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Marvellous-looking beggars

Javiers Filmtagebuch

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"Doc, I'll buy you a drink." - "Just one."


THE MISSOURI BREAKS
|Arthur Penn|USA 1976|
»Granny's tired now.«

Schmissig, verschroben und wenn er will, auch brutal und zärtlich. Nicholson tut für Brando das, was er danach kaum jemals wieder für irgendwen gemacht hat: Er tritt bescheiden in den Hintergrund und überlässt den Wahnwitz dem anderen. So darf Brando im Dunkeln ein Lied für sein Pferd singen, mit dem Rücken zu ihm, weil die Gefühlswallungen ihm sonst peinlich wären, und Nicholson darf sich eine überraschend zärtliche, unterspielte Liebesgeschichte leisten.
Richtig gut.

One-Eyed Jacks liegt schon bereit.


LA RESA DIE CONTI
[Der Gehetzte der Sierra Madre|The Big Gundown]
|Sergio Sollima|I 1966|
»You must’ve come out of your mother running.«

Der dritte Akt ist jawohl mal ein Hammer! Die Ruhe vor dem Sturm, der deutsche Leibwächter, Meisterschütze, Tüftler und Protonazi Baron von Schulenberg spielt Beethovens „Für Elise“, und als dann Sollima und Morricone zur Menschenjagd blasen, wühlt diese Begeisterung mir durch die Eingeweide und stockt mir der Atem. Milian, wie er durch das Feld und in die Almeria hetzt, die Totalen mit Jägern und Gejagtem darin. Über allem: Morricone! »No. The blade.« Das Duell Messer gegen Revolver. »Alright, Baron. He’s your’s.« Das Duell „Für Elise“ gegen Latin-Gitarre, und van Cleef wie er sich stumm in Position bringt, doing the right thing. Cuchillo, der Corbett das Gewehr in die Arme lupft, fast wie bei Hawks und Carpenter. Und als die beiden sich trennen, gehört Cuchillo das letzte Wort, aber Corbett das letzte Bild. Der Song („Run, Man, Run“ von Cristy) nimmt Cuchillos letztes Wort auf: »Never!« Ende. Applaus.


3:10 TO YUMA
[Zähl bis drei und bete]
|Delmer Daves|USA 1957|
»The boys'll always remember how their old man walked Ben Wade to the station.«

Der Farmer Dan Evans (Van Heflin) hat eine Menge guter Gründe, dafür zu sorgen, dass der Outlaw Ben Wade (Glenn Ford) um 10 nach 3 im Zug von Contention nach Yuma sitzt.

Das Casablanca des B-Westerns, vielleicht. Ein kleines Ding ohne viel Aufhebens am Fließband produziert und plötzlich passt alles, entwickelt seine eigene Poesie. Plötzlich ist sogar der Kitsch wunderschön. Ich hab Tränen in den Augen, wenn beide Männer das richtige tun, weil es das richtige ist. Ich freu mich, wenn es über Bisbee regnet. Auch wenn das eigentlich zu viel ist.
Das ist ein persönlicher Liebling.


THE FASTEST GUN ALIVE
[Die erste Kugel trifft]
|Russell Rouse|USA 1956|
»Du hast mir beschrieben, wie sie untergegangen ist.«

Der hochgeschätzte Glenn Ford als Scharfschütze, der nicht mehr schießen will. Die hasserfüllte, schicksalsergebene Chemie zwischen Crawford und seinem henchman, das finale Duell mit dem kurzen Gespräch und den abrupten Schüssen. Routinierter B-Western mit ein paar schönen Details.


THE SHEEPMAN
[Stranger with a Gun|In Colorado ist der Teufel los|Colorado-City]
|George Marshall|USA 1958|
»Chockdaw didn’t get him, he got Chockdaw!«

Ein gewitzter, eloquenter Glenn Ford macht zu Beginn Anstalten, den ganzen Western durch seine Genrekenntnisse obsolet zu machen, fügt sich dann aber doch in einen schönen Showdown mit dem taktierenden Leslie Nielsen, der damals noch hervorragend zum großen, dünnen Schurken taugte.

Jubal und The Americano liegen schon bereit.



SARTANA… VENDI LA PISTOLA E COMPRATI LA BARA
[Django und Sabata – Wie blutige Geier|Django – Die Gier nach Gold]
|Giuliano Carnimeo|I 1970|
»Rauch doch erstmal deine Zigarre zu Ende.«

Speckig glänzende Italiener reden über den Tod. Italowestern waren in den 60ern und 70ern das was in den 90ern dieses Tarantino-Epigonenkino war. Sehr ermüdend, wenn man nicht in der Stimmung ist.


SILVERADO
|Lawrence Kasdan|USA 1985|
"Wer als Letzter in den Mitternachtsstern kommt, gibt einen aus."

Best-of-Western-Homage. Die hatten anscheinend Bock, mal genau dasselbe zu machen wie die in den Western früher. Wohl auch ein Versuch, ebendiesem das spaßige, übermütige, unschuldige Abenteuer dieser Zeit zurückzugeben und ihn zugleich als großen, hübschen, optimierten Hollywood-Blockbuster neu zu starten, nachdem diese Irren ihn in den 70ern zu Grabe getragen haben.
Denkt gar nicht daran, dass man irgendwas zu irgendwas sagen müsste. Dabei aber höchst anschaubar. Auch mal Kevin Kline, John Cleese, Scott Glenn und Jeff Goldblum als Westerner. Vor allem Kline gelingen ein paar feine Szenen, nicht wenige davon im Zusammenspiel mit Linda Hunt.

Am bedauerlichsten bei der ganzen Sache fand ich noch, dass sie die Wette (siehe Zitat) nach dem Showdown nicht mehr thematisieren, da wäre doch noch ein hübsches kleines "Hallo" ganz nach dem sonstigen Geschmack des Films drin gewesen. Gerade, wenn man bedenkt, dass Kasdan auch sonst nicht gerade brutal gekürzt zu haben scheint und eher sein Liebhaberherz hat entscheiden lassen.


WILD BILL
|Walter Hill|USA 1995|
»Could you just jump over the bullshit?«

Die letzten Tage des lebensmüden, aber nicht ganz kampflos aufgebenden Bill Hickok (Jeff Bridges). Wer mit der Waffe lebt, wird durch die Waffe sterben.

Eine interessante, eher im Handstreich als mit epischem Atem erzählte Vorstudie zu Jesse James' Ermordung durch einen Herrn namens Robert Ford (der ein Feigling gewesen ist), wie gefilmt von Andrew Dominik. Das ist mir beim letzten Mal nicht aufgegangen, da habe ich diesem Film noch Unrecht getan. Gefällt mir.


THE LONG RIDERS
|Walter Hill|USA 1980|
»What does the winner get?«
»Nothin' both of you ain't already had.«


Hills Film trägt die Gewissheit des historisch nunmal verbürgten bösen Endes für seine Protagonisten von Anfang an in sich. Wie in Wild Bill bringen sich die Figuren mit einiger Lakonie in die Position, die ihnen die Historie diktiert. Als wüssten sie es. Auch wenn sie schon noch aufbegehren und so. Aber eher weil man das so macht. Nicht weil sie glaubten dass das auf lange Sicht was ändert. Eine ähnliche resignatives Bewusstsein für den Platz in der amerikanischen Geschichte wie Walter Brennans Ike Clanton in John Fords My Darling Clementine.

Stuntleiter Craig Baxley kommt mal wieder dezidiert nicht in Frieden und bietet Walter Hill was für sein Geld, vor allem im finalen Hinterhalt, in dem das ganze Dorf auf die James-Younger-Gang vorbereitet ist. Wie Keith Carradine vom Pferd pirouettiert und wie sie alle am Ende durch die Fenster reiten, das sind starke Stunts und Bilder.

Stacy Keach, David und Keith Carradine haben eine sehr gute, entspannte, natürliche Präsenz, machen aus den Schlaglichtern die Hill auf die Figuren wirft, eine Menge, und auch Randy Quaid (dessen Bruder Dennis nur kurz reinschaut) nutzt seine Momente. Und Pamela Reed. David Carradine, vielleicht der auffälligste von allen, darf vor allem (aber nicht nur!) in den Szenen mit der sehr guten Reed glänzen. Inklusive einer grimmig ritualisierten Südstaatenmesserstecherei mit James Remar als ihrem Ehemann, in dem sie beide zwei Enden desselben Seiles zwischen den Zähnen halten.

Apropos Hills Schlaglichter: ein paar davon reserviert er für Musik (Soundtrack wie in Last Man Standing von Ry Cooder), was mir immer gefällt. Der Priester der auf der Beerdigung von einem Ort singt »where there’s no more stormy clouds arisin’«; Keith Carradine, der im Zug in Roberts Gezupfe einsteigt.


3:10 TO YUMA
|James Mangold|USA 2007|
»Hope I can send your husband back all right.«

»That looks like rain clouds over Bisbee. Still need that 200 Dollars, Dan?«
»Shut up.«

»And you just remember that your old man walked Ben wade to that station when nobody else would.«

Dan Evans wird immer gute Gründe haben, um Ben Wade in diesen Zug zu bringen.

Das Original gefällt mir in seiner spröden Universalität besser, aber auch der hier hat gute Darsteller (Crowe, Bale, Foster, Fonda) und eben diese saustarke Geschichte, die zwischen den beiden Polen Wade und Evans abläuft. Auch wenn die Action für sich genommen immer gut inszeniert ist, lenkt sie doch ein bisschen ab.


THE BALLAD OF CABLE HOGUE
[Abgerechnet wird zum Schluss]
|Sam Peckinpah|USA 1971|
»Lady, nobody's ever seen you before.«

Cable Hogue sucht eigentlich nur seine Rache, findet aber eine unwahrscheinliche Freundschaft, einen unwahrscheinlichen Wohlstand und eine unwahrscheinliche Liebe.

Peckinpah hat mal wieder sein Herz offengelegt, noch mehr als sonst, und jetzt kann man drauf schießen. Eine wunderschöne Ballade, ruppig und zärtlich, mit einem wieder einmal grandiosen, wieder einmal sterbenden Jason Robards.


RED HILL
|Patrick Hughes|AUS 2010|
»He's an innocent man, Shane.«

Bad day at Red Hill. Deputy Shane Cooper (Ryan Kwanten, der Rollenname ist kein Zufall) tritt gerade an dem Tag seinen Dienst in dem australischen Kaff an, als der berüchtigte Aborigine "Jimmy" Conway (Tom Lewis) aus dem Knast ausbricht und nach Red Hill zurück kommt. Er hat noch Rechnungen offen. Mit dem Sheriff (Steve "Goose" Bisley) und all seinen Deputys.

Ein Gegenwartswestern, der sich Spannungs- und Bedrohungsmomente von High Noon und Halloween leiht und damit achtbar fährt. Handwerklich sauber und mit einfacher, dem Sentiment vertrauender Moral, wie es sich für einen beflissenen Debütanten wie Hughes gehört.
In den Bergen um Red Hill, so erzählt man sich, geht ein Panther um. Und wie der in dieser Geschichte auftaucht und wieder verschwindet, mystisch und ehrfürchtig, weniger beiläufig als der Wolf in Collateral, aber ebenso den Film zum Stillstand bringend, das ist allein schon ein Grund, Red Hill zu mögen.
Ein zweiter ist, wie delikat Kwanten und Claire van der Boom die Szene spielen, in der Cooper mitten in der Nacht seine Waffe von zuhause holt und ihr nicht sagen will, was vor sich geht.


MANNAJA
|Sergio Martino|I 1977|
"You deserve a nasty ending,
Something's gonna happen very soon."

Ziemlich brauchbarer Italowestern mit brummigem Folksoundtrack, einem blonden Helden (Maurizio Merli) mit blendend weißem Gebiss, Bud Spencer-Synchro und Tomahawk, und einem starken Finale.


THE PROPOSITION
|John Hillcoat|AUS 2005|
»Good Lord, no. We're a family.«

Alle Figuren scheinen von der gleißenden Leere der Landschaft erdrückt zu werden. Sie sind alle Kinder des Landes, ob sie nun hier geboren sind oder nicht, und hassen es dafür. Der Einfluss des Landes ist auf ihren Gesichtern, in ihren Bewegungen, ihren Worten, ihren Gedanken. Sie scheinen alle von der brütenden, hellen Unbarmherzigkeit zermürbt, auf ihre Weise, manche wie Verletzte, die ihr gesamtes Verhalten um ihre Verletzung herum organisieren, damit sie nicht schmerzt, andere, die wie fasziniert in der eigenen Wunde wühlen und sich vielleicht fragen, wie das Teil ihres Körpers sein kann, oder es womöglich in ihrer Abgestumpftheit gar nicht mehr bemerken und es nur aus Langeweile, als rein motorische Beschäftigung weiterhin tun. Es liegt eine bestialische, ungezähmte Unvermeidlichkeit über dem ganzen Film, und das Land ist das Sinnbild dafür. Jeder Zentimeter der Kultivierung muss ihm gewaltsam entrissen werden, mit einem Aufwand, der an sich schon viel zu hoch ist, und wenn es dann einmal geschafft ist, wartet das Land direkt vor dem weißen Gartenzaun darauf, es sich bei dem ersten Anzeichen von Schwäche oder Unachtsamkeit der Wächter wieder einzuverleiben.

Seit Erscheinen mindestens einmal pro Jahr gesehen. Jedes Mal für großartig befunden.


SERAPHIM FALLS
|David van Ancken|USA 2006|
»Son, nobody can protect nobody in this world.«

Liam Neeson jagt mit einer schrumpfenden Anzahl Kopfgeldjägern Pierce Brosnan durch Schnee und Wüste in diesem ramboesken Western.
Brosnan ist klasse in seiner permanenten Müdigkeit, immer nur einen kleinen Schubs davon entfernt, zu resignieren, ohne es je zu tun. Stattdessen hebelt er sich mit seinem Messer eine Kugel aus der Schulter und brennt die Wunde zu, er lässt das Messer mit spitzen Fingern auf einen Mann einige Meter unter ihm fallen und weidet ihn dann aus, um seine Hände zu wärmen und den anderen Verfolgern was zum Nachdenken zu geben, und er springt aus einem ebenfalls ausgeweideten Pferd, um sie zu überraschen.
Das metaphysische Ende, bei dem die beiden einem Indianer und Anjelica Huston alles geben, um den anderen umzubringen, stört beim ersten Sehen, geht aber retrospektiv voll in Ordnung. Starker Film.

LONE STAR
|John Sayles|USA 1997|
»Forget the Alamo.«

Ein Film, der einen ein bisschen wehmütig zurücklässt, weil man gerne noch länger an diesem Ort geblieben wäre. Einfach, um noch ein paar Geschichten zu hören, die Luft noch etwas zu riechen.


THREE GODFATHERS
[Spuren im Sand]
|John Ford|USA 1948|
»Los! Marschier weiter, du Landstreicher!«

»Robert. William. Pedro.«

Dass ich John Wayne meine Mutter, Großmutter, Nichte und Neffen anvertrauen würde, wusste ich ja schon vorher.


NO NAME ON THE BULLET
[Auf der Kugel stand kein Name]
|Jack Arnold|USA 1959|
»Don’t you know? Same thing he wants anywhere.«

»We can add two and two together.«
»Congratulations, banker. No deal.«

»There are many of you! Yes, you could kill me. If you're willing enough. But it's only fair to tell you that I'll kill you, Stricker. And you, Dutch Henry. The physician. His father. And there might even be time for you, storekeeper.«

Ein Killer kommt nach Lordsburg, und alle fragen sie sich, wegen wem von ihnen er gekommen ist. Er sagt es nicht. Nimmt sich ein Zimmer und wartet. Die Angst greift um sich. Der Killer wartet. Präventivschläge werden erwogen, Selbstmorde werden begangen, vermeintliche Ziele schalten vermeintliche Auftraggeber aus. Einzig der Doktor von Lordsburg bemüht sich um Schlichtung und Empathie.

Als am Ende Gant den angriffsbereiten Doc mit einem Pistolenschuss von präziser Beiläufigkeit entwaffnet, zeigt Arnold beide Personen in derselben Einstellung, zeigt also den Schuss und dessen Wirkung gleichzeitig und setzt damit ein Ausrufezeichen, wie man es heute kaum noch kann.
Die berüchtigte Taktik des Killers ist es, den anderen zu provozieren, ihn zuerst ziehen zu lassen, vor Zeugen, und ihn dann in Notwehr zu erschießen. Kinski in Leichen pflastern seinen Weg. Neben der psychologischen Härte, der Sympathie für den Schwarzhut, dem Blick auf Massenparanoia und zusammenbrechende Bürgerfassaden, der prägnanten Machart mit dem ungewöhnlich pointierten Ende deutet das bereits auf die Dekonstruktion und Genreerschütterungen hin, die folgen sollten. Die Western in den Fünfzigern waren so harmlos nicht.

Audie Murphy, Hollywoods höchstdekorierter Kriegsheld und selbst hier, 14 Jahre später, noch ein babyface, in seiner dem Vernehmen nach stärksten Rolle als beherrschter, kalkulierender und von einfachen Menschen weitestgehend distanzierter Killer John Gant. Es ist ebenso sehr sein Verdienst wie der von Regisseur und B-Phantastik-Spezialist Arnold und Drehbuchautor Gene Coon (’64er The Killers) dass dieser kleine, harte, nur knapp über 70minütige B-Western so hervorragend funktioniert.


STAGECOACH
[Ringo|Höllenfahrt nach Santa Fé]
|John Ford|USA 1939|
»Well, there are some things a man just can't run away from.«

»You may need me and this Winchester, Curly. Saw a ranch house burnin' last night.«

»The line went dead, sir.«
»What have you got here?«
»Only the first word, sir.«
»Geronimo.«


In der Postkutsche von Tonto nach Lordsburg treffen neun Archetypen der Gesellschaft aufeinander. Das wäre sogar dann interessant, wenn es nicht durch das Gebiet von Apachen auf dem Kriegspfad ginge. Tut es aber glücklicherweise.

Der erste Film den der Regisseur in Monument Valley drehte. John Ford zieht in sein Wohnzimmer ein.
Der Film, mit dem Orson Welles für Citizen Kane Filmgrammatik paukte.
Und ich hab ihn bisher noch nie gesehen.

John Wayne wurde von seinem Vorbild Ford beim Dreh ordentlich gepiesackt und im Gegenzug zum Star gemacht. Waynes Einstieg in diesen Film ist einer der ganz großen; Carrol Reed für Orson Welles, Sergio Leone für Henry Fonda. In Tonto wird noch über diesen Ringo geredet, ausgebrochen ist er aus dem Knast, weil er mit den drei Plummer-Brüdern noch ’ne Rechnung offen hat, und plötzlich steht er vor der Kutsche. Am Rande des Apachengebietes. Der Sheriff auf dem Kutschbock hat das Gewehr im Anschlag, die Passagiere starren raus. Da steht er. Den Sattel des Pferdes das er erschießen musste in der einen Hand. In der anderen dreht sich die Winchester. Ein Kreis, ein fester Griff absoluter Autorität. Einen Sekundenbruchteil wird die Einstellung unscharf (ein unsterblich gewordener, wunderschöner Fehler), ehe Ford die Kamera in die Nahaufnahme gehen lässt. BANG! Irgendjemand irgendeinen Zweifel, dass der Mann ein Star ist? Dachte ich mir.
Wenn er mit der Winchester im Anschlag auf dem Kutschendach liegt und Indianer abknallt, ist man einfach verdammt froh dass er da ist. (Indianer~Gang in Assault on Precinct 13)
Wayne reagiert auch wieder wundervoll auf die Anwesenheit eines Babys. Als Claire Trevor mit dem Baby der anderen Frau auf dem Arm den Raum betritt, stellt er sich gerade hin, tritt zögerlich näher, klemmt verlegen die Daumen hinter die Hosenträger. Und dann folgt er Claire Trevor durch den schmalen Flur von der Kamera weg nach draußen, dieser große Mann mit diesem gemächlichen, heldenhaften, erfundenen Schlendern, um der aus der Stadt gejagten Hure die er kaum einen Tag kennt, einen Heiratsantrag zu machen.
“Admittedly, Wayne was helped by John Ford's iconic direction, but the choices in Wayne's acting were designed to be iconographic. Wayne knew he would be projected to thirty feet tall and adjusted his performance.” (jemand namens John, in einem für John-Wayne-Studien/Anekdoten ohnehin unerlässlichen Eintrag in Roger Eberts Blog)

Ford ist in ehrfurchtgebietender Form. Die pure Klarheit, man könnte permanent heulen vor Ergriffenheit. Werde ich noch verdammt oft sehen.

“Ford’s technique is to erect a Wild West of the imagination, governed only by the laws of storytelling, and then go into it as an explorer, insisting on its reality by recording convincing details (like the stray colt running behind the stagecoach when it first appears)—an ethnographer of an unreal world. (…)Ford had given the pulp pleasures of the western the weight of legend (…).” (David Cairns)

Die Staubwolke, die die Kavallerie und die Indianer verschluckt, während die Kutsche zwischen Wolke und Kamera erschöpft von dem Sprint anhält. Geschafft. Wie viel Energie in den rasenden Pferden steckt, in dieser Totalen mit Kavallerie, Kutsche und Indianern! Klischee? Blödsinn. Es ist, als würden diese Dinge vor meinen Augen geboren.
Yakima Canutt, der Waynes Lehrzeit durch die B-Filme damals schon lange als dessen Stuntdouble begleitet hat, macht hier für Wayne und für einen der Indianer, unfassbare Sachen zwischen den galoppierenden Zugpferden der Kutsche: “All in all, it is a gag that you could easily rub yourself out with if you make the wrong move”. Vic Armstrong, selbst Stuntveteran und Regisseur der Lundgrenade Joshua Tree, nennt Canutt in den Extras der Criterion Collection „the father of all stuntmen“.

Auch beim Shootout auf der Straße von Lordsburg zieht Ford sich aus der Action zurück. Da finden sie sich in den nächtlichen Straßen, drei gegen eins, Wayne wirft sich auf den Boden, gibt den ersten Schuss ab. Schnitt. Man ist bei den anderen, hört mit ihnen noch einen Schuss von Waynes Winchester, dann einen anderen Schuss, aus einer Pistole, und dann einen dritten aus der Winchester. Drei Kugeln, die eiserne Reserve, die er in seinem Hut versteckt hatte. Das Actionhighlight war die Verfolgungsjagd. Toppen wird er die in diesem Film nicht mehr, also versucht er es gar nicht erst. Ein Film voller richtiger Entscheidungen.

"Other people, so I have read, treasure memorable moments in their lives: the time one climbed the Parthenon at sunrise, the summer night one met a lonely girl in Central Park and achieved with her a sweet and natural relationship, as they say in books. I too once met a girl in Central Park, but it is not much to remember. What I remember is the time John Wayne killed three men with a carbine as he was falling to the dusty street in Stagecoach, and the time the kitten found Orson Welles in the doorway in The Third Man.” (Walker Percy - The Moviegoer, 1961)

Claire Trevor war neun Jahre später die heruntergekommene Sängerin in John Hustons Key Largo und hat auch hier schon mehr weltmüde Zähigkeit als die allermeisten Damen ihrer Zeit. Wie sie am Ende neben Wayne hergeht und so viel gefasster ist als andere Frauen das wären.
Tim Holt (My Darling Clementine, Hustons Treasure of the Sierra Madre) hat eine kleine Rolle als Kavalleriemann, und Woody Strode himself muss hier noch den Laufburschen für die Plummers-Massas spielen.
Lohnendere Nebenrollen haben da John Carradine (der Vater von Keith und David) als etwas windiger Gentleman und Thomas Mitchell (der hierfür den Oscar als bester Nebendarsteller gewann, weil er die Balance zwischen komisch und ernst trifft, die Nebendarsteller bis heute in unzähligen Filmen anstrebten).


TEXAS - DOC SNYDER HÄLT DIE WELT IN ATEM
|Ralph Huettner & Helge Schneider|D 1993|
»Eine bestimmte Person will seinen Bruder aus dem Gefängnis befreien.«

Der Western war erst 1993 in Elspe, Lennestadt zu Ende demontiert.


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Noir-Randgebiete etc.


BLOOD & WINE
|Bob Rafelson|UK 1996|
"Hast du danach wenigstens die Scheiß Laken gewaschen?!"

Noireskes Drama rund um einen Kriminalfall, aber eigentlich um Menschen, deren Leben sie kaputtmacht, die aber nicht anders können, als sich mit jedem Versuch, das zu ändern, weiter reinzureiten. Der Vergleich mit Lumets downward spiral Before the Devil Knows You're Dead liegt nahe und muss für meinen Geschmack gar nicht mal gescheut werden, auch wenn Lumet die Sache natürlich zwingender und einsaugender zu inszenieren wusste. Könnte zum Teil aber auch einfach eine reine Stilfrage sein, weiß ich nicht.

Michael Caine hat richtig Spaß mit seiner Rolle als festgefahrener Altgangster, der sich durch nichts davon abhalten lässt, seine misanthropische, gewaltbereite Routine abzuspulen. Auch nicht dadurch, dass er danach regelmäßig Blut kotzt. Im Audiokommentar zu The Quiet American wird er erwähnen, dass es diese Rolle war, die ihn aus einem Loch holte und ihm erlaubte, sich als Nebendarsteller und Diener des Films neu zu erfinden.

Jack Nicholson ist hier in einer dieser Rollen zu sehen, wie er sie immer mal wieder bewusst zu suchen schien und wie sie ihm von vielen Leuten nicht verziehen werden, weil er sie verunsichert, wenn er manchmal richtig in die schmierigen Vollen geht. Ohne das zu relativieren und sich mit Frechheit und Humor abzusichern. Seinen Haifisch-Charme erkauft er sich immer mit einer Schmierigkeit und mit einem Potential zum Anstößigen. Nur manchmal weigern er und ein Film sich, das erstens bis ins karikatureske auszureizen und zweitens als etwas Liebenswertes darzustellen. Diese Rollen lassen die Jackness zwar noch aufblitzen, aber fahren sie so weit zurück, dass dahinter wirklich ein Mensch zu erkennen ist. Und das ist dann kein guter, sympathischer mehr, eher ein jämmerlicher, kleiner: "Sag mir, wo sie ist, damit ich aus deinem Leben verschwinden kann."
Er braucht Geld für seine Geliebte (Jennifer Lopez), und er weiß, dass er dafür seine Frau wie Dreck behandelt hat. Das tut ihm vielleicht sogar leid, aber ändern will er es doch nicht, weil die Prioritäten andere sind. Er ist verliebt und er ist verheiratet, nur nicht in dieselbe Frau. Das alles wächst ihm über den Kopf, er läuft schon zu lange im roten Bereich. Aber er, ein unermüdlicher Optimist zumindest insofern, dass er aus jedem Scheiß irgendwie rauskommen zu können glaubt, dreht trotzdem weiter an der Schraube. Und das ist dann sein Untergang.

Schmutzig, character-driven, den Vorbildern verpflichtet und damit zufrieden. Mag ich.



INSOMNIA
[Todesschlaf]
|Erik Skjoldbjaerg|N 1997|
"Ich habe es so verdammt satt, Tote wieder auferstehen zu lassen."

Ein düsteres, dichtes, unnachgiebiges Drehbuch. Eine konsequent entworfene und eindrucksvoll erschlossene Welt, die dem Sünder nicht einmal die kleinsten Möglichkeiten der Gnade, nämlich Schlaf und Dunkelheit, erlaubt. In Stellan Skarsgard ein Hauptdarsteller der sich dieser Welt mit Haut und Haaren in den Rachen wirft. Ein gleißend helles Noir-Juwel.



WHERE THE TRUTH LIES
[Wahre Lügen]
|Atom Egoyan|USA 2005|
»This is America, we don't say "hazard a guess", we say "yes" or "no".«

Sex, Lügen, Intrigen, alte Wunden, Verfall und Verzweiflung hinter makelloser Oberfläche, ein bewusst verworrener Plot und ein Ende, bei dem alle etwas verloren haben, niemand mit der Wahrheit glücklich ist und es höchstens noch ein bisschen Schadensbegrenzung gibt. Schön.
"Having to be a nice guy is the toughest job in the world when you're not" sagt Kevin Bacon als Lanny Morris einmal, und das gelingt ihm und Firth vom ersten Moment an ausgezeichnet: Zwei, die ganz genau wissen, dass sie keine netten Menschen sind, spielen auf der Bühne vor einem Millionpublikum genau das was sie nicht sind. Man sieht, dass sie nur durch Choreografien gehen. Die Bewegungen, die Attitüde, alles einstudiert. Zugleich aber sehen sie genau so aus wie man es von den Teams aus Gentleman und Tramp aus dieser Zeit zu kennen glaubt. Wenn man will, kann man darin auch gutes, altes Entertainment sehen. Denn irgendwie war es doch immer so. Ironischerweise werden dann sogar die Momente, in denen die Maske verrutscht, als Teil der Vorstellung interpretiert. Mal unabsichtlich, wie die Tränen, die Lanny in den Augen hat, als ein kleines Mädchen von ihrer überstandenen Krankheit erzählt, er aber an etwas völlig anderes denkt; mal wird es zynisch zum Teil der Show gemacht, als Lanny eine routiniert alberne Version von diesem "I'm just a gigolo" - Song spielt, während Vince hinter der Bühne einen Zuschauer verprügelt, der Lanny als "kike" beschimpfte.

Nebenbei darf Firth ein schönes Bonmot zum New Journalism darbieten:
»Whenever I read one of those interviews where the writer says "this is how I felt the morning I woke up to meet the pope, this is how I felt when the pope greeted me and how the pope reminded me so much of my very best friend Mike", I always think "Who the fuck is Mike?"«



THE THIN MAN
[Der dünne Mann]
|W. S. van Dyke|USA 1934|
»Kannst du nicht einschlafen, Liebling?«
»Nein.«
»Dann nimm doch 'n Drink. Vielleicht hilft das.«
»Nein danke.«
»Dann werd ich einen für dich nehmen.«

Ballett für zwei Personen und einen Hund. Höchst erbaulich.



THE UNSUSPECTED
[Der Unverdächtige]
|Michael Curtiz|USA 1947|
»Sei klug und pack deine Koffer, Steven.«

Claude Rains parliert auf unnachahmliche Weise durch einen gefälligen Noir und lässt auch nach zwei Vertuschungsmorden seine Manieren nicht schleifen.
Geht immer, sowas. Dafür kannste mich nachts um drei wecken.



NIGHT AND THE CITY
[Die Ratte von Soho]
|Jules Dassin|UK 1950|
"Harry is an artist without an art."

Dazu kann ich gar nicht viel sagen, außer das so ziemlich alles passt und ich den abgöttisch liebe.

Vielleicht noch, dass mir außer Carpenters They live kein Film einfällt, der so bereitwillig eine Vollbremsung macht, damit zwei Menschen sich ausgiebigst beharken können.



THE LADY FROM SHANGHAI
[Die Lady von Shanghai]
|Orson Welles|USA 1948|
"I'm aiming at you, lover!"

Ein sirrendes Chaos aus Kitsch und Kunst, irgendwie ungesund, fiebrig. Definitiv faszinierend. Glenn Anders' aufgerissene Augen, Everett Sloanes "lover…" und Rita Hayworths Close-up nimmt man mit in die Träume.



Apropos Welles...



ME & ORSON WELLES
[Ich & Orson Welles]
|Richard Linklater|USA 2009|
»Come on now. Uncle Orson's got a game he wants you all to play.«

Eine federleichte Hymne auf Theater in den 30ern, in denen die Möglichkeiten für einen jungen, staunenden Burschen (Zac Efron) nur so in der Luft lagen und er von der Straße weg von Orson Welles für's Mercury Theater engagiert werden konnte. Efrons ist eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, sauber inszeniert, gut gespielt.
Das Milieu, die Strahlkraft der Zeit und der Personen elektrisiert auch die eigentlich altbekannte Geschichte des Jungen. Kluge Entscheidung von Linklater, auch andere Figuren glänzen zu lassen und Welles als Nebenfigur zu belassen, die zwar mit der Wucht einer Dampflok immer mal wieder ins Bild hineinrauscht, es aber eben auch wieder verlässt. Und auch dann funktioniert der Film. Ich jedenfalls kriege eine klitzekleine Gänsehaut, wenn James Tupper als Joe Cotten aus dem Schatten einer Gasse tritt wie Harry Lime, und dem soeben von Claire Danes abservierten Efron zuraunt: "Want an advice from an old pro, kid?"

Aber vor allem ist der Film eine Bühne für den "octopus of ego", den jungen Orson Welles. Als würde man ihm tatsächlich bei der Arbeit zusehen können. Er jongliert mit Jobs, Ressourcen, Menschen. Er fährt im Krankenwagen mit Blaulicht durch die Stadt zu Radiohörspielen ("Who says ambulances are only for ill people?"), die das Geld fürs Theater einbringen sollen. Er umgarnt, befiehlt, schmettert und flüstert ("Ambersons is about… how everything is taken away from you."). Christian McKay wischt alle Bedenken beiseite, zieht alle Blicke auf sich und zeigt uns ein Genie, in dessen Lächeln die Gewissheit liegt, dass "his happiness would make the world's day" (Graham Greene). Und dessen Gewissheit reicht, um einen ganzen Theatersaal voller Menschen, vor und hinter der Bühne, davon zu überzeugen, dass sie Zeuge, wenn nicht sogar Teil von etwas Großem sein werden, wenn sie sich nur in seiner Nähe halten können. Danke sehr, Mr McKay.


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4 x Peter Lorre


M- EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER
|Fritz Lang|D 1931|
»Will nicht! Muss!«

Wie wunderbar die Schauplätze aussehen, die primitiven, allgegenwärtigen Werbeplakate. Wie atemlos ich mit dem Mann losrennen möchte, der Beckert kurz darauf mit dem M brandmarken wird, als der Blinde seine Schlussfolgerungen mühsam hervorholt und man schon weiß was er sagen will. Wie großartig körperlich Gründgens' Schränker aus Ungeduld eine Tür einrennt, wie souverän und präzis' Lang mit Beckerts Präsenz umgeht. Wie klein Lang das verständnisvolle Nicken eines alten Verbrechers der weiß wie es ist, von sich selbst verfolgt zu werden, in dem sich aufheizenden Mob einbaut. Wie gekonnt Lang die Konferenzen der Unterwelt und der Polizei zusammenschneidet, wie wach und aufmerksam er den Zuschauer hält
Wie unfassbar eigenartig Lorre diese Rede am Schluss gestaltet, das "Ende der Normalität", und doch überwältigend aufrichtig, intelligent und unmittelbar, wie furchtlos er sich in die animal areas begibt, mit was für einer rasanten Bandbreite an Gefühlen, im Gesicht, im Körper, im Timbre. Wie fein die retardierende Befragung der Zeugen vor dem Gericht der Unterwelt gesetzt und gespielt ist, wie herrlich die kleine Nebenrolle des bei der Razzia nach seinem Ausweis Gefragten ist, der mit einem frechen, aber wissenden Grinsen "Ham wa nich'" antwortet, worauf Lohmann sagt "Alex!" und der Grinsende, immer noch wissend, mit einem "Pech jehabt" aus dem Bild und aus dem Film verschwindet.


THE MASK OF DIMITRIOS
[Die Maske des Dimitrios]
|Jean Negulesco|USA 1944|
»Vielleicht sind Sie auch verrückt. Aber in diesem Fall kann ich Ihnen nur Ihren Spaß lassen und das Beste für mich hoffen.«

Das Thema ist Höflichkeit. Die Höflichkeit der Unterwelt und dieser eine, dieser Herr McGuffin oder Dimitrios, der als einziger auf Höflichkeit scheißt. So viel Höflichkeit auch mit Lüge zu tun haben mag, sie bedingt auch eine gewisse Ehrlichkeit. Denn Höflichkeit verlangt immer auch, dass man das Interesse und die Aussagen des Gegenüber zumindest nach außen für wahr und frei von Hintergedanken hält. Wenn man Interesse erfolgreich heuchelt, muss man auch damit leben, dass es bedient wird. Höflichkeit ist ein Bestehen auf die Vernunft und den humanistischen Anstand – bei sich und anderen. Dieser Verhaltenskodex eröffnet, gerade in Intrigenspielen und Täuschungsmanövern, eine weitere mögliche Ebene und damit direkt mehr Eleganz, Eloquenz und Nuancierung. Hinter Höflichkeit kann man vieles verstecken, und wenn das versteckte doch mal sein Köpfchen reckt, dann wird es auch bemerkt.
Man sieht hier auch schon die Wurzeln der 90er-Postmoderne-Gangsterwelle. Die hat die Höflichkeit und Eleganz zumeist durch wisecracking, Straßenslang ersetzt.

Das Drehbuch zu Dimitriosens Maske schrieb Frank Gruber nach dem Roman von Eric Ambler. Strukturell ist Negulescos Film vergleichbar mit Citizen Kane und Mr Arkadin von Orson Welles (der übrigens zeitnah zu Dimitrios Amblers Journey into Fear verfilmte) : Auf der Suche nach einer Legende werden Stationen abgeklappert, bei denen jeder der alten Weggefährten zwecks Erhellung des Gesamtbildes eine Flashback-Episode erzählt. Vergangenheit ist untrennbar mit der Gegenwart verzahnt, Dimitrios mag mit seiner Vergangenheit abschließen, sobald er sich umdreht und noch bevor das Opfer auf dem Boden aufschlägt, aber sie hat noch nicht mit ihm abgeschlossen. Er lässt - Anfängerfehler - öfters wen am Leben, der von ihm berichten kann: Frauen, ehemalige Geschäftspartner, häufig "kleine Männer", mal "arm" und "verwirrt", mal "lustig" und "dick". Immer "klein". Wie der Film diese Randerscheinungen in feinen Seitenblicken zeichnet, ist neben dem Spaß, den Herren Lorre und Greenstreet beim Parlieren zuzusehen, eine der Stärken des Films.

Sidney Greenstreet und Peter Lorre verfolgen also die Spur von Dimitrios, aus Motiven, die gar nicht so monetär sind, wie sie sich gegenseitig weismachen wollen. Eine Konstellation, die in manchem den Maltese Falcon anklingen lässt, und warum auch nicht. Hier aber geht es nicht um Geld, wie sie erst alle glauben, und auch nicht um Frauen. Die beiden üblichen Katalysatoren für Verrat und Ränkespiele sind also eliminiert. Eine schöne Variation für das Genre.

Auch wenn der gute Dimitrios nach all dem Gerede und Gerenne dann in persona doch milde enttäuscht, ist sein Film ein manierlicher Genrevertreter, diszipliniert inszeniert, gut gespielt.


THE BEAST WITH FIVE FINGERS
[Die Bestie mit den fünf Fingern]
|Robert Florey|USA 1946|

Lorre als Sekretär eines alten Pianisten, dessen abgetrennte Hand in den Erbstreit nach seinem Tod eingreift, indem sie die erbschleichenden Aasgeier erwürgt und nächtens in der Villa Klavier spielt. In einer schönen Szene, in der Lorre und Andrea King vom Treppenaufgang auf das Klavier hinunterblicken und nur einer von beiden die Hand klimpern hören kann, wird dem labilen Lorre eingeredet, dass er für die Morde verantwortlich sei. Dabei hat er vorher noch alles getan um weiteres Morden zu unterbinden. Nämlich die Hand erst in eine Schreibtischschublade geworfen und sie, als sie sich befreite, auf den Schreibtisch genagelt. Was wegen des durch die nächtliche Villa hallenden Hämmerns Kings love interest zu dem treffenden Satz inspiriert: "Was hämmert der denn da?!" Sam Raimi lässt schön grüßen.
Lorre steht hier immerzu am Rand, in Ecken, drückt sich an Wänden entlang. Das Bild flackert, es vibriert vor Möglichkeiten, wenn dieser kleine Gnom im Raum ist. Der Hays Code, die Moral, die Gesellschaft, die menschliche Rasse: alles scheint dann in Gefahr, zu kippen.


QUICKSAND
|Irving Pichel|USA 1950|
»There's only nine nickles there, buddy.«
»Yeah? Who's cheating who?«

Mickey Rooney ist keine einssechzig groß, sah mal aus wie ein abgerundeter Steve Zahn – als könnte er Mickey Mouse in einer Realverfilmung spielen -, hat so viele Sterne auf dem Walk of Fame wie Oscarnominierungen (vier), verdankt seinen Ruhm einem guten Dutzend Heile-Welt-Musicals mit Judy Garland, ist seit mehr als 80 Jahren im Geschäft und der letzte noch aktive Stummfilmschauspieler. 1950 war der lächelnde Mann karrieretechnisch schon auf dem absteigenden Ast und gerade mit Martha "She tried to sit in my lap while I was standing up" Vickers verheiratet. Spielsucht, Trunksucht, Pleite, wiedergeborener Christ, Black Stallion, Cap & Capper, Nachts im Museum.
Und zu einer Zeit, da die Exklusivverträge, die bestimmte Darsteller an bestimmte Studios banden, in Auflösung begriffen waren und man schauen musste wo man blieb, eben auch mal ein kleiner Noir wie Quicksand.

Ein harmloser Automechaniker (Rooney) entwendet einen Zwanziger aus der Kasse der Werkstatt, um eine Frau (Jeanne Cagney) auszuführen. Mit der festen Absicht, es am nächsten Tag zurückzulegen. Wie das so ist mit guten Absichten in Noirs, werden diese gründlich vom Zufall in den Staub getreten. Der Vertuschungsaufwand wird größer, die Scheiße in der er landet tiefer.
Wenn die Dame des Herzens die kleine Schwester von einem gewissen James Cagney ist (dem sie wie aus dem Gesicht geschnitten ist, der hier aber leider nicht mit tut) und Peter Lorre ihr verbitterter Ex ist – ja, dann sieht das halt mal schlecht aus.

Ziemlich okayer kleiner Noir (der frei verfügbar auf archive.org zu haben ist), von dem man allerdings keine Wunderdinge erwarten darf. Lorre ist hier, kurz vor seinem letzten Aufbäumen Der Verlorene, als Spielhallenbesitzer Nick Dramoshag sehenswert in seiner sanftzüngigen Verkommenheit. Die Müdigkeit ist ihm hier auch schon in die Seele gekrochen, aber vielleicht ist das auch nur die Rolle. Für eine kurze, überraschend glaubwürdige Rauferei mit Rooney reicht es aber noch. Lorre gewinnt – der war immerhin mal Mr Moto, im Fernsehen, und neben Babyface Rooney sieht jeder aus wie ein veritabler Knochenbrecher. Schöne Szene.

Lorre Lang Greenstreet Negulesco Noir


Foto

Fünf Western


PAT GARRETT & BILLY THE KID
[Pat Garrett jagt Billy the Kid]
|Sam Peckinpah|USA 1973|
"It feels like… times have changed."
"Times maybe. Not me."

Eine Western, mit einem wehmütigen, pulsierenden, dichtenden Herzen. Getränkt in Melancholie und Pulverdampf. Viele Tote, viel Poesie. Something to do with death. Ein wunderschöner, ein großer Film.

Die Szene, in der Slim Pickens angeschossen am See sitzt, seine Frau (Katy Jurado) halb zu ihm rüber kriecht, weint, während Dylans Knockin' on Heaven's Door von irgendwo heranweht, ist Melancholie, Reue, Liebe und Tod in allen Western und Welten zugleich.

Eigentlich war Peckinpah ein Sentimentalist und Western-Romantiker wie Ford. Peckinpah hätte mit John Wayne einen großen Film machen können, aber das hätten sie wohl beide nicht in ihre Köpfe gekriegt.

James Coburn spielt in diesem Film um sein Leben. Für seinen Pat Garrett ist der ganze Film ein langes Atemholen und Ausatmen vor der Tat, die er begehen zu müssen glaubt und für die er sich doch schon vorab verachtet. "We're after men. And I wish to God I was with them", darf Robert Ryan in The Wild Bunch sagen und wie bei ihm ist auch bei Coburns Garrett trotz Vernunft und Pflicht eigentlich alles Wehmut. Und wie Ryan sitzt auch Coburn nach getaner Arbeit einfach stundenlang herum und stiert in sich hinein, bis es Morgen ist.

Dass Peckinpah hier viele Motive noch einmal verwendet, scheint nicht nur seiner Präokkupation mit bestimmten Themen, sondern auch dem Western an sich und seiner ureigenen Attraktivität geschuldet: Ford konnte nicht von seinen Standards lassen, auch der sonst so umtriebige Howard Hawks drehte Rio Bravo gleich drei Mal. Western ist Herzensangelegenheit, nicht rational, nicht abschließbar; eine alte Liebe, zu der man gern zurückkehrt und die einen jedes Mal wieder warm in die Arme schließt; sentimentaler Eskapismus, auch wenn es schmutzig und hart zugeht wie bei Peckinpah.

Die Szene, in der Bob Dylan im Hintergrund monoton und stockend Konservendosenetikette entziffert, während Coburn ein paar Gauner in Schach hält, würde in ihrer skurrilen Lakonie jedem Italowestern zur Ehre gereichen.
Bemerkenswert übrigens, wie Dylan immer angeschrägt wirkt, als gehöre er nicht wirklich dazu, auch wenn er mit der Attitüde der anderen durchaus was anfangen kann und sie auch sehr mag. Seine ist es eben nicht so sehr wie ihre, die nicht mehr darüber nachdenken müssen. Er kennt die Stimmung, die sie zu ihrem Lebensstil gemacht haben, sozusagen "lexikalisch" und manchmal wäre er selbst gern so, aber dafür ist er einfach zu anders gestrickt. Vergleichbar mit dem Problem, das Woody Allen in Play it again, Sam hat. Er weiß viel darüber, wie Bogey ist, kann aber nicht so sein. Er scheint, als wisse Dylan all das und fände sich an diesem Ort mit all den eingeschworenen Tough-Guy–Melancholikern in ihrer Peckinpah-Kommune, fehl am Platze, das zugleich aber ganz privat amüsant, weil es genau so ist, wie er es sich vorgestellt hat. Zu direkt und verbindlich für ihn, dessen Instinkt schon immer das Ausweichen und Wegducken war. So ähnlich hätte er sich wohl auch am Set eines John-Ford-Westerns gegeben: Als würde er die raue, aufrichtige Simplizität der Männer um ihn herum mit der Distanz eines Fremden bewundern. In diese Gesellschaft geraten wie ein Wechselbalg.

Peckinpah, vom Studio (MGM) bei diesem Streifen noch mehr in den Arsch gefickt als üblich, musste im Grunde gegen MGM filmen, mal heimlich, mal nur mit Freunden, und pflegte das durch auch für seine Verhältnisse beachtliche Alkoholexzesse zu verarbeiten. Das Set war lebensgefährlich, machmal jedenfalls. Als Harry Dean Stanton und Bob Dylan mit einer Joggingtour den Drehplan versauten, der vorsah, eine Szene während eines bestimmten Moments des Sonnenaufgangs zu drehen, damit es im Film aussieht wie Sonnenuntergang, kackte Peckinpah Stanton an. Der meinte, er sei da ganz Cheffes Meinung und sei deshalb Dylan hinterher gerannt - um ihn wieder einzufangen. Peckinpah warf schweigend ein herumliegendes Messer nach Stanton, das vibrierend in der Wand neben ihm steckenblieb. So war das damals. Bei anderer Gelegenheit musste des Nachts erst Kristofferson aus dem Bett geklingelt werden, damit der Peckinpah mit einfühlsamer Gewalt eine Knarre aus den fuchtelnden Händen windet. By god, I love it so.




APPALOOSA
|Ed Harris|USA 2008|
"You believe him over me?"
"That is correct."

Western. Ed Harris und Viggo Mortensen gegen Jeremy Irons und Lance Henriksen. Kann nicht schief gehen. Rumpelt zwar strukturell etwas, und die Begeisterung für Renee Zellweger in Hollywood kann ich auch hier nicht im Ansatz verstehen (ist wohl so eine alte-Männer-Sache). Hätte also besser sein können, aber trotzdem ziemlich gut. Ruhig, respektvoll, bedächtig, angenehm unterspielt, realistische eruptive, schnelle, dreckige Shootouts ("That was quick." - “Everyone could shoot.”). Werde ich mir bei Gelegenheit gerne nochmal ansehen und wie einen Kumpel begrüßen.



MY DARLING CLEMENTINE
[Faustrecht der Prärie]
|John Ford|USA 1946|
"Stop by the schoolhouse?"
"Yes, ma'am, I sure will."

Hier sieht man, wo Ed Harris mit Appaloosa und Kevin Costner mit Open Range hinwollten – und warum.
In allen drei Filmen wird mehr Zeit auf die zögerliche, sentimentale, aber aufrichtige Assimilation der Westerner in die Zivilisation verwendet - auf Lakritze kaufen, tanzen, auf Stühlen wippen, pokern und Häuser bauen -, als auf den Konflikt mit den Schwarzhüten. Der wird nur mal am Anfang etabliert, man befasst sich damit, wenn man muss, wenn er das Dorfleben unterbricht, hat aber eigentlich besseres zu tun.
Sogar Walter Brennans Old Man Clanton wirkt hier eher amtsmüde. Es scheint ihm schon länger keinen Spaß mehr zu machen, dieses erpressen und hinterrücks erschießen Business. Wie war das mit "Print the legend"? John Ford hat die Geschichte vom Gunfight at the OK Corral noch von Wyatt Earp persönlich gehört. Ahnt Clanton, dass man sich diese Geschichte noch lange erzählen wird, und dass er darin der Böse sein wird?

Je braver und langweiliger und manirierter die Frau, desto größer die Anziehungskraft für den Cowboy. Als Zuschauer zuckt man da eher mit den Schultern und kann das Gewese um ausgerechnet die Braut hier (Cathy Downs) ebenso wenig nachvollziehen wie bei Renee Zellweger, bescheidet sich aber damit, dass man wohl anders dächte, wäre man dreihundert Tage im Jahr mit nichts als seinen Brüdern, seinem Pferd und ein paar Rindern unterwegs.

Henry Fonda (erste Rolle nach dem Weltkrieg) schafft es bemerkenswert gut, seinen Earp aus dem üblichen Schatten des in Verfilmungen eigentlich immer unterhaltsameren Doc Holliday (Victor Mature) zu holen und ihn im Zusammenspiel, aber auch allein, mindestens gleichwertig zu machen. Ein Verdienst, der ebenso Mature und Ford gebührt. Mature hat eine wundervolle, klassische Szene, als er Hamlets "To be or not to be" – Monolog für einen von den Clantons eingeschüchterten Schauspieler zu Ende bringt; Fonda kippelt auf der Veranda. Zwei Eindrücke, für die jeder Western seine Seele verkaufen würde, werden hier ganz lässig aus dem Ärmel geschüttelt. Gemütlicher, und gerade deshalb großer Western.




WARLOCK
|Edward Dmytryk|USA 1959|
"An dir selbst liegt dir nicht viel. Aber Clay liegt dir am Herzen. Und wenn er erst tot im Staub liegt, werde ich dich ansehen und dir ins Gesicht lachen."

Wie es auch aussehen kann, wenn zwei renditeorientierte Gunmen in ein Dorf kommen um sich um die Schwarzhüte zu kümmern. Fein, wie Warlock nicht nur die Figuren ambivalent sein und sicher geglaubte Allianzen zerstören lässt, sondern auch mit den Bildern seiner Stars selbst spielt. Ein Vorbild für Leone?
Fonda, ikonisch als der gerechte Mann des Volkes, sagt den Leuten hier von Beginn an, sie werden ihn für die Macht, die sie ihm geben, verachten. Und so kommt es dann auch. Wyatt Earp hätte das nie gesagt und nie getan. Anthony Quinn diese über jeden Zweifel hinwegfegende Naturgewalt, als blonder, latent schwuler, selbsthasszerfressener Krüppel. Und Widmark, in seinem Wesen ein Darsteller des Unbequemen, des Angespannten, des auf der Kippe Stehenden, des "Dazwischen", gibt aus eigener Moral heraus seine gefürchtete Position bei den Banditen auf, wechselt die Lager, wird zum Deputy und ist plötzlich tatsächlich der anständigste Mann in ganz Warlock.
Vorzüglicher Western.




THE HIRED HAND
[Der weite Ritt]
|Peter Fonda|USA 1971|
»Es ist alles nur eine Frage der Zeit, Ma'am. Auf irgendeine Art.«

Peter Fondas Regiedebüt ist ein Western, der seinem Vater gefallen hätte. Weil Fonda (Peter) seinen Kameramann Vilmos Szigmond bewundernd in den weiten Himmel, dem er oft drei Viertel des Bildes einräumt, in das Wasser und die Bäume blicken lässt; weil er eigentlich eine Geschichte darüber erzählt, warum Fondas (Henry) Wyatt Earp so gern wippend auf dem Stuhl auf der Veranda sitzt.
Ja, da sind Spielereien wie freeze frames, gemächliche Überblendungen, da wird schmutzig gestorben, da sind schreiende Verwundete und close-ups der Wunden; da ist auch eine starke, kluge, klarsichtige Frauenfigur, die die Männerbünde der Western durchschaut und dekonstruiert, eine die auch von Jane Fonda gespielt hätte werden können. Einmal sagt sie zu ihrem Mann, er hätte statt Warren Oates' Arch Harris ebenso gut eine andere Frau mitbringen können, mit der er sieben Jahre zusammen war, und verlangen, dass sie mit ihnen unter einem Dach lebt.
Ein großer Unterschied zu dem wohlerzogenen, passiven Püppchen aus My Darling Clementine.
Aber insgesamt ist das eine sentimentale, auch affirmative Geschichte vom Suchen und Finden der Heimat von einem, der lange davor weggelaufen ist.

Peckinpah Fonda Western




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