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Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen

Cjamangos neues Filmtagebuch

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Schreie und Röcheln


Daisy Diamond (DÄN-DVD)

Die junge Schauspielerin Anna kann keinen Job mehr landen, weil sie alleinerziehende Mutter ist und ständig auf ihr krähendes Kind aufpassen muß. Da ihr die Tochter Daisy mit ihrem pausenlosen Genöckele alle Chancen auf eine Rolle jenseits der Mutterrolle zunichte macht, wird die Situation bald bedrohlich. Schließlich erträgt Anna es nicht mehr und ertränkt den Säugling in der Badewanne. Danach sollten ihr Tür und Tor für eine steile Theater- oder Leinwandkarriere geebnet sein, aber die Dinge laufen anders, sehr anders...

Dieser dänische Film von 2007 erzählt eine tragische Geschichte, die aber von der Regie von Anfang an vorsätzlich durchkreuzt wird. Gleich in der ersten Szene setzt es eine Quasi-Vergewaltigung Annas, die sich aber als Vorsprechen bei einer Theateraufführung entpuppt. In ähnlicher Weise geht das dann weiter, bis man sich nicht mehr sicher sein kann, was vom Gezeigten nun echt ist und was Schauspiel. Perfide daran ist der Umstand, daß alle „Auditions" (bei denen Anna regelmäßig versagt oder aufgrund ihrer schwedischen Abstammung für ungeeignet befunden wird) in ihrem Grundtenor die tatsächliche Geschichte der Schauspielerin Anna zu kommentieren scheinen. Später, als sie zu einer Pornodarstellerin namens Daisy Diamond geworden ist, benutzt sie sogar Teile der gespielten Szenen von einst als autobiographische Versatzstücke, um ihre Partner (und später ihre Freier) aufzugeilen. Das führt schließlich dazu, daß man sich als Betrachter nicht mehr sicher sein kann, ob es das Kind Daisy wirklich gegeben hat. Die Schlußeinstellung ist in dieser Hinsicht sehr erhellend, und auch vorher scheinen einige dramatische Miniaturen bereits anzudeuten, daß Annas Mutter sie sehr vernachlässigte, was zu intensiven Wunden geführt hat. Regisseur Simon Staho hält bei alledem voll drauf, benutzt viele lange Einstellungen, die die Gesichter der Darsteller eingehend untersuchen. Daß dieser Ansatz gelingt, liegt vor allem an der grandiosen Leistung der Hauptdarstellerin Noomi Rapace, die man aus den Stieg-Larsson-Verfilmungen um VERBLENDUNG kennt. Die Rolle wird Frau Rapace nicht leicht gefallen sein, zumal sie ein, zwei Jahre vor den Dreharbeiten selber Mutter geworden war und mit den Situationen bestens vertraut gewesen sein muß. Ich habe bei den schier endlosen Szenen, in denen sie mit ihrem kleinen Schreihals im Arm herumläuft und gelegentlich wirklich die Fassung verliert, immer ängstlich darauf gewartet, daß sie die Kleine an die Wand klatscht. Anna wirkt so, wie man sich jene Mütter vorstellt, die irgendwann so überfordert sind, daß sie ihr eigenes Kind umbringen. Ich habe mich sogar selber dabei ertappt, wie ich beruhigend gegurrt habe, damit das Kleine still ist... In einer Szene beginnt Frau Rapace während solch einer Szene offensichtlich wirklich zu heulen. Wird keine leichte Nummer für die Schauspielerin gewesen sein. Sie bewältigt die Rolle aber mit Bravour. Die Story, die der Film erzählt, könnte banal und melodramatisch sein, aber man wird als Zuschauer in der Schwebe gehalten, kann sich niemals ganz sicher sein ob der Verläßlichkeit dessen, was man gerade sieht – zu persönlich wirkt die ganze Geschichte. Die Filmindustrie kommt übrigens sehr, sehr schlecht dabei weg – die meisten Regisseure und Regisseurinnen wollen einfach nur mit Anna bumsen, sagen ihr dies auch sehr direkt und zynisch ins Gesicht. Sie resigniert schließlich, wird zur Profihure Daisy Diamond, wird somit sowohl zu ihrer Tochter wie auch (vermutlich) zu ihrer Mutter. Der Film arbeitet bewußt mit enervierenden und provozierenden Szenen, serviert dabei einige Watschen, hinterläßt aber keinen billig effekthascherischen Eindruck, sondern einen sehr humanen und um seine Figuren besorgten. Deshalb hat er mir auch gefallen. Ist allerdings kein leicht zu konsumierender Film. Man merkt, daß er den Beteiligten sehr am Herzen gelegen hat.


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Tag der Frau


I Spit On Your Grave (2010) (DVD)

Als Meir Zarchis I SPIT ON YOUR GRAVE (aka DAY OF THE WOMAN) Ende der 70er Jahre herauskam, hatte er nicht viele Freunde, denn er brach viele Regeln. Die meisten davon hatten mit dem Format zu tun, das er verwendete. Das Verbrechen der Vergewaltigung in einem Film zu plazieren, war schon immer eine Übung von fortgeschrittenem Schwierigkeitsgrad. Kinozuschauer sind ja auch nur Menschen, und die neigen nun einmal dazu, dem Boten die Botschaft zu vergelten. „Iiih, pervers!" lautete meistens die Reaktion auf den Film. Daß es eigentlich die reale Vergewaltigung und die reale Mißhandlung eines Menschen ist, der dieses Prädikat zukommt, spielte da keine große Rolle. Hätte I SPIT ON YOUR GRAVE die Vergewaltigung „so nebenbei" geschildert, als kleinen dramaturgischen Leckerbissen, der dann die zugegebenermaßen primitive Rachegeschichte einleitet, die er erzählt, hätte sich kaum jemand daran gestoßen. Auch sehr beliebt in Hollywood sind die Quasi-Vergewaltigungen, die plötzlich zu einem leidenschaftlichen Liebesakt werden. Eigentlich eine wirklich perfide Art der Darstellung, denn die unterstellt unausgesprochen, daß die Frauen „es" alle wollen. Klar – welche Frau möchte nicht gedemütigt, geschlagen und mißhandelt werden?

I SPIT ON YOUR GRAVE nun kümmerte sich nicht um die gewohnten Formate. Selbst ausgewalzte Szenen wie jene in DEATH WISH 2 ließ er weit hinter sich. Er semmelte dem Betrachter das Verbrechen mitten ins Gesicht. Rezensenten von geringer Originalität reden dann häufig davon, daß sich der Film in solchen Bilder suhle. Klar, das machte er auch, gar keine Frage. Fakt ist aber, daß der Film gerade deshalb solchen Anstoß erregte, weil er den ausgetretenen Pfad verließ und das Reich des Schmerzes betrat. Die Mundwinkel wurden lang, wurden länger. Keine kleine Feierabendunterhaltung mit Vergewaltigung – no way, José. Der Film tat richtig weh. Daß er dies nicht aus intellektuellem Kalkül heraus tat und aus grundhumanistischer Gesinnung, ändert nichts daran, daß er die Leinwandabbildung des Verbrechens Vergewaltigung revolutionierte. Die Frau, die dies erleidet, setzt sich dann im zweiten Teil des Filmes zur Wehr, in aller Drastik. Einem Bösewicht wird sogar der Penis abgeschnitten, was zwar eklig anzuschauen ist, aber auch nur folgerichtig. Der Film machte in seinem Amoklauf klar Schiff. Er scherte sich einen Dreck um die Regeln, um Moral und Anstand. Er war ein kleiner, schmutziger Film, der von einer zerstörten Seele handelte.

Daß auch I SPIT ON YOUR GRAVE nun für eine Neuverfilmung herangezogen wurde, war abzusehen. Nach den sehr schlechten Remakes, die in letzter Zeit erfolgt sind, erwartete ich Schlimmes. Die Drastik der Gewaltszenen im Original noch zu übertrumpfen, wäre kaum möglich gewesen. Auch kommt hinzu, daß Gewaltpornographie in den Zeiten des Internets eine ganz andere Verbreitung besitzt. Wenn man im Netz über einen Gangbang-Porno stolpert, so besitzen die meisten davon keine wirkliche Dramaturgie. Waren die Fantasien, die Pornofilme erzählten, früher deutlich als solche gekennzeichnet, so werden die Spuren heute nach besten Möglichkeiten verwischt. Darsteller X rammt Darstellerin Y seinen Riesenkolben in den Mund, bis sie kotzt. Es geht nicht mehr um Rollen, es geht häufig nur noch um die überaus reale Mißhandlung von Menschen. Abgründe der Leidenschaft? Abgründe ja, Leidenschaft nein.

I SPIT ON YOUR GRAVE ist ein Anti-Porno, auch wenn seine Feinde das Gegenteil behaupten werden. Er gibt den Geschehnissen ihre Dramaturgie zurück, er gibt ihnen den Schmerz zurück. Daß er dabei nicht ganz so amoralisch und bedenkenlos dabei zu Werke geht wie einst der Vorgänger, liegt vermutlich daran, daß sich die Sensibilitäten verändert haben. Ich betrachte es aber als Glücksfall, daß sich die explizite Bewertung der Vorgänge in Grenzen hält. Vermutlich wird es auch diese Zurückhaltung sein, die irgendwann zu seiner Beschlagnahme führen wird, aber sie ist es auch, die ihm seine Bauchwirkung sichert. Die letzte Einstellung des Filmes ist durchaus vieldeutig. Man weiß nicht, ob die Protagonistin nach der Vollziehung der Rache nun befriedigt ist. Die lange Einstellung lädt ein zur Reflexion. Man wird beunruhigt entlassen, anders als in so vielen Hollywood-Filmen zum Thema, etwa dem Jodie-Foster-Film ANGEKLAGT, in denen sich die Leute am Schluß in die Arme fallen, weil das Gleichgewicht wieder hergestellt ist. Besser fand ich schon immer die Herangehensweise von EXTREMITIES, der nur verletzte Menschen hinterläßt. I SPIT ON YOUR GRAVE liefert kaum Möglichkeiten, sich vom Geschehen zu distanzieren. Er wirkt eher so, als wolle er dem Zuschauer einen nach dem anderen über den Schädel ziehen, mitten auf die Zwölf. Fast schon störend wirkt es da, daß man bei der Wahl der Bestrafungen in die SAW-Ecke schielt und der Protagonistin eine Menge Einfallsreichtum zugesteht, der auch Wiederaufnahmen zu den begangenen Untaten einschließt. Auge um Auge, Zahn um Zahn, Penis um Penis. Letzteres in der deutschen Fassung bitte streichen!

Und da wären wir auch schon bei der deutschen Fassung. Der Vergewaltigungskomplex, mit all seinen Darstellungen sexualisierter Gewalt, wurde nur an zwei Stellen gekürzt. Bei der Rache dann schalten die Zensurscheren in den Overdrive. Warum das so sein muß, kann jeder für sich selbst entscheiden. Zumindest den appen Dödel hätte ich dringelassen, zumal dies eine Bezugnahme auf Vorangegangenes ist, die wirklich Sinn ergibt. Daß Selbstjustiz in der Realität inakzeptabel ist, sollte jedem einigermaßen vernünftigen Zuschauer klar sein. Doch Filme sind keine Realität, sie schaffen Fantasien. Und Fantasien sind selten hübsch oder artig. Sie sind eher das, was man aus Gründen der gesellschaftlichen Kompatibilität in einem dunklen Kämmerlein wegsperrt.

Man sollte sich übrigens auch bei der deutschen Verleihfassung sehr genau überlegen, ob man sie sich antun möchte. Die Grausamkeit ist massiv, der moralische Gewinn fraglich. Ein „Iiih, pervers!" würde ich aber nicht gelten lassen, denn der Film stellt die Mißhandlung von Frauen durch Männer so eklig dar, wie es dem Tatbestand angemessen ist. Hier schlägt die Frau allerdings zurück. Und das tut sie gründlich. Das ist abstoßend, das ist primitiv, aber das ist auch menschlich nachvollziehbar. Eine befriedigende Lösung offeriert der Film nicht wirklich, aber was für eine Lösung böte sich da an? Das Remake von I SPIT ON YOUR GRAVE verfehlt die subversive Wucht des Originals. Dazu ist er zu intelligent und zu kalkuliert gemacht. Aber er gibt dem Thema seine Dramaturgie zurück. Er setzt die Abbildung von sexueller Gewalt in Beziehung zu menschlichen Geschichten. Statt Darstellerin Y haben wir hier eine Darstellerin, die Darstellerin Y spielt, und sie macht Schluß im Quadrat. Und allein dafür breche ich für den Film eine Lanze. Genau wie Darstellerin Y.


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Wotans Wutbärte


Die Hermannschlacht (DVD)

Ein unerwarteter Partykracher! Die Römer sind in Germanien eingefallen und zwingen die Teutonen unter ihr Joch. Manch einer läuft über zum Feind. Nicht aber Armin bzw. Hermann, der die Greueltaten der Römer bezeugt und – allen Verrätern zum Trotz – die wilde Schar zum Sieg und sein Volk in die Freiheit führt.

Dieses völkische Hanswursttheater quillt über vor überchargierenden und grotesk geschminkten Flitzpiepen, die markige Sätze hervorstoßen, die den Feinden Germanien geben, was der Feinde Germaniens ist. Ich finde Fritz Langs DIE NIBELUNGEN ja lange nicht so gut, wie ihn Goebbels später gefunden hat, aber DIE HERMANNSCHLACHT (1924) ist in seiner himmelschreienden Einfalt einfach unwiderstehlich. Natürlich wanzte sich dieses Machwerk direkt an die Schmach des deutschen Volkes nach dem Ersten Weltkrieg an und läßt alle Nicht-Germanen als hochfahrende Invasoren erscheinen, die den Deutschen rätselhafterweise an die Wäsche wollen. Hermann, der Sohn des Cheruskerfürsten Segimer, befindet sich als Sklave in den Diensten der Usurpatoren. Sein Vater, ein alter Zausel mit lustiger Catweazle-Frisur, sitzt den ganzen Tag auf einem Stein und redet Tönjes. Gunthilde, ein ziemlicher Trumm von Frau, ist seine Gattin, sieht aus wie eine fleischerne Litfaßsäule und wird obenrum von einer Blondzopfperücke abgeschlossen. Hermanns Schönliebchen ist die mit eingepunzter Duldermiene versehene Tusnelda, und obwohl sie die Tochter eines feindlich gesonnenen Stammesfürsten ist, kriegt er am Schluß seine Tussi. Unfaßbar, daß dieser Film 1924 entstanden sein soll – er wirkt filmtechnisch so unbeholfen, als wäre er gleich nach der Hermannschlacht entstanden! Der Umstand, daß der Film fast vollständig an Originalschauplätzen gedreht wurde, gibt ihm etwas Badsegebergiges und läßt ihn wie die dilettantischen Theaterverfilmungen aus den Zehner oder den Nuller Jahren erscheinen. Subtilitäten gibt der Film keine Chance: Gleich zu Anfang wird ein aufsässiger Teutone aufs übelste gefoltert, indem man ihn mit einem Laubbusch verprügelt. Ein weiterer Zwischentitel klärt uns darüber auf, daß die Römer die den Göttern geweihte Natur mit Spott überziehen: Man sieht einige Soldaten, wie sie offensichtlich gerade einen Baum verarschen: „Hehe, Baum, du blöder, dicker Baum! Hehe!" Dann wird der Baum verhauen – schrecklich! Ans Herz geht die Todesszene von Hermanns Vater, der sein Ende herannahen fühlt und sich – nach alter Väter Art – von einem Felsen in die Tiefe stürzt, ein Wort der Freiheit auf den Lippen. Hermann sieht übrigens aus wie ein dicker Zirkusdirektor, verwandelte sich später in Stein und steht jetzt irgendwo bei Minden in der Gegend herum.

Wäre der Film ein Porno, so würde der Hauptdarsteller eine Stunde lang mit seiner Erektion kämpfen. Das Drehbuch besteht zur Gänze aus Tableaus, in denen zottelige Männer heroisch posieren und Sachen äußern wie „Aus allen Gauen laufen wehrhafte Männer!" oder „Germanien verlangt nach einem Führer!" Die Musikuntermalung ist nicht immer geschmackvoll und verwendet auch bekannte Standards wie den Begräbnismarsch von Chopin oder „So ein Tag, so wunderschön wie heute". Etwas verwirrend wird die Einbeziehung des Titelthemas von „Der rosarote Panther", aber auch „O Tannenbaum" hätte hier durchaus seinen Platz gehabt.

Das Werk wurde übrigens nicht in der Röhmpunsch-Reihe des Labels „Dolchstoß-DVD" herausgebracht, sondern vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (!), dem mein ewiger Dank gebührt für die Zugänglichmachung dieses Schmierentheaters. Damit wir uns recht verstehen: Wäre der Film besser gemacht, wäre er ziemlich übel. In der vorliegenden Form aber eignet er sich für Punker-Parties ebenso wie für Cineastenkränzlein mit Hang zum Morbiden.


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Den Faust im Nacken


Der Student von Prag (1935) (TV)

Der Student Balduin ist nicht nur der beste Fechter in der Stadt, sondern auch der Apfel im Auge gleich zweier schöner Frauen: Die schlichte Lydia liebt ihn ebenso wie die gefeierte Opernsängerin Julia. Letztere hat schon ihren früheren Impresario Dr. Carpis in die Verzweiflung getrieben. Als jener auftaucht, macht er ihr grause Andeutungen. Balduin indes bietet er einen Tausch an: sein Spiegelbild gegen Glück und Geld in rauhen Mengen. Halb im Spaß geht Balduin darauf ein, merkt aber, daß der teuflische Doktor das meinte, was er sagte. Und sein Spiegelbild, die Kehrseite vom törichten Träumer, macht sich selbstständig, um Balduin in den Ruin zu treiben...

Die dritte Version dieser Geschichte war auch gleichzeitig die erste mit Ton. Während die ersten 20 Minuten aufgrund der Burschenschaftsgesänge und Operetteneinlagen schweren Seegang bescheren, entwickelt sich der Film zur schönsten Fassung des Stoffes. Auch das „Grauen" des degenerierten Balzverhaltens, das die jungen Männer zu Beginn an den Tag legen, erhält seinen Sinn durch die tragische Doppelgängergeschichte, die dem Film zugrundeliegt und den Protagonisten zugrunderichtet: Das tradierte Rollenverhalten will es so, daß die Männer um die Gunst der Frauen werben. Nicht an den Frauen selbst scheinen sie aber interessiert; vielmehr spiegeln sie sich durch die Augen der Frauen, eitle Gecken, die sie sind. Die Frauen ordnen sich diesem Unfug widerspruchslos unter und definieren sich über die Aufmerksamkeit, die ihnen von den feschen Mannsbildern entgegengebracht wird. Vermutlich ungewollt spiegelt der Film dabei das verheerende Frauenbild des deutschen UFA-Kinos der 30er und 40er Jahre, in dem es vor Heimchen am Herd nur so wimmelte. Gelegentlich gab es den Typen der entrückten Diva Leander'schen Zuschnitts, der eine geeignete Projektionsfläche für die Bewunderungs- und Wutfantasien der Männer darstellte – die Frau als erstrebenswertes, aber niemals ganz erreichbares Idealbild, das letztlich Frust und somit Aggression erzeugt. Die alte „Femme Fatale"-Geschichte, also. Selbstbestimmte Frauen waren in den Filmen dieser Zeit meistens dekadente Kommunisten- und/oder Judenschnepfen, die freie Liebe praktizierten, kurze Haare tragen durften und rauchten. „Böse" Frauen also. Interessant in dieser Hinsicht ist, daß die bildschöne Dorothea Wieck, die die Julia spielt, einige Jahre zuvor in dem wunderbaren MÄDCHEN IN UNIFORM zu sehen war, der während der Nazi-Zeit vermutlich nicht mehr denkbar gewesen wäre.

Was DER STUDENT VON PRAG neben dieser Geschlechterrolle rückwärts noch aufdeckt, ist der angesichts der Greuel der NS-Zeit gerne vergessene Umstand, daß die Deutschen immer große Romantiker waren. Balduin ist nicht nur ein strammes Mannsbild, das wenige Jahre darauf bestimmt zur Legion Condor gegangen wäre, sondern er ist auch ein Träumer, wie er im Märchenbuche steht. Es gehört zum Wesen der Romantik, daß man die Schattenseiten des Daseins, die Pickel des Geschicks, ignoriert. Wenn die Realität ihr garstig Haupt erhebt, verwandelt sich die Schwärmerei häufig in abgrundtiefe Verzweiflung und dröhnendes Selbstmitleid. Balduin treibt seine Spaltung fast in den Wahnsinn. Er wird zum Spielball des grimmigen Dr. Carpis, der in dieser Fassung des Stoffes aber ebenfalls ein Getriebener ist, ein verletzter Mann, war er doch einst selber der Diva verfallen.

Für den Regisseur sollte es der letzte Film seiner Karriere werden: Der Amerikaner Arthur Robison erlebte die Premiere nicht mehr mit. Die meisten seiner Arbeiten schuf er in Deutschland, darunter den geradezu avantgardistischen SCHATTEN, der zu den schönsten Stummfilmen gehört, die ich jemals gesehen habe. DER STUDENT VON PRAG ist visuell sehr eindrucksvoll gestaltet, arbeitet mit all den dekorativen Finessen, die man vom schauerromantischen Stummfilmkino gewöhnt war, kontrastiert lichte Operettenkulissen mit expressionistischer Alptraumdeko. Auch die Spiegel-Geschichte wird ausgesprochen elegant umgesetzt: So bekommt man von Balduins Spiegelbildlosigkeit zunächst kaum etwas mit, da sich jedesmal, wenn er an einem Spiegel vorübergeht, ein Vorhang o.ä. zwischen ihn und sein Spiegelbild schiebt. Die erste Manifestation des bösen Balduin erfolgt als Alptraum, doch der Alptraum wird bald zur Realität. Adolf Wohlbrück ist exzellent besetzt in der Hauptrolle und wesentlich effektiver als der feiste Wegener, der der vermutlich älteste Student Prags gewesen sein dürfte, wie auch Conrad Veidt in der zweiten Fassung, der zwar ein vorzüglicher Schauspieler war, aber zu sehr festgelegt auf exzentrische Rollen, um seine Verwandlung überraschend erscheinen zu lassen. Wohlbrück ist ein echter Strahlemann, der aber genug düstere Anteile und Zerbrechlichkeit mit sich führt, um den Gang in die Dunkelheit glaubhaft zu machen. Er ging bald darauf nach Großbritannien und Richtung Amerika, wo ihm eine hübsche Karriere vergönnt war.


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Evil Buddha vs. Eichendorffs Enkel


Furcht (1917) (als Wurfgeschoß durchs Fenster geflogen)

Dieses Frühwerk liegt mir in einer inoffiziellen Version vor, die offenbar von Privatleuten eingeenglischt und mit einem lustig unpassenden Score versehen wurde, der reichhaltig Gebrauch macht vom Gesamtwerk Modest Mussorgskys, insbesondere den „Bildern einer Ausstellung“ und der „Nacht auf dem kahlen Zwerge“.

Der Protagonist ist ein gewisser Graf Greven, den die Wanderlust durch die Welt getrieben hat. Doch was einst ein fröhliches, lebenslustiges Mannsbild war, kehrt nun zurück als Schatten seiner selbst: Bucklicht und verkrampft huscht er durch die Gegend und drückt sich an den Wänden entlang. Grund für diese lamentable Entwicklung ist eine Buddha-Statue, die er in Indien hat mitgehen heißen. Auf seinen Schultern lastet nun der Fluch von Evil Buddha. Im Schlaf erscheint ihm ein Swami oder Yogi (gespielt von Conrad Veidt), der ihm prophezeit, er werde in exakt sieben Jahren sterben durch die Hand eines Menschen, der ihm lieb ist. In den darauffolgenden Jahren ergibt sich Graf Greven dem Exzeß, säuft, hurt und spielt, was das Leben halt hergibt. Doch die Stunde der Wahrheit naht unerbittlich, und bald steht Yogi Bär wieder im Garten, um seinen Zehnten zu fordern...

Wie man der launigen Zusammenfassung vielleicht schon entnehmen kann, habe ich den Film nicht ganz ernstgenommen! 2 Jahre vor DAS CABINET DES DR. CALIGARI schuf Wiene dieses knallige Melodram, das sich ganz in der Tradition der übernatürlich angehauchten Moralgeschichten deutscher Prägung bewegt, à la DER STUDENT VON PRAG. Auch hier geht es um einen Mann, der – obwohl ihm das Leben Reichtum und Unabhängigkeit zugeschanzt hat – mit seiner Zeit nichts Besseres anzufangen weiß, als herumzureisen und Nippesfiguren zu klauen. Die FURRRCHT, die ihn nach dem Sakrileg überfällt, ist natürlich schon vorher in ihm gewesen. Dies sieht man daran, daß er – wenn seine Tage gezählt sind – einem reinen Egoismus und Sinnestaumel verfällt. Als es schließlich so weit ist, hat er keine rechten Freunde mehr, und so ist es auch klar, wie der Film zu enden hat...

FURCHT ist von der kunstvollen Stilisierung eines CALIGARI noch weit entfernt. Stattdessen bedient er sich des naturalistisch geprägten Bildstils des Kinos der Anfangsjahre, wie auch die Einbeziehung filmischer Elemente noch sehr überschaubar ist. In jenen Jahren ähnelten Filme eher einer Aneinanderreihung theatralischer Tableaus. In FURCHT sieht das z.B. so aus, daß sich die fröhlich überchargierenden Schauspieler (insbesondere der Protagonist, der eine ziemliche Knackwurst ist) ständig zur Kamera neigen, posieren nach Herzenslust. Wenn Graf Greven von seinen Panikattacken gehetzt wird, windet er sich wild grimassierend Richtung Kamera, um nicht in den Bildhintergrund gesaugt zu werden von dem schwarzen Loch, das da vermutlich regiert. Lediglich Conrad Veidt spielt dezent, geradezu steinern, die stechenden Augen im Dienste der Rache in den Hanswurst bohrend. Zieht man das Herstellungsjahr des Filmes, 1917, in Betracht, stellt der Film eine Warnung dar vor dem Chaos, das dem übersteigerten Egoismus folgt. Grevens Schwelgen in ichbezogenen Zerstreuungen ähnelt schließlich einem Tanz in den Untergang, wie ihn die Darstellungen der Reichen in der Weimarer Republik so häufig nahelegten. Der Romantizismus der Deutschen war durch den Ersten Weltkrieg endgültig auf den Hund gekommen, und die Bulldogge lauerte schon um die Ecke...


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Mark Spitz und der Fall der sieben Raben


Johnny Wadd (US-Video)

John Holmes ist Johnny Wadd, und Johnny Wadd ist John Holmes! Wer den Film BOOGIE NIGHTS gesehen hat, besitzt eine ungefähre Vorstellung davon, wie bedeutend Holmes´ Stellung innerhalb der Industrie gewesen war. Wer aber verläßlichere Informationen über den Mann sucht, dem lege ich eher die gute Dokumentation WADD: THE LIFE & TIMES OF JOHN C. HOLMES von Cass Paley ans Herz.

Holmes war noch relativ neu im Geschäft, als sich ihm der hawaiianische Regisseur Bob Chinn näherte und ihm die Rolle des Privatdetektivs Johnny Wadd anbot. Wie schlecht dieser erste Film auch immer gemacht war – er sollte Holmes´ Rollenimage fortan prägen und führte zu diversen Fortsetzungen. Faszinierend an diesen Werken – besonders die frühen übersteigen im Hinblick auf Budget und inszenatorische Raffinesse kaum den Rahmen des in „Loops“, also Kurzfilmpornos für die Schrabbelkinos, Üblichen – war die Verlagerung der genreüblichen Mythen: Geht es in Detektivfilmen meistens um die Überlegenheit des einsamen Wolfes, der mit der Knute seines Geistes (oder seiner rauchenden 45er!) Ordnung in das Universum bringt, so geht es in den Wadd-Filmen um eine sehr viel direktere Erprobung der Männlichkeit des Protagonisten. Johnny Wadd braucht keinen Revolver, denn Johnny Wadd legt flach, aber nicht um. Bei seinem ersten Auftritt muß er einen schwierigen Entführungsfall lösen. In einem herkömmlichen Kriminalfilm würde hier ein komplexes Geflecht von Ermittlungen einsetzen, aus dem der Held dann die Wahrheit herauspunzt. JOHNNY WADD nun pfeift aber auf jedes komplizierte Geflecht: Der Held packt seine Magnum aus und rammelt alle Komplexe in Grund und Boden! Auch so können Probleme gelöst werden...

Streng genommen funktionieren diese frühen Filme nicht viel anders als die sogenannten „loop carrier“, bei denen einfach diverse Kurzfilme zusammengepappt wurden. Zuerst erscheint eine zugekiffte junge Frau (Hippie Andy Bellamy) und heuert Wadd an. Wadd prollt etwas herum und serviert ihr aus dem Stand erste Ergebnisse, die aus einem dicken Schwall Chromosomalbreis bestehen. Danach erscheint eine andere Frau (Sandy Dempsey, nur echt mit Schmetterlingstattoo!), die ihm mehr Geld dafür bietet, die Entführte nicht zu suchen. Erneut beweist Wadd die Kraft der sieben Raben. Ermittelt hat er zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht. Egal. Dann tritt die Mutter der Entführten in Wadds Leben, eine mehr als nur leicht angegangene Imbißkellnerin mit blondierten Haaren und einem verheerenden Kleidungsgeschmack. Ihre raffinierte Fellatiotechnik – während der Spermahervorlockungszeremonie die ganze Zeit über mit monotoner Stimme völligen Blödsinn reden – vermag zu verblüffen. Wadd fürchtet sich vor gar nichts – das ist jetzt klar. Dann, Sensation: Der Mann steigt in seinen Wagen und fährt durch Hollywood. Wer läuft ihm nach 100 Metern über den Weg, wer wird von einem Mann mit einem spitzen Stock verfolgt? Das Entführungsopfer! Hier wird jegliche Logik des klassischen Detektivkinos komplett dekonstruiert, und das aus reinem Dilettantismus. Wadd/Holmes setzt dem Entührer hinterher und verprügelt ihm am Strand. Hätte ich den Film inszeniert, wäre auch der Entführer dem durchaus rätselhaften Charme des Meisterdetektivs verfallen und hätte ihn direkt vor Ort fellationiert. Dies hätte sich aber natürlich nicht mit dem Männlichkeitsbild des Zielpublikums vertragen, und so bleibt es bei der simplen Unterwerfungsgeste. Das Entführungsopfer beschert dem Helden dann eine kurze Rückblende, belohnt ihn für seine überlegene Ermittlungsarbeit und knuddelt ihn vor dem Sonnenuntergang. Ende. So einfach kann man Fälle lösen! Ist das nicht schön? Die Musik ist größtenteils von Ennio Morricone geklaut, dessen „Dollar“-Trilogie hier neu aufpoliert wird, für eine Handvoll Sperma, sozusagen. Johnny Wadd sollte bald wieder in Aktion treten, in dem aufsehenerregenden FLESH OF THE LOTUS. Demnächst in diesem Theater.


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Neues von Spektral-Anneliese


Lake Mungo (2008) (US-DVD)

In Australien, genauer: in Neusüdwales, gibt es einen See, der Lake Mungo heißt. In jenem See endet ein Familienidyll, als die Tochter von June und Russell Palmer ertrinkt. Nach langer Suche findet man ihren aufgedunsenen Leichnam. Vater Russell identifiziert ihn bar jeden Zweifels. Man versucht, mit der Situation klarzukommen. Doch bald schon tragen sich eigentümliche Dinge zu im Hause der Palmers. Poltergeist-Phänomene, aber auch Erscheinungen erzeugen in Neusüdwales eine kleine Sensation. Ein Parapsychologe wird hinzugezogen, und was der über die Vorkommnisse herausfindet, sprengt die Grenzen des Rationalen...

LAKE MUNGO ist ein schlauer kleiner Film aus Australien, der das Dokumentarfilmformat anwendet, um eine Geschichte zu erzählen, die nur vorgeblich von übernatürlichen Erscheinungen handelt. Tatsächlich wußte ich vorher so gut wie gar nichts über ihn, erwartete einen Spielfilm. Die Anfangsszenen ließen mich eine Fake-Dokumentation erwarten, doch ich geriet schon bald ins Zweifeln, ob es sich nicht vielleicht doch um eine echte Dokumentation handeln könnte. Dies liegt an dem Geschick, mit dem der Regisseur Joel Anderson die nachgestellten Augenzeugenberichte mit „atmosphärischen“ Einstellungen der Umgebung und vermutlich komplett getürktem „Archivmaterial“ verbindet. Die Schauspieler machen ihre Sache glänzend, so daß man wirklich dem Trugschluß aufsitzen kann, einer Dokumentation realer Ereignisse beizuwohnen. Er erinnert in dieser Hinsicht weniger an die Pseudo-Fundstück-Filme im BLAIR WITCH-Fahrwasser, zu denen auch der sehr erfolgreiche PARANORMAL ACTIVITY gehört, sondern orientiert sich an der Schelmerei von etwa Peter Jacksons Frühwerk FORGOTTEN SILVER, der ebenfalls mit viel Geschick eine künstliche Realität vor dem Hintergrund einer künstlichen Historie sponn. LAKE MUNGO tut dies auf völlig ernsthafte Weise und berichtet von Geistererscheinungen, von Massenhysterie, vom Willen der Menschen, alles zu glauben, was man ihnen vorsetzt. Je länger der Film dauert, umso mehr entfernt er sich aber von den Geistersichtungen und widmet sich immer mehr den einzelnen Mitgliedern der Familie. Vor allem ist LAKE MUNGO nämlich ein Film über die Trauer, über die Versuche von Menschen, mit für sie unfaßbaren Verlusten umzugehen. Er tut dies auf sehr bewußte Weise, läßt alle genrebezogenen Erwartungen des Publikums immer wieder hübsch auflaufen, schickt den Zuschauer ständig in eine neue Richtung. Dabei formuliert er die Entwicklungsprozesse, die die Charaktere in einer gewöhnlichen Spielhandlung durchlaufen, sehr gewieft in die nüchterne Berichtform um, gibt dem Zuschauer sensationelle Wendungen, die das vorher Gesehene in völlig neuem Licht erscheinen lassen. Es geht irgendwann nicht mehr darum, ob die rätselhaften Ereignisse rund um die Familie Palmer echt sind oder in betrügerischer Absicht fabriziert wurden. Was wirklich interessant ist, sind die Veränderungen innerhalb der Familie. Ich darf hier natürlich nicht verraten, worauf die Geschichte hinausläuft, möchte aber schon andeuten, daß nicht alles aufgeklärt wird. Es bleiben einige offene Fragen, die der Film u.a. durch unerklärbare Wiederaufnahmen von Einzelheiten erreicht. So haben einige Figuren eindeutig bereits lange vor dem Tod der Alice Palmer von deren Ableben gewußt. Eine rationale Erklärung hierfür gibt es nicht. Speziell eine Handyaufnahme, die während eines Schulausfluges hergestellt wurde, ist wirklich kreuzunheimlich. Ich habe den Film kurz vor dem Schlafengehen gesichtet, und das war möglicherweise keine kluge Entscheidung... Es wäre dem Film zu gönnen, daß er ähnlichen Erfolg erntet wie PARANORMAL ACTIVITY. LAKE MUNGO ist eindeutig der bessere Film. In den USA wird bereits ein Remake produziert. Wenn er hier auf DVD erscheint, werde ich mir definitiv eine Ausgabe sichern. Ein ebenso gescheiter wie hübscher Film.


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Töten heißt küssen!


Pontypool (DVD)

In Pontypool, einer kanadischen Kleinstadt, gibt es einen abgelegenen Radiosender. Hier versieht seit neuestem Grant Mazzy (Stephen McHattie) seinen Dienst. Mit Cowboyhut, rauchiger Stimme und einem soliden Sinn für Subversives quaddelt er die Leute zu, wenngleich er teilweise selber nicht ganz nachvollziehen kann, was er da eigentlich aufsagen muß. Wichtig ist, daß es den typischen Grant-Mazzy-Charme besitzt. Eines Nachts jedoch erreichen merkwürdige Meldungen den Sender: Menschen rotten sich zusammen und fallen über andere Menschen her. Im Sender weiß man nichts Genaues nicht: Handelt es sich um eine wirkliche Bedrohung, um Massenhysterie oder um einen riesigen Scherz?

Tja, also, eines kann ich mit Sicherheit versprechen: PONTYPOOL ist ein Zombiefilm, wie es keinen zweiten gibt. Fast der gesamte Film spielt sich innerhalb des klaustrophobischen Sendestudios ab. Viele Ereignisse, die in gewöhnlichen Zombiefilmen als blutige Zurschaustellung präsentiert werden, werden hier von „Augenzeugen“ präsentiert, was uns, Mazzy und seine beiden Mitarbeiterinnen zu Ohrenzeugen von etwas macht, das entweder grausige Realität ist oder ein gewaltiger Streich. Tatsächlich weiß niemand etwas Konkretes. Einige Korrespondenten berichten von franko-kanadischen Extremisten, die den Aufstand proben; andere geben völlig unsinnige Informationen an. So sollen Menschenmengen durch die Straßen marodieren, die fordern: „Die U-Boote umstellen! Die U-Boote umstellen!“ Ich darf, der Spoilgefahr wegen, nicht verraten, worauf genau das hinausläuft, aber letztlich geht es um den Zusammenbruch der Zivilisation, dem man nur dadurch entgehen kann, daß man den Worten die ihnen von der Gesellschaft zugeteilten Bedeutungen entreißt. Es geht um das Zertrümmern von Worten, was PONTYPOOL zum meines Wissens einzigen dadaistischen Zombiefilm macht, den das Kino bislang zu überstehen hatte. Wer einen normalen Zombiefilm sehen möchte, sollte besser auf die rote Sturzflut von entsprechenden Produkten zurückgreifen, die die Videotheken momentan anbieten. PONTYPOOL ist ein wenig wie Oliver Stones TALK RADIO, nur daß Eric Bogosian hier von einem wütenden Linguistikseminar zu Tode gekloppt wird! Wem das gefällt, der liegt bei dem Film wahrscheinlich richtig. Ich liebe es ja, wenn ich bei einem Film nicht genau weiß, in welche Richtung er sich entwickelt. Bei PONTYPOOL habe ich irgendwann nur noch gelacht und nach dem Abspann Applaus gespendet. Ach ja, man sollte auch unbedingt bis nach dem Abspann warten, da kommt nämlich noch eine kleine Schelmerei...


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Warum läuft Herr I. Amok?


Premutos - Der gefallene Engel (DVD)

In meiner Twen-Zeit begann die Angelegenheit mit den Amateur-Splatterfilmen. Möglicherweise beeinflußt von der internationalen Zurkenntnisnahme, die Jörg Buttgereits NEKROMANTIK in den 80ern zuteil geworden war, griffen nun Teens und Twens zur Videokamera, plünderten Papis Werkzeugkasten und planschten in Lebensmittelfarbe. Die auf diese Weise erstellten Erzeugnisse waren mehrheitlich für ca. 10 Minuten unterhaltsam. Danach machte sich der Mangel an technischem Können, an Charme, an allem bemerkbar, und unter einer Promillegrenze von sagen wir mal 2,0 waren diese Gurken meistens nicht mehr konsumierbar.

Von diesem „Massaker im Stadtpark“-Einerlei hob sich ein junger Mann aus dem bayerischen Fürstenfeldbruck wohltuend ab. Olaf Ittenbach sein Name. Mittlerweile hat es ihn ja sogar nach Hollywood verschlagen, aber eine kürzliche Privat-Retro mit alten Amateurfilmen führte mir heute seinen PREMUTOS wieder vor Augen. Eine der Eigenschaften, die ich eben nannte, ist Charme. Charme tropft aus den frühen Ittenbach-Sachen für mich wie Frittenfett aus einem Gelsenkirchener Fettbrötchen. Während der Gorebauer aufgrund der für das Budget exzellenten Spezialeffekte sein Auskommen hatte – in THE BURNING MOON z.B. sind zwei, drei Sachen drin, wo ich mir ums Verderben nicht erklären kann, wie die das hinbekommen haben! –, lagen mir jene Elemente der Filme, die niemand sonst so gedreht hätte, sehr am Herzen: die bayrischen Provinzimpressionen. Während MOON noch mit der gräßlichen Jugendkultur der 80er kokettiert (Restaurantszene mit Julia und Keanu Reeves!), zeigt PREMUTOS den ganzen Abgrund der ländlichen Kleinstadt: Matthias (Olaf selber) ist geschlagen mit einer überprotektiven Mama und einem von Waffen und Soldatentum besessenen Papa, der bei der Gartenarbeit die vergrabenen Geheimnisse von Leben und Tod findet (einige kleine Glasflaschen mit gelber Suppe und einen dicken Wälzer mit einem Pentagramm vornedrauf). Beim Fußball bekommt Matthias das Leder direkt in die Nüsse, muß daraufhin am Skrotum operiert werden und schüttet sich versehentlich noch gelbe Suppe über den Dödel. Bald darauf regiert das Grauen. Zuerst aber regiert das Grauen in Form der Geburtstagsparty für den dicken Papi Walter. Walter und seine Frau laden sich gern Gäste ein, und hier wird PREMUTOS zu einer Art Splatter-Version von Faßbinders WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? – man kann sich das teilweise kaum anschauen! Tante Edith ist eine dominante Plaudertasche, die ihren Mann Hugo zu einem erbärmlichen Wurm gemacht hat, den sie ständig drangsaliert. (Gesprochen bzw. gejodelt wird sie von der großartigen Kathrin Ackermann, die bereits als deutsche Stimme von Peggy Bundy demonstrieren durfte, daß sie Tremolos produzieren kann, für die es im Diesseits keinen Namen gibt. Als Erzähler fungiert übrigens Klaus Kindler alias Clint Eastwood!) Als einer der Gäste sich als Schwarzafrikaner namens Christian entpuppte, hatte der Film bei mir natürlich endgültig gewonnen. Irgendwann kommen dann Zombies dazu, Papa Walter packt seine Waffensammlung aus und brüllt: „Ich lasse mir von euch die Party nicht versauen... auch wenn sie scheiße ist!!!“

Einer der Gründe, weswegen ich Olaf Ittenbach eindeutig mag, ist seine Weigerung, sich bei seinen selbstinszenierten Auftritten als verklärte Heldenfigur zu zeichnen. Dicke Eier hat er in PREMUTOS schon, aber aus anderen Gründen. Seine Hoden-OP gehört fraglos zu den ganz großen Momenten des deutschen Nachkriegskinos, aber auch seine nachfolgende Entkleidungsszene, in der er eine Art Männer-Tanga präsentiert, ist wirklich ganz ungeheuerlich. PREMUTOS ist wesentlich komödiantischer angelegt als sein Vorläufer, und der Humor ist gelegentlich so niveaulos, daß die Drehbuchautoren der FLOTTE TEENS-Filme sich auf der Stelle eine Kugel in den Kopf geschossen hätten. Das paßt aber zu dem dramatisch verklemmten Kleinbürgerhaushalt, den uns Ittenbach hier präsentiert. Auch Romantik hat ihren Platz, wenn auch nur in den Wunschfantasien des Pantoffelhelden Hugo, der mit einer Hübschen eine sexuelle Zusammenkunft der sehr kitschigen Art hat. (Hier fühlte ich mich etwas erinnert an meine Lieblingsszene aus THE BURNING MOON, nämlich die Liebescollage mit Keanu Reeves und dem Hund!) Da es sich hier nicht um Faßbinder handelt, sollte erwähnt werden, daß reichlich gesplattert wird, und da Ittenbach auf grundsympathische Weise wahnsinnig zu sein scheint, schenkt er uns in diesem nicht eben üppig budgetierten Werk diverse Mittelalterszenen, schottische Hochländer, Jesus´ Kreuzigung auf dem Kalvarienberg und den Kessel von Stalingrad! Wenn es im ganzen Bereich des Amateur-Splatter-Kinos einen Film gibt, der als Partyfilm ein Muß darstellt, dann ist das PREMUTOS! Was für eine Chuzpe... Ich bedauere es sehr, den Film niemals auf einem Festival gesehen zu haben, denn dort muß er gerockt haben wie zehn Zäpfchen. Das mindestens 15 Minuten andauernde Schlußgemetzel dürfte jeden Splatterfan begeistert haben, und die lustvolle Dekonstruktion des bayrischen Kleinbürgertums hat mich hingerissen. Vielleicht macht Ittenbach ja mal irgendwann eine Splatterversion von Faßbinders großem Film über bayrische Ödnis, KATZELMACHER. Den würde ich dann KOTZELMACHER nennen. Grandioses Partykino, wie es niemand anders hinbekommen hätte. Ich hatte einen Heidenspaß.


Foto

Südlich von Stanislawski


Matinée (2009) (NL-TV)

Ich muß mich bei der Regisseurin Jennifer Lyon Bell wirklich bedanken, denn mit ihrem gerade mal 35 Minuten langem Film MATINEE hat sie mir Material geschenkt, das ich definitiv bei den Lesungen aus meinem Buch werde verwenden können. MATINEE ist ein pornographischer Film, den wohl die wenigsten anstößig finden werden, obwohl er alles zeigt. Es handelt sich nicht um eine verklemmte Kopfübung, also einen Film, der vorgibt, uns Wahrheiten über Sexualität zu verklickern, dabei aber dem Sex jede pornographische (also den Zuschauer stimulierende) Eigenschaft abspricht. Was nicht gerade selten vorkommt, heute, wo immer mehr Filmemacher echten Sex in nichtpornographischen Filmen verwenden. Tatsächlich ist es eigentlich diese Attitüde, die ich anstößig finde, denn schließlich müssen da einige männliche und weibliche Darsteller recht extreme Sachen machen, sich eventuell gesellschaftlich recht weit aus dem Fenster lehnen. (Vgl. etwa den Ärger, den z.B. die Hauptdarstellerin in Michael Winterbottoms 9 SONGS hatte.) Die Funktion von solchem Sex ist nicht, Sex als etwas Tolles und Aufregendes erscheinen zu lassen, sondern als Mittel zum Zweck, um ein intellektuelles Argument zu stützen. (Ich klammere jetzt mal die naheliegendste Deutung, nämlich die Verwendung von echtem Sex als skandalträchtigem Attraktionspunkt des Filmes, aus, weil man das so pauschal nicht unterstellen kann.) Das macht den echten Sex, den nicht-simulierten Sex, wirklich zu etwas Anstößigem, zu einer Arbeitsleistung, die um Himmels Willen nicht pornographisch sein darf, da es sich um einen „richtigen“ Film handelt...

Frau Lyon Bell scheint das komplett wurscht zu sein. MATINEE ist ein ausgesprochen sinnlicher Film. Er schämt sich für rein gar nichts, und wieso auch. Zu etwa zwei Dritteln besteht er aus einem nicht simulierten Geschlechtsakt. Das erste Drittel etabliert die Situation: Eine junge Schauspielerin bereitet sich zusammen mit ihrem Partner – einem aus dem Fernsehen bekannten Kollegen – auf eine Underground-Theatervorstellung vor, deren Premiere kurz bevorsteht. Die heikelste Szene ist eine Sexszene, bei der sie sich noch nicht sicher sind, wie sie sie am besten umsetzen sollen. Sie beschließen, sich auf Improvisation zu verlassen und der Gunst des Moments zu vertrauen. Insbesondere die Protagonistin mißtraut ihren Fähigkeiten, da es sich um eines ihrer ersten Engagements handelt. Bei der ersten Vorführung wird aus der gespielten Sexszene eine echte Sexszene. Lyon Bell setzt das sehr minutiös um, verzichtet auf verfremdende Elemente wie eine Musikuntermalung oder die Aufmerksamkeit auf sich ziehende Montagekunststücke. Der Zuschauer wird in den Moment hineingezogen, der dann auf tolle Weise entgleist. Die Reaktionen des Publikums der beiden werden ebenso eingefangen wie die nonverbale Kommunikation zwischen ihr und ihm, die dann schließlich zum Sex führt.

Eines der größten Probleme bei der filmischen Umsetzung von echtem Sex – neben den ganzen ästhetischen Konventionen, die man mittlerweile gewohnt ist und die eine echte, undistanzierte Beteiligung des Publikums fast unmöglich machen – ist die Überbrückung der Banalität. Um Walter Moers heranzuziehen: Die menschlichen Geschlechtsteile sehen bei nüchterner Betrachtung aus wie radioaktives Gemüse aus dem Weltall. Ein paar haarige Testikel vor die Linse baumeln zu lassen, erzeugt nicht automatisch einen erotischen Effekt. Manchmal erzeugt es auch eher Gelächter, Langeweile oder Ekel, je nach Laune des Tages. Den Zuschauer also in den Geschlechtsakt von anderen quasi hineinzulocken, ist eine gewisse Kunst. Dabei kann es sich um eine elaborate Spielhandlung handeln, die diesen Effekt erzeugt. Oder aber – wie im Fall von MATINEE – kann es auch eine einzelne Situation sein, die vom Zuschauer – und in diesem Fall auch der Zuschauerin, unterstelle ich mal – als plausibel und aufregend akzeptiert wird. Eine kleine Besonderheit von MATINEE scheint mir darin zu liegen, daß er ausgesprochen realistischen Sex zeigt, der trotz der besonderen Situation, in der er sich zuträgt, ungewöhnlich leicht zu akzeptieren ist. Dies wird von der Regisseurin erreicht durch gut beobachtete Details, die der Zuschauer mit den beiden Protagonisten teilen darf. Der Erforschungsgang der Protagonisten entspricht dem Erforschungsgang des Zuschauers. Während Pornographie meistens Material für die unterdrückten Fantasien des (hauptsächlich männlichen) Publikums liefert, schafft es MATINEE, die Natur von Sexualität – inklusive der unterliegenden Verklemmungen und Ängste – auf die Leinwand zu bringen. Das tut er auf sehr sinnliche und direkte Art. Der explizite Gehalt des Filmes ist sparsam, aber sehr deutlich. Er wirkt in keiner Sekunde unnatürlich oder gar schockierend. Ich mutmaße, daß wohl niemand diesen Film als anstößig empfinden wird. Er feiert Sexualität, und zwar ohne sie dabei zu verkitschen. Das ist eine ziemliche Leistung.





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