StephenDedalus sagte am 30.09.2006, 12:27:
kørken sagte am 29.09.2006, 22:29:
StephenDedalus sagte am 29.09.2006, 22:00:
wer sagt denn, dass das sein "wissenschaftliches" anliegen ist ? wenn, dann ist das ein kontra-wissenschaftliches, oder meta-wissenschaftliches anliegen. die frage bist du ja z.b. auch umgangen: wozu wissenschaft ? da muss ja auch, ohne zweifel von außen, eine selbstvergewisserung her.
Wissenschaft ist immer in eine sie alimentierende Gemeinschaft eingelagert, für die sie stellvertretend Krisen simuliert, also ohne Praxisnot Alltagsüberzeugungen auf die Probe stellt. Als autonome Wissenschaft wird sie aber dabei nicht die Praxis zwangsbeglücken, sondern die Praxis hat die Möglichkeit sich des wissenschaftlichen Wissens zu bedienen. Eine Wissenschaft aber, die selbst schon politische Entscheidungen präjudiziert, handelt totalitär.
humanitär ist allerdings der horizont jeglichen menschlichen tun und denkens. das ist keine politische wahl, die man treffen kann oder nicht. das ist schlicht menschlich.
ich habe mich jetzt mal bei wikipedia nach diesem feyerabend umgeschaut, weil der mir bislang nix sagte. zugegeben, das mag sehr kurz sein, was da steht und vielleicht erfasse ich den feyerabend ja auch nicht. aber für "humanitär" halte ich das jedenfalls nicht,was er da zum ziel hat.
"humanitär" ist wissenschaft nämlich doch genau dann, wenn sie den menschen, an den sie sich ja richtet, als vernunftswesen für voll erklärt. das heißt, als ein wesen, das in der lage ist bei transparenter situation eigene entscheidungen zu treffen oder eine frage zu formulieren oder ins gespräch zu treten. mehr kann und soll wissenschaft zunächst auch nicht leisten, wenn sie eben den menschem im humanitären sinne für voll nimmt.
zu diesem zweck ist methode und transparenz unumgänglich. der mensch muss wissen, von welchem ort und in welchem zusammenhang das wissen, zu dem er sich verhalten soll, zusammengetragen und geschaffen wurde. dazu gehört überprüfbarkeit der getroffenen aussagen und nachweis der argumentation. das menschliche an diesem modell ist ja nun gerade genau, dass den aussagen nicht "geglaubt" werden muss; dass sie keine ewigliche historische gültigkeit für sich beanspruchen können, sondern immer modifizierbar, erweiterbar oder überwindbar gehalten sein müssen, auch unter neuen historischen vorzeichen. das sind andockstellen, die wissenschaft schaffen muss, um mit menschen überhaupt ins gespräch treten zu können und um dem ermittelten und fixierten wissen eine gewisse qualität zu verleihen. natürlich entstehen dadurch brüche und verzweigungen: deshalb ist stete methodenkritik und die fürsorgliche pflege des instrumentariums ja eine der hauptaufgaben von wissenschaft.
diese qualität von wissenschaft liefert ihre diskutiertbarkeit mit. sie stellt sich dem menschen, der sie annehmen, abwägen, für seine lebensrealität verwerfen oder adaptieren kann. ein zwang besteht freilich nicht. das ist humanitär im besten sinne. worin besteht das humanitäre, wenn wissen - in welchem bereich auch immer - in einem individualizistischen (wohlgemerkt: nicht unbedingt individuelle) verwirklichungsgestus durch eine persönliche disposition willentlich überformt wird, nur um lediglich mittelfristig menschliche behaglichkeit, und diese auch nur im unmittelbaren umfeld, zu erzielen? den menschen wird der nachvollzug nur unter gesteigerter abstraktionsleistung gestattet und die qualität des wissens ist beschädigt, weil sich schwerlich andocken lässt. solche zeugnisse mögen für sich als eigenkreative leistung bestehen und stehen darin erstmal nicht zur diskussion, sie leisten der menschheit aber nur bedingten zugewinn, wenn überhaupt.
und darin zeigt sich nach meinem ersten eindruck eben auch eine gewisse tendenz zur asozialität bei feyerabend. wenn alles irgendwie geht, kommen menschen eben auch nicht mehr ins gespräch. das ist eine beschlagung der möglichkeiten von menschlichen beziehungen und geschichtsgestaltenden momenten. ein mystiker, der gott gegenüber zu treten in der lage ist, wird vielleicht mondfahrt belächeln; ihm wird aber auch sein mitmensch wurscht sein, der ist ja selbst schuld, wenn er hunger hat, wo er doch gott gegenüber treten könnte.
im übrigen ist die rigorosität, die du wissenschaftlichkeit attestierst, so auch nicht gegeben. "forschung" ist um so vieles mehr als das, was in feuilletonistischen leitartikeln und in literarischen salons unter trendschubladen wie existenzialismus oder poststrukturalismus gefasst wird. der blick in die forschung und den wissenschaftlichen diskurs zeigt ja gerade, dass wissenschaft höchst heterogen ist, sich in ihr viele standpunkte und methoden treffen, die ins gespräch kommen oder sich eben zerstreiten. davon lebt der diskurs und seine grundlage ist transparenz, artikuliertheit, argumentierbarkeit und ergebnisoffenheit. ich halte solche errungenschaften für unendlich viel humanitärer als befindlichkeits-einbalsamierung.