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Tradition und Vision - Reloaded

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Cracker-Crash


THE EXPENDABLES II

(THE EXPENDABLES II)

USA 2012

Regie: Simon West


Es war einmal eine Welt, da waren alle Dinge klar voneinander getrennt. Der österreichische Sohn eines SS-Offiziers grunzte vor sich her und konnte Filme um sich herum bauen lassen und sogar die ganze Welt. Ein kleiner Italo-Amerikaner mit einer körperlichen Behinderung hatte genug Künstlerpower, um die Filme selbst um sich herum zu bauen. Ein weiterer, halb Cherokee, halb Ire, im Indianerreservat zur Schule gegangen, wurde einer der bedeutendsten Rundaugen-Kampfsportler und musste sich, im Gegensatz zum Rest, noch Film für Film hocharbeiten. Ein alter Schwede, damals noch nicht so alt, wollte ein Universitätsstudium, eines hatte er schon, in den USA beginnen, wollte eine kleine Reise durch die Staaten machen und blieb schon gleich zu Beginn in der Künstlerszene von New York hängen. Und wieder einer war ein kleiner, etwas verzärtelter und doch grobschlächtiger Belgier, der davon träumte, ein großer Star zu werden und immer der Proll mit Herz war.

Sie alle sind die Helden einer Dekade, in der die Männlichkeit drohte verloren zu gehen. In der die Androgynität in der Pop-Kultur fröhlich Urstand feierte und sie klare Linien ziehen mussten, auch wenn ihnen dies nur über die Homoerotik gelang. Nach dem Motto "viel hilft viel" mussten mehr Muskeln denn je aufgebaut werden, umso viel Übergriffigkeit des Weiblichen entgegenzutreten. Keine geschminkten, geföhnten Langhaarbubis, sondern kernige Typen, die so gestylt, ästhetisiert und wirklichkeitsfern waren, dass sie nur peripher etwas mit Charles Bronson, Clint Eastwood, Burt Reynolds oder Steve McQueen zu tun hatten. Sie waren dank der pharmazeutischen Industrie die Männer, die man in einem Jahrzehnt brauchte, wo, wie gesagt, die Männlichkeit drohte verloren zu gehen. Und so mussten sie so männlich werden, dass es schon nicht mehr zum Aushalten war. So männlich, dass sie zur Wichsvorlage griechischer Philosophen, Denker und Staatsmänner mutierten, befähigt, nur durch ihre Körperkraft und natürlich ihrem Willen, die Gesetzte der Physik aus den Angeln zu haben.

Jeder von ihnen lebte in seinem eigenen Kosmos. Der komplexeste war schon immer der, der eigentlich ein Schauspieler war. Der kleine Italo-Amerikaner, der es schaffte, dass man ihn für 2,40 m auf der Leinwand hielt. Sein Ego war maßlos, aber gleichzeitig verkörperte er den one in a million und gab uns das Gefühl, wir könnten derjenige sein. Ihn konnte man bewundern, weil er es für uns alle tat. Der kantige Österreicher. Ihn konnte man zuerst belächeln, dann bewundern weil ihm alles zu gelingen schien und er den Minimalismus zur Kunst erhob. Der Indianer-Ire, der es als Dienst an der Sache verstand, immer pflichtbewusst, immer diszipliniert und doch etwas in sich, was ihn noch im hohen Alter nach Brasilien trieb, um dort völlig neue Kampfkünste zu erlernen. Ihn konnte man bewundern, weil er selbst so bodenständig blieb und seine Figuren mit roboteresker Gleichgültigkeit durch jedes Inferno führte. Der Schwede eignete sich aufgrund seines arischen Aussehens, das aber genauso auch dem Ideal des realexistierenden Sozialismus hätte entstammen können und der als ewiger Russe wirkte, als könne er mit einem Spaten mal eben 10 Plattenbauten aus dem Wüstensand empor schaufeln, von Anfang an wie ein Stereotyp, ein ewiger Platzhalter. Und der kleine Belgier ist zu dem geworden, was er sich am meisten erhofft hat. Er ist den umgekehrten Weg gegangen und vom schwulen Sportwagenfahrer, den er in einem seiner ersten Auftritte gab, zum Schauspieler geworden.

Sie alle haben so gut funktioniert, weil sich ihre Wege nur selten gekreuzt haben. Entweder als klare Kontrahenten, wie in UNIVERSAL SOLDIER oder in infantilen Muskelspielchen, wie in ZWILLINGE. Was kann dabei herumkommen, wenn so viel, sich eigentlich negierende homoerotische Machopower, plötzlich zusammenkommen soll, um gemeinsam zu arbeiten. Zu ROCKY IV - DER KAMPF DES JAHRHUNDERTS meinte Georg Seeßlen damals, dass Rocky und Drago, also Stallone und Lundgren, jetzt, wo sie Freunde geworden sind, eigentlich nur noch gegen die Außerirdischen antreten könnten.

Und ja: Gegen diese Söldnertruppe scheinen allerhöchstens die Außerirdischen eine Chance zu haben, doch würde eine derartige Verletzung der Genreregel gleich alles zum Einsturz bringen. PREDATOR klappt halt nicht immer. Und so sind unsere eitlen Helden einer "schwulen" Zeit auch genauso gealtert, wie man es von ihnen erwarten konnte. Nicht wie ein Bronson (nie und nimmer), ein Eastwood (der hat ja sogar), ein McQueen (der konnte nicht mehr) und ein Reynolds (der passt zu ihnen) sind sie gealtert, sondern geliftet, operiert, gestrafft, gebotoxt, geschminkt, gebügelt und gefärbt. Die Action-Drag-Queens der Geriatriestation raffen sich ein letztes (?) Mal auf, um zu zeigen, dass sie es noch können. Die Angst vor der Impotenz kann durch nichts besser kompensiert werden, als seiner Umwelt zu beweisen, dass man(n) es noch kann. Vielleicht nicht mehr im Bett, aber im Felde. Durch einen Schlag in die Fresse. Die "gute alte Methode" wie die "Technik" mit dem Schlagring auch genannt wird. Allein bringt das Weibliche schon so viel Finesse bei der Folterung mit, dass sich die Männer nur aus Angst und Ekel angewidert abwenden können. Überhaupt bekommt das Weibliche am Ende des Films einen ähnlich neuen Raum, wie seinerzeit in Friedkins CRUISING. In diese reine Männerdomäne, von homoerotischer Destruktion geprägt, dringt ein neues Element ein, welches ein Sinnbild für den heutigen Anpassungsfeminismus ist. Kann die Frau genauso gut töten wie der Mann, ist sie akzeptiert. Integrative Lösungen sind nicht erwünscht.

Warum (außer natürlich aus den Budgetgründen) wird es nicht vernünftig weiterentwickelt, was sogar in diesem Film steckt. Die Relikte des Kalten Krieges (unsere Truppe) haben ausgedient und landen in einem Relikt des Kalten Krieges (einer New-York-Kulissen-Nachstellung der Sowjets), wo sie vom größten kalten Krieger seit McCarthy (dem Indianer-Iren) rausgeboxt werden. Steckt eine Angst dahinter? Eine Angst sein wahres Gesicht zu zeigen. Postmodernistischer Selbstreferenzialitätsulk kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass man hofft, mit altem Wein in alten Schläuchen doch neu zu erscheinen oder anders ausgedrückt: hip, modern, immer noch zeitgemäß. Frisch und gegenwärtig durch den Retro-Chic des Anachronismus. Sind das letztlich nicht tautologische Spielchen? Die Ikonen negieren sich gegenseitig. Sie neutralisieren sich in ihrer Kraft, sie ziehen keine klaren Linien mehr. Keiner von ihnen spielt noch das, was er war, ja er repräsentiert es nicht mal mehr. Sie sind Faksimiles ihrer Selbst geworden. Auf halbem Schritt zum Videospiel, in das sie so inzwischen besser hineingehören. Animiert sehen sie nämlich nicht mehr so alt aus beim Versuch möglichst frisch beim alt aussehen jung zu wirken.

Jetzt habe ich gar nichts zu van Dammes schöner Leistung geschrieben, die vom Regisseur völlig verschenkt wurde. Aber vielleicht ist das auch nur ein Effekt des Kompensationsgesetzes. Und unseren Deutschen im Team habe ich gar nicht erwähnt. Der Star des Actionkinos, ohne je ein reiner Actiondarsteller gewesen zu sein. Und die Neuen. Der Engländer, der Chinese. Und irgendwie denkt der Film das doch alles mit:

"Wer seid ihr?"

"Amerikaner!"

"Seit wann?"

Doch mitdenken, das lehrt uns das qualitativ düsterste Jahrzehnt der Filmgeschichte, die 1990er, bedeutet nicht auch nachgedacht zu haben.




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