblicherweise an multikulturellem, politisch korrektem und im Angesicht des Schreckens seine Differenzen überwindendem Personal zusammenzuscharen beliebt.
(2) „Krieg der Welten“ vollzieht mittendrin sogar einen Umschwung vom Spektakel zum Kammerspiel. Gemeint ist die Tim-Robbins-Episode, bei der wiederum die Gefahr von außen und innen ausgespielt wird. Letzteres sogar mit implizierten Schrecken, die – auch wenn sie unausgesprochen bleiben – bedrohlicher wirken, als die Invasoren aus dem All.
(3) Der Film ist durchzogen von Landschaften der Zerstörung und des Todes: Sei es die realistische Flugzeugabsturzstelle, die poetische inszenierte Szene in der Cruises Tochter am Fluss steht oder auch die stilistisch überhöhte blutrote Studiolandschaft am Ende, die ohne Änderung auch in ein Horrormärchen a la „Sleepy Hollow“ gepasst hätte.
(4) Die ständige Bedrohung von Cruises Tochter (gespielt von Dakota Fanning): Es war nicht umsonst eine der Regeln der Selbstzensurregeln des alten Hollywoods, also des production code, dass Kinderfiguren in Filmen möglichst nicht bedroht werden sollten. Hier ist das Mädchen (potenzielles) Opfer seiner eigenen Klaustrophobie, eines aufgeputschten Mobs, eines zwielichtigen Mannes und natürlich auch der Außerirdischen. Dass sie unter der Trennung von ihrer Mutter leidet, gehört auch dazu und wird dadurch verstärkt, dass sie in einer Szene sogar Gefahr läuft auch noch Bruder und Vater zu verlieren. Wenn man bereit ist, sich auch nur ein bisschen auf den Film einzulassen, ist eine solche umfassende Gefahrenkulisse gegenüber einem Kind sicherlich auch heutzutage nicht ohne heilsames Fingernägel-Kauen zu verkraften.
Fügen wir noch als Nummer (5) die „Sandmännchen-Szene“ hinzu, ergibt sich das Bild eines Films, der viel düsterer und bedrohlicher geworden ist, als man das hätte erwarten können / erhoffen dürfen. Besonders die letzten beiden Punkte sind es, die zur Überschrift dieses Textes geführt haben: Steven Spielberg hat mit „Schindler’s List“ oder „Saving James Ryan“ schon länger bewiesen, dass er mehr ist, als nur das Wunderkind, das der Filmwelt harmlose Schonkost wie „E.T.“ schenkte. Aber „Krieg der Welten“ hat gegenüber Spielbergs ernsten Werken inhaltlich genügend Potenzial in einen positiven, ermunternden, aufbauenden, kurz: klassischen „Spielbergfilm“ verwandelt zu werden. Gerade deswegen fällt es auf, dass der Regisseur viele Gelegenheiten nutzt, um eine andere Richtung zu steuern – die erbaulichen Details werden einem dunklen Tonfall geopfert. Statt „typisch Spielberg“ gibt es hier „Spielberg pervers“. (Dass dieser Begriff nicht einmal ansatzweise negativ konotiert ist, sollte schon anhand meiner Prozentwertung für den Film klar sein.)
Natürlich gibt es auch positive Töne: Cruises Sohn, der sich vom passiven Zuschauer zu einem aktiven Helfer entwickelt (ohne, dass die davon abweichende Haltung seines Vaters diskreditiert würde, was an sich schon ein lobenswerter Zug der Story ist) oder Cruises finale Tat der Selbstbehauptung, die zwar für das Überleben der Menschheit von geringem Interesse ist, die aber nicht nur sein Überleben und das seiner Tochter sichert, sondern auch positiven Einfluss auf ihr künftiges Miteinander haben wird, weil der Vater sich bewiesen hat – sich selbst und seinem Kind gegenüber.
Aber trotz dieser Elemente wird der Film von einer „erwachsenen“, „ernsthaften“, düsteren Note überlagert. (Anführungsstriche sollen nur kenntlich machen, dass wir es hier mit relativen Begriffen zu tun haben; relativ zur Natur des Films als Blockbuster.) Da passt es auch, dass Spielberg an der eigentlichen Pointe der Romanvorlage nichts geändert hat, die hier mehr denn je als grimmer Seitenhieb auf die eigentliche Ohnmacht des Menschen und vielleicht auch auf die Banalität eines jeden happy endings erscheint.
Für eine Sekunde traut man dem Film sogar zu, dass er das Endmotiv aus John Fords meisterlichem „The Searchers“ übernehmen könnte. Das tut er zugunsten einer positiveren Endnote dann doch nicht, aber man wird das Gefühl nicht los, dass Spielberg nur eine Winzigkeit davon entfernt war, es darauf ankommen zu lassen.
Da es mir an einer passenden Überleitung vom dominierenden Thema dieser Kritik (düstere Grundstimmung) zu den unabwendbaren Banalitäten einer Filmbesprechung fehlt, mache ich es kurz und halte fest: „Krieg der Welten“ ist handwerklich auf allen Ebenen mehr als solide. Spielberg zaubert teilweise richtig lange Einstellungen mit fließenden Kamerabewegungen, die prächtig anzusehen sind. Sei es bei wilden Fluchten zu Fuß oder während einer Autofahrt – Spielberg übt sich in reinster Schönschrift des kommerziellen Kinos. Dabei sind diese Dinge bei ihm nicht (nur) Spielerei und Geprotze, sondern sie tragen sehr wohl zur atmosphärischen Dichte mancher Szenen oder zum Spannungsaufbau bei. Und dass Spielberg auch bei Actionszenen eine ruhige Hand beweist und nicht wild herumschneidet, kommt seinen gigantischen und perfekt animierten Spezialeffekten nur zu Gute – denn wenn es wie bei diesem Film um die schiere Größe des Gezeigten geht, warum sollte man dann alles kurz und klein schneiden, und dadurch über das handwerkliche Hintertürchen seiner Größe berauben?
Fazit: Highlight, das hervorragend zwischen krachiger Action und ruhigeren Szenen, die die Action erst richtig interessant und spannend machen, vermittelt.

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Apocalypto


Apocalypto
Apocalypto – ein nicht-spoilerfreies Gespräch


Inspiriert durch die – freilich viel besseren und unbedingt lesenswerten – Filmgespräche des Männerfilmblogs „Sauft Benzin, ihr Himmelhunde“ (http://belmondosfunk...d.blogspot.com/)


A: Wie ist denn eigentlich die Kritikermeinung zum Film?
H: Sie war recht gut, als der Film nur einigen Kritikern aus Vorpremieren bekannt war, ist aber seit der Veröffentlichung des Films schlechter geworden. Es hat den Anschein als tendiert sie zum Mittelmaß, was in diesem speziellen Fall heißt: Viel Lob von den Einen, viel Kritik von den Anderen. Gibson spaltet die Menge.
A: Wie auf der Leinwand, so auch im wahren Leben, wenn ich mir mal einen Scherz erlauben darf.
H: Du darfst. Fandest du den Film denn zu brutal?
A: Nein, ganz und gar nicht. Ich fand ihn... angemessen brutal. Am Anfang, beim Überfall auf das Dorf, ist der Film fast visuell zurückhaltend. Gemessen an dem, was beispielsweise die amerikanische Kavallerie in „Wiegenlied vom Totschlag“ am Ende im Indianerdorf anrichtet und wie das inszeniert wurde, ist „Apocalypto“ tatsächlich mit Zurückhaltung inszeniert – ohne, dass diese Szenen deswegen ihren Schrecken verlieren.
H: Ja. Dafür ist der Mittelteil, damit meine ich besonders die Ereignisse in der Stadt, natürlich wesentlich deutlicher bebildert, aber das trägt zu der unheimlichen Atmosphäre dieser Szenen bei. Die Fremdheit der Stadt, die Krankheit, der Lärm, die Menschenmassen, ja überhaupt die Moden und Sitten, die man dort sieht – von all dem ist die Gewalt der Opferungsszenen ein Bestandteil, die man subtiler gar nicht darstellen muss. Der Rausch des Widerwärtigen betont die religiöse Verzweiflung der Massen und das dekadente Vergnügen der Oberschicht, die beide mit dem Blutvergießen verbunden sind.
A: Und das Leibermeer, das „Pranke des Jaguar“ überquert als er den Menschenjägern entfliehen kann, wirkt tatsächlich wie ein abschließender Kommentar zu der Stadt, die es produziert hat. Es ist ein Höllenbild, wie es in der christlichen Malerei vorkommen könnte.
H: Gleichzeitig erinnert es mich an eine heute bekannte Geheimrede Himmlers, in der es hieß: „Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Und dies durchgehalten zu haben, und dabei (...) anständig geblieben zu sein“, das sei ein „Ruhmesblatt“ für die Angesprochenen. Anständig bleiben kann aber keine Gesellschaft, die sich für ein auserwähltes Volk hält und der Andere nur als Opfer und Sklaven taugen.
A: So abwegig ist die Idee vielleicht nicht... die Menschenjäger, die da unterwegs sind, sind ja auch keine ganz wilden Räuberbanden. Sie sind im Gegenteil gut funktionierende Auftragsarbeiter, einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Man beachte die Spezialwerkzeuge, wie die an Stöcken befestigten Schlingen, die sie benutzen. Der Überfall auf das Dorf ist kein Akt der Blutfehde, keine Neidhandlung, nichts Spontanes oder ähnliches, sondern gut geplant und von Spezialisten mit gedrosseltem Hang zum Exzess ausgeführt. Sie sind auch nur ein Rad im Getriebe, handeln im Auftrag, nicht aus Impuls.
H: Die Berechnung ihres Handelns zeigt sich übrigens auch in ihrer Übungsanlage, diesem zweckmäßigen Ort an dem Gefangene als bewegte Ziele herhalten müssen. Die Stadt und deren Bewohner sind letztlich ebenso fortschrittlich wie verkommen. Wir sehen eine Hochkultur, die der „primitiveren“ Dorfgemeinschaft moralisch oder im Punkt des Zusammenlebens unterlegen ist.
A: Das taugt vielleicht nicht zur Botschaft, aber unterschwellige Skepsis gegenüber gegenwärtigen Pendants dieser Kultur wird man da durchaus erkennen dürfen. Jedenfalls konnte man ja auch schon in Gibsons Jesus-Film Parallelen zwischen den römischen Legionären und den amerikanischen Soldaten im Irak ausmachen.
H: Und dort wie hier war die jeweilige Hochkultur kein Sieger der Geschichte, was, wenn man die Filme auch als auf die Gegenwart bezogen sehen will, nichts weniger heißen würde, als dass Gibson seine Wahlheimat auf dem falschen Weg sähe.
A: Ja. Noch mal zurück zur Gewalt, da haben wir den Schlussteil noch nicht erwähnt...
H: ...in dem der Film sich noch mal wandelt. Gewährt er erst einen kurzen Einblick in das Leben der Dorfgemeinschaft und wird dann zum Höllentrip, so ist er am Ende ein Actionfilm.
A: Und noch dazu ein sehr klassischer. Ein Mann, allein gegen eine Überzahl. Aber mit Heimvorteil. Für John Rambo war der Wald sein zweites Zuhause, für „Pranke des Jaguar“ ist er schlichtweg das erste.
H: Ja, ein bisschen „Rambo“, erster Teil natürlich, ein bisschen „Auf der Flucht“ – ist die Wasserfallszene eigentlich noch ein Zitat oder schon fester Bestandteil des Actionfilmbausatzes geworden? –, ein bisschen „Predator“...
A: Kurzum: Das ist der Teil des Films, der am wenigsten originell ist, weil er sich merklich aus genretypischen Versatzstücken zusammensetzt. Er ist trotzdem nicht schlecht.
H: Natürlich nicht. Das Ganze ist spannend gemacht und in der Wahl einiger Waffen dann doch wieder originell. Oder von mir aus vielleicht auch nur aus weniger bekannten Filmen übernommen, wer weiß das schon. Im südamerikanischen Ethno-Actionfilm stößt mein ohnehin begrenztes Fachwissen dann doch an seine Grenzen...
A: Traurig, aber verzeihlich.
H: Jedenfalls: Der Schluss des Films gefällt mir. Ich kann aber verstehen, dass er für manche Zuschauer nur das letzte Element ist, das ihnen den Film gänzlich vergällt. Man hätte ja einen anderen Film über diese fremde Kultur machen können und gewalttätige Filme sind ja ohnehin weder Jedermanns Sache, noch Gegenwartstrend. Zumindest sind explizite Gewaltdarstellungen in letzter Zeit eher in der Horrornische zu finden, während sie im Mainstreamkino, speziell dem Actionfilm eher auf dem Rückzug sind.
A: Ja, selbst innerhalb mancher Filme ist dieser Umschwung zu erkennen, wie beispielsweise in „Bad Boys 2“, dessen härteste Szenen ja keine Actionszenen, wie Schießereien und ähnliches, waren, sondern eher diejenigen, die durch unappetitlichen Splatterhumor – man denke etwa an die Szenen im Leichenhaus – auffielen.
H: Unter diesem Aspekt war schon Gibsons „Braveheart“ unzeitgemäß, „The Passion of the Christ“ ohnehin und „Apocalypto“ schert da nicht aus. Da macht sich vielleicht Gibsons Prägung durch das Actionkino der 80er bemerkbar. Mit dem Geist gegenwärtiger Blockbuster und möglicherweise auch des Geschmacks vieler Kinogänger ist das aber nicht unbedingt in Einklang zu bringen. Da kann der Film noch so gut und wenig langweilig inszeniert sein.
A: Gutes Stichwort. Trotz der beachtlichen Laufzeit fühlt sich „Apocalypto“ nicht überlang an, oder?
H: Nein. Es gibt ein paar Dinge, die mir beim ersten Anschauen minimal zu lang vorkamen, oder mir, in Bezug auf die Frau und das Kind, zu oft wiederholt schienen, aber ich muss zugeben, dass sich das beim zweiten Kinobesuch...
A: ... du Irrer...
H: ... erledigt und nicht etwa verschlimmert hat. Die Szenen mit der Frau und dem Kind des Helden legen übrigens noch ein Genre, den Thriller, nahe, stellen also einen weiteren Teil des Films dar. De facto wird da aus der Parallelmontage vom Schicksal der zerrissenen Familie viel Spannung aufgebaut.
A: Diese Szenen sind aber auch drehbuchtechnisch sehr konstruiert. Ihnen wird alles abgemolken, was sie hergeben. Einerseits muss man das vielleicht, wenn man den Film in diesen Szenen nicht bremsen oder diese Szenen nicht ganz herausnehmen will. Letzteres kann man übrigens schon deshalb nicht machen, weil der Zuschauer durch sie immer wieder daran erinnert wird, dass „Pranke des Jaguar“ durchaus noch etwas hat, wofür zu leben sich lohnt.
H: Die Sonnenfinsternis kann man übrigens ähnlich kritisieren und verteidigen. Kritisieren, weil sie dramaturgisch natürlich sehr gelegen kommt und aus naturwissenschaftlicher Sicht zu schnell vonstatten geht. Verteidigen, weil Unterhaltung diese dramaturgische Zuspitzung manchmal braucht um größere Effekte zu erzielen und weil man es so sehen könnte, das Gibson uns den stundenlangen Vorgang der Sonnenfinsternis und ihrer Wirkung auf die Städter hier gnädig komprimiert darbietet.
A: Abschließende Frage: Deine Lieblingsszene?
H: Ausnahmslos alles in der Stadt, von den „weißen Männern“ bis zur schon erwähnten Flucht über die Menschenmüllhalde. Wenn ich nun wirklich eine Szene herauspicken muss: Der Kampf zwischen dem Helden und dem Sadisten aus der Menschenfängerschar, als beide aufeinander zustürmen. Eine sehr gut gemachte Actionszene. Oder... wenn ich etwas ohne Blutvergießen nehmen soll: Besonders schön finde ich auch die Lagerfeuerszene. Aber du siehst – es gibt für mich wegen der schieren Menge keine leicht zu findende Antwort. Eine Gegenfrage: Deine am wenigsten liebste Szene?
A: Schwer zu sagen. Das kranke Mädchen, das den Vorbeiziehenden die Prophezeiung verkündet. Die Kleine ist niedlich, aber überzeugt mich nicht schauspielerisch. Ihr Text klingt zu auswendig gelernt. Kommt noch dazu, dass mir diese Szene eben zu prophetisch ist, wobei man da natürlich einwenden könnte, dass das Mädchen das, was sie da sagt, genauso gut als Legende oder Erzählung gehört haben kann. Dass die einzelnen Bestandteile dieser Worte dann tatsächlich eintreten, stört mich seltsamerweise gar nicht, vielleicht weil sie das Mystisch-Prophetische als Zufälliges outen.
H: Im Großen und Ganzen aber ein Daumen nach oben?
A: Ganz eindeutig, ja. Zu schön, zu spannend und zu faszinierend ist das bei einigen Schwächen gemacht, als dass ich den Film schlecht finden wollte.
H: Sehe ich ähnlich. Vielleicht spielt da auch ein Mut- und Exotenbonus eine Rolle, aber das wird man im laufe der Zeit sehen. Im Moment also: Two thumbs up.

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Dirty Harry


Dirty Harry

„Well, then the law is crazy!“ – Dirty Harry, Pauline Kael und rechtes Wunschdenken



Kael

Regisseur Don Siegel und Schauspieler Clint Eastwood hatten bereits bei drei Filmen zusammen gearbeitet – namentlich Coogan’s Bluff (1967), Two Mules for Sister Sara (1969) und The Beguiled (1970) – als sie sich 1971 wiederum zusammentaten um den Film zu drehen, der zu einem Höhepunkt in beider Künstler Karrieren werden sollte: Dirty Harry. Für Eastwood war die Rolle nicht allzu schwer zu meistern, erinnerte doch vieles an Harry Callahan an Eastwoods Western-Rollen, und Siegel hatte bereits 1967 zwei Filme gedreht, die ihn auf diesen vorbereiten sollten: Madigan und den bereits genannten Coogan’s Bluff. Beide Werke wurden von Kritikern für ihren lakonischen Humor gelobt, bei Madigan wurde der Realismus positiv hervorgehoben und Coogan’s Bluff verschaffte Siegel Übung darin, Eastwoods Mythos vom Western in die Großstadt zu transferieren.
Diese neuste Zusammenarbeit der Beiden war aber nicht nur ein großer Erfolg an den Kinokassen und avancierte sofort zum Meilenstein des Action- beziehungsweise Polizeifilms, sondern provozierte auch heftige Attacken von wütenden Kritikern, die dem Film vorwarfen er sei reaktionär und rechts-gerichtet. Die berühmte Kritikerin Pauline Kael, vielleicht die prominenteste Gegnerin des Films, war die erste, aber bis heute wahrlich nicht die einzige, die sogar noch weiter ging und meinte Dirty Harry sei: „ein faschistischer Film“, „ein rechter Wunschtraum, (…) der para-legale Polizeigewalt und Selbstjustiz propagiert“ und „ein bemerkenswert zielstrebiger Angriff auf liberale Werte”. Ihr Fazit: „Das Action-Genre hat immer faschistisches Potential gehabt und in diesem Film tritt es zutage.“ Ist dem so? Ist Dirty Harry, der Film Eastwoods, dessen Popularität bei den Fans derjenigen der Für-eine-Handvoll-Dollar-Trilogie entsprechen dürfte, also ein filmischer Sendbote des Faschismus?
Bevor man dieser Frage größere Aufmerksamkeit widmet, ist es angebracht erst einmal mit dem simpelsten Schritt zu beginnen, nämlich dem Versuch zu definieren was ein „faschistischer Film“ ist und dann zu sehen, ob diese Definition auf Dirty Harry anwendbar sei. Aber schon hier ergeben sich Probleme: Historisch besehen, ist ein „faschistischer Film“ ein Werk, das in einem faschistischen Land gedreht wurde, die Ideologie dessen Herrscher transportiert (Veit Harlans Jud Süß) und das sich oft durch den Hang zu einem gewissen heroischen visuellen Stil auszeichnet, wie ihn Leni Riefenstahl in ihren Dokumentationen maßgeblich geprägt hat. Diese Definition kann nun aber nicht auf einen amerikanischen Film des Jahres 1971 angewendet werden, weswegen eine zweite allgemeinere Begriffsbestimmung versucht werden kann, die einzig und allein auf die Botschaft eines Filmes achtet. Demnach müsste ein „faschistischer Film“ faschistisches Gedankengut verbreiten, also eine Mischung aus extremem Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Antikommunismus und Antiliberalismus. Nun wurde Dirty Harry selbst von seinen schärfsten Kritikern lediglich in zwei dieser Kategorien für schuldig befunden – weil sie den Protagonisten für einen Rassisten hielten und den Film generell als anti-liberal empfanden – aber das Wesen des Faschismus, und damit auch des faschistischen Films, zeichnet sich nun einmal durch die Verquickung dieser Faktoren aus, weshalb es – besonders in Anbetracht der Schwere des Vorwurfs – eine unzulässige, unseriöse und letztlich falsche Verwendung von Begriffen darstellt, wenn Kael und alle die ihr bis heute folgen Dirty Harry als „faschistisch“ brandmarken.
Damit ist natürlich noch nichts über die Berechtigung der eigentlichen Vorwürfe gegen den Film gesagt (dazu mehr im Folgenden), aber die Ausführungen sollten aufzeigen, dass es wünschenswert wäre, wenn Kritiker bei der Betrachtung von Filmen ihre eigenen politischen Ansichten nicht die Oberhand gewinnen lassen, denn genau das scheint hier passiert zu sein: Pauline Kael war 1971 ein junge, liberale Kritikerin, die bekannt geworden war als sie Bonnie and Clyde wortgewandt gegen die Angriffe älterer Kritikergenerationen verteidigte, die den für damalige Verhältnisse in Bezug auf die Darstellung von Sexualität und Gewalt ungemein freizügigen Film für eine unmoralische Ausgeburt des Sittenverfalls hielten. Vergleicht man Kaels Reaktion auf beide Filme, drängt sich der Verdacht auf, dass sie, wie viele andere ihrer Generation, zweierlei Maß anlegte: Bonnie and Clyde ist ja politisch auch kein ganz unproblematischer Film, sondern dreht und verdreht seine historische Vorlage so, dass seine Protagonisten als Identifikationsfiguren für die aufsässige Jugend Amerikas taugten, dass sie als moderne Robin Hoods erscheinen, als romantisch verklärte Rebellen, die vom „System“ schließlich hinterrücks ermordet wurden. Kael hatte nie Probleme mit der Manipulation des Zuschauers und der Romantisierung des Gangsterlebens in diesem Film und akzeptierte seine politische Voreingenommenheit – übrigens zu Recht, denn Bonnie and Clyde ist schließlich ein hervorragend gemachter und mitreißender Film –, reagierte aber überzogen, als sie bei Dirty Harry eine ähnliche, aber politisch anders gelagerte Vorgehensweise zu entdecken glaubte. Und eben in dieser fast reflexartigen Überreaktion liegt Kaels Fehler: Wenn sie Siegels Film als konservativ empfand, dann ist das ihr gutes Recht und nicht mal abwegig, ihn aber als „faschistisch“ zu diffamieren, ist inakzeptabel. Wie Ekkehard Knörer schreibt: Pauline Kael, die sich immer einen etwas begrenzten Begriff von dem gemacht hat, was Kino heißt, hat sich nicht anders zu helfen gewusst, als Dirty Harry zu hassen und Clint Eastwood und Don Siegel gleich hintendrein. Beredtes Beispiel dafür ist ein Interview von 1998, in dem sie äußerte: In a Clint Eastwood movie, you identify with the guy with the biggest gun, not the victim.Aber verteidigt der guy with the biggest gun denn nicht die Opfer? Oder wollte Kael allen Ernstes vorschlagen, dass einer wie Scorpio, der Erpresser, Vergewaltiger und Mörder aus Dirty Harry, zu den Opfern zählt, mit denen sich der Zuschauer im Rahmen dieses Filmes identifizieren sollte? Wenn dem so wäre, müsste man wieder auf Bonnie and Clyde verweisen und fragen, warum es dort nicht Kaels Widerspruch herausforderte, wenn der Tod zweier gewöhnlicher, mehrfacher Raubmörder als emotionaler Höhepunkt des Films dient, wohingegen viele Opfer der Beiden nur kurz oder gar nicht erwähnt werden.
All die eben angestellten Betrachtungen waren nur Antwort auf einen oberflächlichen Vorwurf, dementsprechend konnte dabei nicht näher ins Detail gegangen werden. Aber es gibt auch Kritik an Dirty Harry, die sich nicht mit einfachen semantischen Betrachtungen beiseite fegen lässt. Wenn man ihr begegnen will, ist es am sinnvollsten die beiden Hauptfiguren des Films näher zu betrachten, weil die meisten negativen Äußerungen gegen den Film direkt mit der Gestaltung des Polizisten Harry Callahan und des von ihm gejagten Verbrechers Scorpio zu tun haben.


Scorpio

Scorpio ist in der Tat einer der skrupellosesten und unmenschlichsten Verbrecher, die man sich vorstellen kann: Er erpresst die Stadt San Francisco, droht willkürlich Bürger zu erschießen, wenn man nicht auf seine Geldforderungen eingeht (If I do not hear from you it will be my next pleasure to kill a catholic priest or a nigger, steht am Ende des Erpresserbriefes, dessen letztes Wort der Polizeichef bei der Lagebesprechung gar nicht auszusprechen wagt), er kidnappt, missbraucht und quält ein junges Mädchen als er sich von der Stadt betrogen fühlt, hat sichtlichen Spaß daran Callahan bei der Geldübergabe zu schlagen. Andy Robinson spielt diesen Scorpio angsteinflößend glaubwürdig und gibt Eastwoods Harry Callahan eine starke Motivation für sein Handeln. Viele liberale Kritiker hatten mit Scorpio ihre Probleme, da sie ihn als unrealistische Figur empfanden und als Verkörperung des böswilligen rechten Klischees vom verrückten Hippie. Beide Vorwürfe kann man entkräften: Das Drehbuch ist durchaus nicht unrealistisch, basiert es doch, zumindest für die anfänglich von Scorpio begangenen Verbrechen, auf dem wahren Fall des „Zodiac Killers“ (man beachte allein den Zusammenhang zwischen den Namen: „zodiac“ = „Sternzeichen“, „Scorpio“ = „Sternzeichen Skorpion“), der ebenfalls mit einem Scharfschützengewehr wahllos Menschen ermordete und nur bei Zahlung eines hohen Geldbetrages damit aufhören wollte. (Der reale Fall wurde übrigens nie geklärt.) Der andere Punkt (Scorpio als evil hippie) ist von größerer Bedeutung – würde er tatsächlich zutreffen, könnte man dem Film durchaus reaktionäre Tendenzen vorwerfen – kann aber ebenso widerlegt werden wie der erste: Es gibt im ganzen Film keinen wirklichen Hinweis darauf, dass Scorpio sich mit der Hippie-Bewegung identifizieren würde. Die von Kritikern immer wieder erwähnte Gürtelschnalle in Form des peace-Zeichens, die Scorpio bei weitem nicht während des ganzen Filmes trägt, sondern die nur in zwei kurzen Szenen sichtbar wird, ist ein schwaches Indiz, weil sie erst sehr spät im Film auftaucht, weil sie nur kurz sichtbar ist, weil es sich dabei nicht um ein reguläres peace-Zeichen handelt, sondern um ein seltsam verzerrtes, dass durchaus Scorpios verschrobene Psyche symbolisieren kann. Des weiteren wird, als Callahan Scorpios Wohnung aufbricht, am Kühlschrank des verrückten Mörders eine amerikanische Flagge sichtbar. Würde man der ähnliche Beachtung wie der Gürtelschnalle schenken – es handelt sich hier schließlich um eine Dekoration, die Scorpio in seiner abgeschiedenen Wohnung für sich gut sichtbar angebracht hat – dann könnte man mit der gleichen Berechtigung behaupten, Scorpio sei ein typisches Beispiel für einen jener fanatisch-verwirrten Patrioten, die man in Amerika häufiger trifft, als in anderen Ländern der westlichen Zivilisation. Dies wäre aber ebenfalls eine irrige Annahme. Sinnvoller wäre es die Leichtigkeit und Unbeschwertheit mit der Scorpio die beiden Symbole annimmt ohne sich daran zu stören, dass diese üblicherweise unterschiedliche politische Richtungen repräsentieren, als Indiz für seine Formlosigkeit zu nehmen: Er ist deswegen so bedrohlich, weil man nicht weiß, was dieser Mann eigentlich will oder warum er es will. Die verschiedenartigen Gewaltverbrechen, die Scorpio begeht, scheinen unzusammenhängend, planlos und undurchschaubar. Und da er in San Francisco lebt, der Hauptstadt der Blumenkinder, in der er umgeben ist von den Symbolen und Spuren der Hippies, ist es gut vorstellbar, dass er deren bekanntestes Markenzeichen trägt, ohne die dadurch verkörperten Ideale auch nur ansatzweise zu teilen, sondern weil es ein angepasstes modisches Accessoire ist. Insofern hat die fiktive Gestalt Scorpio sogar wesentlich weniger mit den Hippies zu tun, als der leider reale Charles Manson und seine „Familie“. Außerdem macht es sich der Film bei weitem nicht so einfach wie die Kritiker. So gibt es zum Beispiel eine Szene in der Callahan von seinem Vorgesetzten Lieutenant Bressler jene berüchtigte Frage gestellt bekommt, die damals normalerweise für die besorgten Eltern rebellischer Kinder reserviert war: When the hell you going to get a haircut? Callahan straft diese Frage mit einer für ihn typischen schnippischen Antwort ab, aber in der Tat ist seine Frisur weit von dem zackig-militärischen Kurzhaarschnitt entfernt, den man eigentlich bei einem harten rechten Polizisten erwarten würde. Dennoch macht ihn dieses Detail ebenso wenig zum Hippie, wie die Gürtelschnalle dies bei Scorpio tun könnte. Hätte Don Siegel Scorpio als prototypischen Hippie darstellen wollen, dann hätte er dies ohne weiteres tun können. Stattdessen hat er ihn aber zu einem unauffälligen Mann gemacht, dessen sinnlose Verbrechen ein Abbild seiner Gesichtslosigkeit sind. Scorpio ist damit weit entfernt von einem Klischee, erst recht von einem rechten.


Callahan

Viele Vorwürfe gegen den Film richten sich direkt gegen die Figur des Helden, gegen Inspektor Harry Callahan. Da wäre zum Beispiel die Frage, ob dieser ein Rassist sei. In dieser Frage Hilfe bei Äußerungen des Regisseurs zu suchen, stiftet auf den ersten Blick Verwirrung, da Siegel verschiedene Antworten parat hat. Statement Nummer 1: Dirty Harry is a tough cop, a racist son of a bitch, who's faced with a crazy sniper and naturally blames everything on blacks and other minorities.Würde dieser Satz von einem Kritiker geäußert, man müsste daran zweifeln, ob er den Film überhaupt gesehen hat. Wie Siegel auf die Idee kommt, dass Callahan „den Schwarzen und anderen Minderheiten die Schuld für alles gibt“ bleibt rätselhaft. Unter anderem auch wegen Statement Nummer 2, in dem sich Siegel zu einer Szene äußert, die nach dem Banküberfall zu sehen ist, bei dem der Polizist zwei schwarze Bankräuber erschossen hat, dabei selbst angeschossen wurde und nun von einem schwarzen Arzt (offenbar ein alter Freund des Inspektors) behandelt wird: The studio thought it was unnecessary, and had it taken out of the script. I've put it back. (…) The scene cost only $500 and it says a hell of a lot about Harry – that he isn't just a bundle of prejudices, that he has a certain amount of humanity as well.Callahan ist aber nicht nur seit Jugendtagen mit (mindestens) diesem einen Schwarzen befreundet, sondern er legt während des Films auch kein rassistisches Verhalten an den Tag. Der Verweis darauf, dass er bei dem von ihm vereitelten Banküberfall den verletzten schwarzen Räuber mit dem berühmt-berüchtigten Do you feel lucky-Monolog quält, ist kein Beweis für Rassismus, sondern nur ein Beispiel für Callahans rohen und zynischen Humor. (Eine andere wichtige Funktion dieser Szene wird später noch erläutert werden.) Als Beweis dafür kann man die Art nehmen, wie Callahan mit allen seiner Mitmenschen umgeht, denn er verschont niemanden mit seinem ruppigen Humor, nicht einmal den (weißen) Mann, der sich von einem Häuserdach in den Tod zu stürzen droht. Der Rassismusvorwurf wird selbst im Film angesprochen, als Chico Gonzales (sein neuer Partner, mit offensichtlich mexikanischen Wurzeln) Callahan nach dem Ursprung seines Spitznamen fragt:

Gonzales: Why do they call you “Dirty Harry”?
De Georgio: That’s one thing about our Harry. (…) Harry hates everybody: limeys, micks, hebes, dagos, niggers, honkies, chinks. (…)
Gonzales: How does he feel about Mexicans? (…)
Callahan (De Georgio kaum merklich zublinzelnd): Especially spics.

Die schlagfertige Antwort Callahans alleine macht klar, dass De Georgios Aussage nicht ernst zu nehmen ist, das verschwörerische Zublinzeln unterstreicht das Ganze noch. Jenseits dieses eindeutig als Scherz erkennbaren Moments, wird man Mühe haben Beweise zu finden um Callahan auch nur ansatzweise des Rassismus zu bezichtigen.
Ein weiterer Vorwurf gegen den Film war und ist, er sei reaktionär, weil er Selbstjustiz verherrliche. Dieser Punkt wird noch nicht mal von vielen Fans des Filmes bestritten. So kann man beispielsweise in der für die DVD-Veröffentlichung des Filmes neu produzierten Dokumentation Dirty Harry: The Original unter anderen Arnold Schwarzenegger sagen hören, dass er glaube, Harry Callahan sei eine so beliebte Figur, weil er außerhalb des Rahmens der Gesetze arbeite. Dies ist übrigens auch der übereinstimmende Tonfall fast der gesamten Dokumentation, die zwar viel über die Sichtweise konservativer Hollywoodgrößen auf diesen Film aussagt, aber nicht viel über den Film selbst. Schaut man aber genauer hin, offenbart sich, dass der Film wesentlich differenzierter vorgeht.
Da wäre zum Beispiel der Banküberfall am Anfang des Filmes: Callahan sitzt in einem Imbiss, in einer nahegelegenen Bank findet ein Überfall statt, Callahan greift ein und bringt die Räuber – immer noch auf Resten seines Hotdogs kauend – zur Strecke. Schwarzenegger beschreibt seine Erinnerung an diese Szene in der bereits erwähnten Dokumentation so, als ob Callahan sich – ohne einen Gedanken an die Regeln der Polizeiarbeit zu verschwenden – einfach ins Geschehen gestürzt und das Feuer auf die Verbrecher eröffnet hätte. Dem ist aber nicht so. Der Inspektor bittet den Besitzer des Imbisses die Polizei zu rufen und hat überhaupt nicht vor, ohne Unterstützung etwas zu unternehmen: Now, if they’ll just wait till the cavalry arrives… Den Gefallen tun ihm die Bankräuber aber nicht und erst jetzt entschließt sich Callahan einzuschreiten, woraufhin die Ganoven als erste das Feuer auf ihn eröffnen.
Als Callahan später als Bote das von der Stadt aufgebrachte Lösegeld für das entführte Mädchen an Scorpio übergeben soll, handelt er zuwider der Anweisungen seines Vorgesetzten und nimmt seinen Partner Gonzales als Rückendeckung mit. Dies erweist sich als gute Idee, denn während Gonzales sich so unauffällig verhält, dass er die Geldübergabe nicht platzen lässt, kann er doch zur Rettung seines Partners einschreiten, als Scorpio sich anschickt den Inspektor nach der erfolgten Überbringung des Geldes zu töten. Callahans Handeln ist einerseits nur ein kleiner Verstoß gegen die Regeln, andererseits aber eine sinnvolle Entscheidung – Callahans Chef schreckte davor zurück, weil er von Scorpios ungewöhnlichem und skrupellosem Vorgehen so eingeschüchtert ist, dass er keinerlei Risiko einzugehen gewillt ist. Callahan aber, und nichts anderes soll durch sein Handeln ausgedrückt werden, ist aus einem anderen Holz geschnitzt: Er will die Geldübergabe – und damit die Unversehrtheit der Gekidnappten – nicht gefährden, will aber auch nicht einsehen, warum sich die Behörden einem geistesgestörten Verbrecher passiv und devot ausliefern oder dessen Versprechen blindlings Glauben schenken sollten. Das ist keine Selbstjustiz, sondern gesunder Menschenverstand.
Aber die wirklich problematischen Szenen folgen erst noch. Noch in der Nacht der entgleisten Geldübergabe (Scorpio entwaffnet, demütigt und verletzt Callahan, wird von Gonzales davon abgehalten ihn zu töten, schießt Gonzales an und kann mit einer Stichwunde im Bein fliehen) kann der lädierte Inspektor die Verfolgung des Missetäters wieder aufnehmen, da sich ein Arzt bei der Polizei meldet, der einen Mann mit einer Stichwunde behandelt hat. Mehr noch: Der Arzt kann sich daran erinnern woher er den Mann kennt und wo dieser wohnt, nämlich als Hausmeister in einem nahegelegenen Footballstadion. (Alvy Singer empfindet diese Konstruktion als sehr weit hergeholt und daher als Beispiel für bad screenwriting. So recht widersprechen kann man dem nicht. Aber die Brillanz der durch diese arg simple Konstruktion ermöglichten folgenden Szene im Stadion entschädigt den Zuschauer dafür allemal.) Callahan tritt die Tür von Scorpios Wohnung ein und durchsucht diese ohne eine entsprechende richterliche Genehmigung dafür zu haben. Was folgt ist noch schlimmer: Als Callahan Scorpio schließlich findet, schießt er diesen an, obwohl er sich schon ergeben hatte und foltert ihn, indem er mehrfach gegen Scorpios frische Wunde tritt. Callahan übertritt hier eindeutig die Grenze des Gesetzes, aber es ist äußerst wichtig zwei Dinge zu dieser Szene festzuhalten: (1.) Die Art wie das Geschehen präsentiert wird, macht klar, dass Callahan etwas falsches tut. Nichts ist hier heroisch oder glorifizierend. Die tiergleichen Schreie des verwundeten Mörders, die pulsierende wilde Musik, die Kamera, die den Ort des Geschehens in einer Rückwärtsbewegung verlässt bis die beiden Männer schließlich in der das Stadion umgebenden Dunkelheit verschwinden – all diese Elemente schaffen eine von Wahnsinn und Schmerz geprägte Atmosphäre, welche Callahans Akt der Gewalt nicht entschuldigt, sondern klar betont, dass er hier zu weit geht. (2.) Obwohl im Film eine gewisse Symmetrie zwischen dem Polizisten und dem Kriminellen etabliert wird (das Verschwimmen der Beziehung von Jäger und Gejagtem, vergleichbares Handeln der Beiden [Callahan lauert dem Heckenschützen Scorpio auf, indem er sich ebenfalls mit einem Scharfschützengewehr bewaffnet], visuelle Gegenüberstellungen), so werden sie einander doch nicht gleichgestellt. Callahan foltert Scorpio, so wie Scorpio nur wenige Stunden zuvor Callahan folterte – der Unterschied dabei ist, dass Scorpio aus purem Sadismus handelte und es genoss den Polizisten leiden zu sehen, während Callahan auf diese Weise lediglich den Aufenthaltsort des entführten und um sein Leben kämpfenden Mädchens herausfinden will. Er mag kein Mitleid für Scorpio empfinden, aber er findet auch keinen Gefallen an dessen Leiden. Callahans Motivation und seine Gefühle während des Gewaltaktes sind völlig verschieden von denen des Killers. Die Argumente der beiden aufgeführten Punkte zusammenfassend, kann man also feststellen, dass der Film nachvollziehbar macht, warum Callahan so handelt wie er es tut, dies aber keinesfalls entschuldigt oder gutheißen würde.
Diese Szene stellt in bezug auf ihre Radikalität den Höhepunkt des Films dar. Für die Kritiker, die in Dirty Harry rechte Propaganda sehen, sind aber auch die Folgen der Stadionszene Bestätigung ihrer These: Callahans brutales und unrechtmäßiges Handeln führt dazu, dass Scorpio freigelassen werden muss, denn die in der Wohnung bei der unrechtmäßigen Durchsuchung gefundenen Beweisstücke würden bei einer Verhandlung nicht zugelassen werden und die Verhaftung entsprach keinen Vorschriften. Does Escobedo ring a bell? Miranda?, fragt der aufgebrachte Staatsanwalt den Inspektor und verweist auf zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes der USA, die vor unrechtmäßigen Hausdurchsuchungen schützen sollten (Escobedo) und festlegten, dass einem Verdächtigen bei seiner Festnahme seine Rechte vorgetragen werden müssen (Miranda). Callahan antwortet auf diese Frage nicht, blickt den Richter aber mit derartig gerunzelter Stirn an, als hätte er davon tatsächlich noch nie etwas gehört. What I’m saying is, that man had rights, fährt der Staatsanwalt fort, worauf Callahan nur eine, wie gewohnt trockene, Antwort hat: Well I’m all broken up about the man’s rights. Der Staatsanwalt eröffnet Callahan dann, dass er es nicht zum Prozess kommen lassen werde, da es ihm nicht erlaubt sei Scorpios Gewehr als Beweis anzuführen.

Callahan: Who says that?
District Attorney: It’s the law!
Callahan: Well, then the law is crazy!

Scorpio ist ein freier Mann, weil Callahan dessen Rechte verletzt hat. Der Inspektor ist wütend: And Ann Mary Deacon, what about her rights? She’s raped and left in a hole to die! Who speaks for her?Zusammen mit Callahans ominöser Ankündigung, dass Scorpio sich nicht allzu lange draußen herumtreiben werde, ergeben all diese Äußerungen natürlich den Eindruck, der Film unterstelle der modernen Rechtssprechung sie kümmere sich mehr um die Rechte der Täter als um die der Opfer und dass man deswegen die Sache selbst in die Hand nehmen müsse. Dass es dem Film aber nicht darum geht das Recht zu diskreditieren oder liberale Vorstellungen zu verleumden wird in diesen Szenen trotzdem deutlich. Der Staatsanwalt ist schließlich nicht sauer auf Callahan, weil ihm alleine Scorpios Wohl am Herzen liegen würde, sondern weil er wegen des skrupellosen Vorgehens des Inspektors einen unzweifelhaft schuldigen Mann freilassen muss: I’ve got a wife and three kids. I don’t want him on the street any more than you do.Es ist weder die Schuld der Justiz, dass Scorpio nicht belangt werden kann, noch entspricht dies den Wünschen der Vertreter des Gesetzes. Es tut sich hier aber eine Kluft auf, zwischen Recht und Gerechtigkeit. Die Autoren und der Regisseur dieses Filmes haben sich dies aber nicht aus den Fingern gesogen, sondern dabei lediglich eine Debatte in den Film miteingearbeitet, die in der amerikanischen Öffentlichkeit geführt wurde und die bis zum heutigen Tage jedem Bürger von Staaten mit einem geregelten Rechtssystem vertraut ist. Dirty Harry erhebt dabei keinen Anspruch darauf einen allgemeingültigen Fall zu präsentieren: Nicht dass Scorpio unvorstellbar wäre, aber reale Reibungen zwischen Gerechtigkeitsempfinden der Öffentlichkeit und dem Buchstaben des Gesetzes ergeben sich selten in Fällen der totalen Kapitulation des Rechts (wie bei Scorpio), sondern eher dort, wo Urteile gesprochen werden, die in keinerlei Verhältnis zu den begangenen Taten zu stehen scheinen, wie man es auch hierzulande oft bei Prozessen gegen Sexualstraftäter erleben kann. Dirty Harry greift dieses Dilemma auf um seinen Helden zu motivieren und daraus eine emotionale Wucht zu ziehen, der sich der Zuschauer kaum verweigern kann – sogar Pauline Kael gab gerne zu, dass der Film unheimlich effektiv ist –, aber, und dies ist wichtig, der Film maßt sich nicht an eine Lösung parat zu haben. Denn im Anschluss an das Gespräch mit dem Staatsanwalt geht Callahan, trotz seiner dies implizierenden Drohung, nicht etwas los und tötet Scorpio in einem Akt der Selbstjustiz, sondern er verfolgt und beschattet ihn vielmehr auf eigene Rechnung, weil er weiß, dass Scorpio früher oder später wieder tätig werden wird. Damit bleibt Callahan letztlich im Rahmen des Gesetzes, versucht weder Scorpio etwas anzuhängen oder ihn zu provozieren, zeigt ihm lediglich, dass er nicht aufgeben wird.
Die finale Konfrontation zwischen dem Polizisten und dem Verbrecher fällt weniger radikal aus, als die im Stadion. Scorpio kidnappt einen Bus voller Schulkinder und verlangt Lösegeld, Callahan weigert sich zum zweiten Mal bag boy zu spielen und macht sich stattdessen auf Scorpio zu stellen, zwingt diesen den Bus zu verlassen, jagt ihn über das Gelände einer Kiesgrube und verletzt ihn schließlich mit einem Schuss. Was folgt ist eine Wiederholung dessen, was sich am Anfang des Films bei dem Banküberfall zutrug: Der Inspektor steht dem verletzten Verbrecher gegenüber, der nach seiner Waffe zu greifen versucht und hält seinen Do you feel lucky-Monolog. Aber auch hier wird man, wenn man nur näher hinsieht, bemerken, dass jene Kritiker irren, die dem Film vorwerfen: Verbrechen wird darin nicht als soziales Phänomen gesehen, sondern alle Verbrechen und alle Verbrecher werden mit dem psychopatischen Scorpio gleichgestellt (Alain Silver, Elisabeth Ward). Denn der Unterschied zwischen Callahans Einstellung gegenüber den beiden Verbrechern und deren jeweilige Reaktion ist offensichtlich: Während Callahan dem Bankräuber mit einem verspielten Zynismus gegenübertritt (man beachte seinen entspannten Gesichtsausdruck), ist er bei Scorpio wirklich angewidert, spricht mit großer Verachtung und spuckt ihm das Wort „Punk“ förmlich ins Gesicht – er macht also durchaus einen Unterschied zwischen den verschiedenen Verbrechen. Des weiteren macht auch der Film diesen Unterschied klar: Der Bankräuber sieht ein, dass er verloren hat, gibt vernünftigerweise auf. Scorpio hingegen, der nicht aus finanziellen Motiven, sondern aus purer Mordlust gehandelt hat, ist wahnsinnig genug, die Herausforderung des Polizisten anzunehmen anstatt sich verhaften zu lassen. Die Szene macht klar: Callahan würde selbst einen Verbrecher wie Scorpio nicht töten, wenn dieser ihn nicht direkt bedroht. Tatsächlich stellt er diesen lediglich vor die Wahl, bietet ihm quasi an zu bewiesen, dass Callahan sich in ihm getäuscht hat und er in seinem tiefsten Inneren doch vernünftig genug ist sein Leben zu retten, oder andernfalls zu bestätigen, dass er dumm genug ist nach seiner Waffe zu greifen und somit Callahan zu zwingen, ihn in Notwehr zu töten.
Nach dieser finalen Konfrontation wirft Callahan in einer Referenz an High Noon seine Polizeimarke dem toten Scorpio hinterher in den See. Warum? Ist es weil er den Glauben an das Gesetz verloren hat, weil er nicht mehr bereit ist sich zu engagieren, wenn ihm von liberalen Paragraphenreitern die Arbeit zunichte gemacht wird, oder vielmehr weil er spürt, dass er doch zu weit gegangen ist, dass Leute wie er nicht mehr in diese Zeiten passen und selbst die Gesetze behindern, die sie doch vertreten sollen? Auch wenn der letzte Punkt durch die nachfolgenden Fortsetzungen eher unwahrscheinlich scheint, kann er doch auf den Film alleine bezogen durchaus in Betracht gezogen werden.


Genre

Nach diesem erschöpfenden Versuch, den Vorwurf der Glorifizierung von Selbstjustiz anhand von Betrachtungen zur Handlung und den Charakteren zu entkräften, sollten noch ein paar allgemeinere Dinge über den Film und seine Einordnung in Genres angestellt werden, die ebenfalls der Entlastung des Films dienen sollen.
Man kommt nicht umhin festzustellen, dass Dirty Harry kein klassischer Detektiv- oder Polizeifilm ist. Zwar weist Callahan Ähnlichkeiten mit den Helden der hard boiled-Romane und -Filme auf, aber in seiner Geschichte geht es kaum um das Sammeln von Beweisen, das Befragen von Zeugen und das Ziehen kluger Schlussfolgerungen – Dirty Harry ist eher ein klassischer Actionfilm, der sich mit der Jagd auf einen Mann beschäftigt und weist auch einige Ähnlichkeiten mit Western auf. Innerhalb der Konventionen dieser Genres (und auch anderer) ist das gezeigte Geschehen bis hin zum Tod des Bösewichts durch die Hand des Helden keineswegs ungewöhnlich. (Kritisiert man Dirty Harry, käme man nicht umhin auch anderen Filmen ähnliche Vorwürfe zu machen: Ist nicht der Held von The Big Sleep ein Privatdetektiv, der mehrfach Gesetze bricht, nicht viel für die Polizei übrig hat und Menschen tötet oder in den Tod jagt? Ist das in High Noon gezeigte Bild der Gesellschaft nicht auch absichtlich böswillig, unrealistisch und negativ konstruiert? Diese Vorwürfe klingen freilich absurder als jene gegen Dirty Harry, könnten aber tatsächlich als konsequente Weiterführung der Kritik an Siegels Film gesehen werden.)
Dirty Harry wird auch als „Großstadtwestern“ bezeichnet, also als Film, der spezifisch Western-typische Elemente in eine andere Zeit und Umgebung versetzt. Inspektor Callahan ersetzt hier den Sheriff der Westernstadt und ist außerdem eine Inkarnation des silent stranger, einer Figur, die Eastwood vor und nach Dirty Harry wiederholt verkörperte. Diese Figur hat keine persönliche oder historische Identität, sondern ist ein anonymer einsamer Mann ohne Vergangenheit oder Zukunft (Franz Everschor). Dies passt als Beschreibung ebenso auf Callahan wie auf seine Western-Gegenstücke, weil der Inspektor als Mann mit kaum Freunden gezeigt wird, als jemand, der keine Frau hat (der Tod seiner Frau wird nur kurz von ihm angerissen und fügt dem Charakter keine psychologische Tiefe oder Motivation hinzu), keinen Hobbys nachgeht oder irgendeine Art Privatleben vorweisen könnte. Genau wie der schweigsame Fremde, der aus dem Nichts auftaucht und Gerechtigkeit bringt oder wie der Sheriff, der seiner Gemeinde dient, definiert sich Callahan darüber, dass er „seine“ Stadt schützt – jenseits seines beruflichen Engagements ist der Mann nahezu nicht existent, ein kaum greifbarer Geist. (Wobei nicht ignoriert werden sollte, dass Eastwood einen gewissen Einfluss auf die Wortkargheit seines Helden hatte, wie beispielsweise John Milius zu berichten weiß, der das Script für den zweiten Teil schrieb. Eastwood sei oft zu ihm gekommen und habe sich beklagt: Hier habt ihr mir zu viel Text gegeben. Ich bin nicht gut im Aufsagen von Texten. Aber ich kann gut starren…)
Da die Figur des silent stranger oft mit einem gewissen religiösen Subtext verbunden ist, wie in Eastwoods Filmen High Plains Drifter und Pale Rider oder in Sergio Corbuccis Il grande silenzio) ist es nicht verwunderlich, dass eben diese Motive auch in Dirty Harry zu finden sind: Eine große Kirche dominiert den Platz an dem Scorpio seinen zweiten Mord plant und Callahan überblickt ihn von einem Häuserdach aus, auf dem ein rotierendes Neon-Schild verkündet: „Jesus saves“. Für die Geldübergabe wählt Scorpio einen Park, der von einem gigantischen Kreuz beherrscht wird (Nicole v. Elert, Aruna Vasudevan). Scorpio zwingt Callahan sich gegen jenes Kreuz zu lehnen und verprügelt ihn dann dort. Des weiteren ist das erste im Film gesprochene Wort: „Jesus!“ Natürlich soll Callahan hier nicht mit Jesus identifiziert werden, wegen der Aufladung mancher Bilder mit christlichen Motiven, könnte man ihn aber als modernen biblischen Racheengel sehen, ein Eindruck der noch verstärkt wird von den zahlreichen Szenen in denen Callahan auf erhöhter Position steht und von dort die Stadt – seine Stadt! – überblickt.
Sinn dieser Betrachtungen sollte sein, darauf zu verweisen, dass Dirty Harry in erster Linie ein Genreprodukt ist, dass gewissen Konventionen unterworfen ist und dessen Botschaft – wenn man denn überhaupt eine erwartet – nicht an der Oberfläche liegt, sondern in den Zwischentönen zu suchen ist.


Fazit

Es ist auch heute noch faszinierend zu sehen, wie die Kontroverse um Dirty Harry weiterlebt, wobei sie manches Mal auch ärgerliche Züge annimmt, wenn etwa Kritiker sich damit begnügen beiläufig Äußerungen in den Raum zu stellen (besonders in bezug auf die Vokabel „faschistisch“) und sich nicht einmal die Mühe machen diese argumentativ zu untermauern. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Films war der Aufstand noch nachvollziehbar: Dirty Harry erschien 1971 in einer Zeit, in der innerhalb weniger Wochen ebenfalls Sam Peckinpahs schockierender Straw Dogs und Stanley Kubricks Clockwork Orange in die Kinos kamen, und zusammen sorgten diese Filme für eine erhitzte Diskussion über Filmgewalt, die eigentlich in keinem der drei Fälle jemals wirklich beendet worden ist. Heutzutage sollte es aber möglich sein, in diesen Filmen mehr zu sehen, als es die moralische Entrüstung damaliger Kritiker zuließ. Natürlich haben aber auch in der Vergangenheit sowohl die Art der Vermarktung, als auch der Tunnelblick einiger Fans des Films dazu beigetragen, dass Dirty Harry einen zwielichtigen Ruf behält. Letzteres wird durch die bereits erwähnten Äußerungen Schwarzeneggers bewiesen und den ersten Punkt bestätigt ein Zitat aus dem originalen amerikanischen Kinotrailer zum Film: This is a movie about a couple of killers, heißt es da, Harry Callahan and a homicidal maniac. The one with the badge is Harry. Folgte man dieser Aussage, dann stünde zwischen Callahan und Scorpio nicht viel mehr als die Polizeimarke des Inspektors – sonst wären sich die Männer gleich! Einspruch scheint da angebracht.
Zusammenfassend sei hier festgestellt, dass weder der Vorwurf, Dirty Harry sei ein „faschistischer Film“ gerechtfertigt ist, noch die Behauptung es sei sein Ziel liberale Rechtsprechung zu diskreditieren. Der eher liberale Regisseur Don Siegel und sein eher konservativer Schauspieler Clint Eastwood haben seit jeher darauf hingewiesen, dass der Film nie als politisches Statement gemeint war. Eastwoods Meinung nach geht es in dem Film einfach um die Frustration des Protagonisten. Im Subtext – und wie bei klassischen B-Filmen muss man hier auf eben jenen achten – verweist dies auf soziale und politische Bedingungen einer bewegten Zeit, ohne hierzu Lösungen anbieten zu wollen. So wie die Vertreter des critical western in erster Linie Genreprodukte waren, die aber unterschwellig ihre Kraft aus den Ungerechtigkeiten und amerikanischen Verbrechen des Vietnamkrieges zogen, so gehört Dirty Harry zu jenen Filmen, die die Ängste und Unsicherheiten der amerikanischen Öffentlichkeit ob der stetig steigenden Verbrechenszahl der 70er Jahre reflektieren, die verstärkt wurden, durch den Eindruck, dass die Opfer dieser Verbrechen den Behörden weniger Aufmerksamkeit wert seien, als die Täter. Harry Callahan selbst gehört zu jenen von urban alienation gezeichneten Protagonisten, die von dem Leben in der Großstadt völlig entfremdet sind. Als er einmal bei Nacht durch den Rotlichtbezirk der Stadt fährt und die Menschen anschaut, die dort anzutreffen sind, sagt er: Those loonies! Somebody ought to throw a net over the hole bunch!In diesem Moment klingt er wie ein alter ego Travis Bickles, des sozial verkrüppelten Protagonisten aus Martin Scorseses Taxi Driver. Und da sich Bickle vor seinem Amoklauf eine Smith and Wesson .44 Magnum kauft – eben jene legendäre Waffe Callahans – und sich ein Messer mit Klebeband ans Fußgelenk klebt, so wie es der Inspektor vor der Geldübergabe im Park macht, kann man sicher sein, dass Siegels Film (fünf Jahre vor dem Scorseses gedreht) zu den Inspirationsquellen für Taxi Driver zählte und sowohl Scorsese als auch Drehbuchschreiber Paul Schrader sich der Verwandtschaft der Figuren und der Thematik bewusst waren.


Ausblick

Besonders offensichtlich wird die Qualität von Dirty Harry wenn man ihn mit den zahlreichen law and order-, Selbstjustiz- und Rachefilmen vergleicht, die von seinem Erfolg zu profitieren suchten. Spätestens hier sollte auffallen, dass Dirty Harry eindeutig zu den besten Filmen dieser Kategorie zählt, dass er sein Thema erstaunlich wenig plakativ behandelt. Diese Qualität ging den Fortsetzungen langsam aber sicher verloren, wenn auch keine von ihnen je ein so erbärmliches Bild abgab, wie beispielsweise John Waynes kläglicher Versuch mit Brannigan auf diese Welle aufzuspringen.
Callahans zweiter Auftritt in Magnum Force war eindeutig geprägt von dem Versuch das negative Image des Helden bei liberalen Kritikern zu thematisieren, denn der Inspektor bekommt es in diesem Film mit eine Gruppe von selbsternannten Rächern zu tun, die auf eigene Faust Verbrecher ermorden. Ihre Versuche Callahan auf ihre Seite zu ziehen müssen fehlschlagen und bieten dem Inspektor Gelegenheit sich von diesen Mördern zu distanzieren – allein die Kritiker wollten es nicht verstehen und zeigten sich amüsiert ob des vermeintlichen Widersinns dieses Vorgangs. Darüber hinaus ist Magnum Force aber ein lupenreiner Actionfilm, ein blutiges und gewalttätiges Vehikel bei dem Callahan an allen Ecken und Enden der Stadt Überfälle, Geiselnahmen und andere Verbrechen mit trockenem Humor und gezielten Schüssen zu beenden weiß. Trotz (oder wegen?) dieser Schwerpunktverlagerung ist er ein unterhaltsamer Film, dessen Anspruch aber unter dem des Originals liegt. Ab hier zeigt sich in der Serie das, was Pauline Kael das „faschistische Potenzial“ des Actionkinos nannte – „faschistisch“ ist es natürlich nicht, aber eine zynische Gleichgültigkeit gegenüber dem Einsatz von letaler Gewalt lässt sich nicht mehr leugnen. Oder wie Callahan es formuliert: …nothing wrong with shooting people, as long as the right people get shot.
Der nächste Film The Enforcer ist der vielleicht schwächste aller Teile, weil er – des leidigen Themas offenbar überdrüssig – auf die Diskussion der Selbstjustiz-Thematik verzichtet und Callahan stattdessen eine Bande von linken Terroristen jagen lässt, die in Wirklichkeit aber keine Ideale haben, sondern nur auf Geld aus sind. Für Unterhaltung sorgt aber immerhin die weibliche Partnerin, die dem raubeinigen Inspektor zugeteilt wird. Insgesamt handwerklich uninteressant, ist der Film nur etwas für den harten Kern der Anhänger Callahans.
Sudden Impact ist ein sehr harter Film geworden, der unter der routinierten Regie Eastwoods, vor allem wegen der rape and revenge-Thematik in Erinnerung bleibt, zu der er aber, wie bereits seine beiden direkten Vorgänger, keinen ernsten Diskussionsbeitrag leisten kann. Hier fällt endlich der legendäre Satz: Go ahead, make my day.
The Dead Pool ist schließlich ein unspektakulärer Ausklang der Reihe, der mit Liam Neeson und Patricia Clarkson immerhin zwei Nebendarsteller aufweisen kann, die man heute zum erlesenen Kreis der guten Charakterdarsteller zählt und in dem die Talente eines weiteren Nebendarstellers mit dessen frühem Filmtod geahndet werden: Jim Carreys kurzer Auftritt als Axl Rose-Verschnitt (oder vielmehr: Parodie) erheitert gerade im Rückblick ungemein, weil Carrey bereits hier exakt dieselbe Show abzieht, die ihn später reich machen sollte. Interessant wäre es zu erfahren, was Pauline Kael dazu zu sagen hatte, dass in dem Film eine verbitterte Filmkritikerin von einem Irren ermordet wird.
Insgesamt sind die Fortsetzungen also mehr oder weniger gelungene Erzählungen aus dem Leben und Werk Harry Callahans, die kaum mehr die Ernsthaftigkeit und Meisterschaft des Originals erreichen und sich damit zufrieden geben den body count hoch zu halten.

Texte aus kino.de-Zeiten


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True Grit (2010)


"True Grit" zum zweiten Mal gesehen und erst jetzt bemerkt, dass der Epilog noch mehr Sinn ergibt, wenn man bedenkt, wer in dem Film alles permanent Körperteile verliert (nämlich die, die sich im moralischen Sinne Schuld aufladen, wozu am Ende auch unsere Heldin gehört). Dass LaBoeuf sich zeitweilig, gewissermaßen auf die Zunge beißt, finde ich in Bezug auf seine Beziehung zur Heldin auch nicht unpassend. Und, dass sie am Ende ihren Arm durch eine Schlange verliert (die sie ja bei den Übernachtungen fürchtet und fernzuhalten versucht), ist letztlich auch nicht unpassend (wenn man den Film von der religiösen Ecke her interpretiert). (Wenn wir schon die Schlangen bemerken -- Äpfel schleppt die Kleine ja auch im Dutzend mit sich...)


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Vermischtes


Mit Amer gegen meinen seit Monaten gehegten Wunsch nicht viel anfangen können - nach der ersten Episode hat der Film für mich drastisch an Faszination und Unterhaltunsgwert verloren.

Scott Pilgrim hat mich, von ein, zwei Liedchen, eher kalt gelassen, weil ich mich zu keiner Sekunde zu diesen irre künstlichen Figuren hingezogen fühlte. Tat mir als Film nicht weh, ist auch nicht schlecht gemacht, zündet bei aber nicht auf der Teenage-Angst-Weltschmerz-Liebeskummer-Ebene, die er scheinbar bedienen möchte.

The American in der neuen Provinzheimat mit einem freundlichen, aber irritierten Publikum gesehen. Am Anfang wurde grundlos gelacht und am Ende wurden beim Nach-Hause-gehen grausig dumme Fragen unter Ehegatten gestellt und nicht oder falsch beantwortet, die sich nicht mal im Entferntesten mit den subtilen oder übersehbaren Details des Films, sondern glasklaren Elementen beschäftigten, dass man am liebsten schreiend davon gelaufen wäre. Der Film selbst: Schön, anheimelnd langsam, partiell leider zu nah am Auftragsmörder-Film-Klischee entlang konstruiert, aber in der Summe genau my cup of tea. Clooneys Auftritt in meinem (ich erwähne es gerne zum dreihundertsten Mal) Lieblings-Subgenre hat mir auf jeden Fall gefallen.

An der Doku-Front Until the light takes us gesehen, dass sich mit den wilden Jugendjahren der norwegischen Black-Metal-Szene befasst und das ganze so uninteressant, uninspiriert und jeglichen neuen Ansatz entbehrend darbietet, dass die seltsame Faszination, die Kristian Vikernes (http://en.wikipedia....i/Varg_Vikernes) auf die Filmemacher ausgeübt zu haben scheint, einen auch nicht mehr groß nerven muss.

Im TV Louis C.K.s neue Serie Louie sehr amüsant gefunden - wobei ich Folgen 8 (Dogpound) für die lustigste halte, Folge 9 ("Bully") für diejenige, die eine der psychologisch brutalsten Szenen überhaupt zu bieten hat und Folge 11 ("God") für die beste Episode der Serie - obwohl dieses autobiographisch anmutende Stück sich sehr selbstsicher humorfrei präsentiert.

Endlich auch dazu gekommen, Rome anzuschauen und viel Spaß an dieser glitzernden HBO-Seifenoper im Historiengewand gefunden.

Finally: Den kleinen Einspieler, der der Premiere von Conan O'Briens neuer Show Conan voranging mit Staunen gesehen - pointiert und handwerklich besser inszeniert als hierzulande viele Filme.

Comedy-Tipp am Ende: Jim Jeffries, australischer Comedian, der, wenn man solche Kategorien mag, eher dem Feld der cringe comedy zuzuordnen wäre, hat mit seinem neuen auf DVD erhältlichen Special "Alcoholocaust" sein bisher bestes und reifstes Programm abgeliefert, in dem er immer noch sehr wüst zu Werke geht, gleichzeitig aber auch an den richtigen Stellen sehr kluge, unlustige Sachen sagt und zudem mit seiner Geschichte über die nette Tat, die er für einen gelähmten Kindheitsfreund unternommen hat, ein kleines Meisterwerk neuerer Comedy schafft.
Louis C.K.s neues Programm Hilarious sei hier natürlich auch uneingeschränkt und begeistert empfohlen.


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Inception


Ein netter aseptischer Action- und Schauwertfilm, der, so scheint's mir, die eigentliche Geschichte überlagert, aufbläht. Mag es auch dutzende andere Lesarten des Films geben, die einfache ist, nun: einfach, wurde aber in allerlei tricktechnischen Aufwand gehüllt, der überwältigt, erschlägt, einlullt. Mit etwas Distanz betrachtet, erscheint mir die Story, vereinfacht gesagt als nichts anderes als das A-Team auf Mission im Kleinhirn - man hat einen Plan, der hat mehrere Ebenen, aber der eigentlich Kern ist doch recht simpel.
Das soll übrigens nicht heißen, dass ich Inception schlecht finde und schon gar nicht soll es nahe legen, dass ich ihn auf die selbe Stufe mit den beklagenswerten Doofkinoprodukten stellen mag, die sonst so laufen. Es soll aber heißen, dass ich es schade finde, dass dieser Film, dessen Geschichte sich doch im Verborgenen abspielt, für mich viel mehr der Oberfläche wegen in Erinnerung bleiben wird.
(Außer natürlich ich entdecke demnächst irgendwo eine revolutionäre Erklärung für den Film, die alles auf den Kopf stellt. Möchte ich nicht ausschließen, weil ich sowas in letzter Zeit nicht mehr selber merke, und mir daher anlesen muss. Trotzdem: Vorauseilende Skepsis bleibt bestehen.)





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