Da ich mich wohl kaum mehr aufraffen werde, das ganze zu einem tagebucheintrag oder gar essay zu verknüpfen und mir die fäden der einzelnen bestandteile schon auseinanderzulaufen drohen, will ich den splittern wenigstens vorläufig etwas halt geben, indem ich meine ideen, die vielleicht in dieser zersplitterten form onehin mehr sinn ergeben, als in einem argumentativen gefüge, hier zugänglich mache –
„die zeit vergeht, das leben ist ein strom, sagen die menschen usw. ich merke nichts davon, die zeit steht still und ich mit. Alle pläne, die ich entwerfe, fliegen geradewegs auf mich zurück; wenn ich speien will, speie ich mir selbst ins gesicht“ (kierkegaard, entweder - oder. S. 35)
der gegensatz zwischen seul contre tous und irreversible besteht darin, dass ersterer von einem stream of consciousness, bestehend aus den worten des protagonisten angetrieben wird, der das, wovon er spricht allerdings nie ausführt, also in der reflektion (Der sprachstrom wird zum zum strudel, der sich stets nur vor dem inneren auge dreht.) in der reflektion gefangen bleibt und zweiterer ausgehend von einem satz (le temps derstruit tout) eine folge von unreflektierten taten, begangen im rausch der emotionen, zeigt, die am ende (das am anfang steht) in den verlust allen gleichgewichtes mündet; alles schwankt und bewegt sich.
Der zusammenhang zwischen kierkegaard und noe besteht nicht nur in dem selben entweder - oder zwischen in das die personen sich spalten, sondern auch in der musiktheorie: die musik begrenzt die sprache, weilche die sphäre der reflektion und des ethischen umfasst, während sie das emotionale und gänzlich unreflektierte ist, dass laut kierkegaard in mozarts don juan seinen höhepunkt erlebt, weil dort thema und medium den höchst möglichen einklang erreichen. „nur auf die art kann don juan episch werden, dass er beständig fertig wird und beständig von vorne anfangen kann; denn sein leben ist die summe der repellierenden momente, die keinerlei zusammenhang haben, sein leben ist als der moment die summe von momenten, als die summe von momenten der moment,“ (entweder – oder. S. 117)
Dies ist gleichbedeutend mit dem knochen in kubricks 2001 und der theorie von der ewigen wiederkunft zarathustras: das leben an sich wiederholt sich. Das abstraktum „leben“ lässt sich nicht an einem konkreten beispiel darstellen, sondern braucht eine eigene form der darstellung – diese darstellung ist das theater der grausamkeit artauds: „das theater der grausamkeit ist keine repräsentation. Es ist das leben selbst in dem, was an ihm nicht darstellbar ist.“ „das leben ist die nachamung eines transzendenten prinzips, mit dem uns die kunst wieder in kommunikation bringt.“ Das theater der grausamkeit hat das manko, dass die aufführungen sich abnutzen und nur beim ersten mal das sind, was sie sein sollten – darin liegt der ansatz der scriptlosigkeit und der improvisation bei irreversible begründet.
„die seelische liebe ist ein bestehen in der zeit, die sinnliche ein verschwinden in der zeit.“ (entweder – oder. S.115)
„die sinnliche liebe kann alles in einen topf werfen“ (entweder – oder. S.115))
der satz le temps destruit tout kann in dieser allgemeinen form dastehen, da die menschen, wie sie in irreversible beschrieben werden, zermalmt werden unter dem rad der zeit, wobei es -zunächst offensichtlich- keine rolle spielt wer sie sind – ihr schicksal wiederholt sich onehin. Der titel seul contre tous beschreibt die außenseiterrolle des protagonisten, welche in dem obigen (allerersten) zitat zum ausdruck kommt – sein reflektieren wirft in aus disem prozess heraus, die musik deutet ihm zwar immer wieder auswege an (durch die schussgeräusche, die nichts anderes sind als ein aufflammen der idee von einem gewaltsmen ausbruch) doch er bleibt gefangen in der reflektion (jegliche bewegung die er erfährt wird durch musik begleitet: die zusammenfassung seines lebens, die reise nach paris, die zusammenkunft mit seiner tochter) was seine immer wiederkehrende position in noes werk begründet – er ist der kommentator, der irreversible beschließt mit dem satz „das leben muss weitergehen“. ein satz, in dem kein pathos liegt.
„was wenn alles in der welt ein missverständniß wäre“ (entweder –oder. s.29) „so denke ich, wird die welt zugrunde gehen unter dem allgemeinen jubel witziger köpfe, die da glauben, es sei ein ‚witz’“ (entweder – oder. S. 41)
es ist die deutung nietzsches durch kubrick, die noe in frage stellt: das feierliche, der ewigen wiederkunft, die den übermenschen gebärt und dem niederen manne beim untergang zusieht, um „noch darüber lachen“ zu können. Und es ist ein nietzsche, wie adorno in versteht: „der amoralist dürfte sich endlich wieder gestatten, so gütig, zart unegoistisch und aufgeschlossen zu sein, wie nietzsche damals schon“ (minima moralia. S. 109) auf den noe sich und seine zutiefst humanistische botschaft bezieht. deshalb führt er das übermenschen-baby aus 2001 und das totgeweihte baby in belluccis bauch in einem bild zusammen, aus dem die frage schreit, ob denn das gewöhnliche wirklich weniger wert sein kann, zumal es sich so verhält, wie es adorno darstellt: "stünde cesare borgia heute auf, so gliche er er david friedrich strauß und hieße adolf hitler. amoralität predigen ward zur selben sache der darwinisten, die nietzsche verachtete, und die den barbarischen kampf ums dasein krampfhaft als maxime proklamieren, gerade weil es seiner nicht mehr bedurfte." (minima moralia. s. 109) deshalb zeigt irreversible auch szenen einer ehe, wie sie vielleicht teil eines transzendenten prinzips, aber auch von unglaublicher schönheit sind.
„die wahre menschliche güte kann sich in ihrer absoluten reinheit und freiheit nur dem gegnüber äußern, die keine kraft darstellen sein [nietzsches] wahn (sein bruch mit der menschheit) beginnt in dem moment als er um ein pferd weint.“ (milan kundera, die unerträgliche leichtigkeit des seins. S.264)
kunderas bezug auf das tier lässt sich hier nicht nachvollziehen (zumal wir von einem metzger sprechen), aber es ist die liebe zu seiner behinderten tochter, die dessen endgültigen bruch mit der menschheit begründet – und noes hinwendung zu den krüppeln der gesellschaft, die seinen ruf als skandalfilmer zur folge hat.
Bearbeitet von Ippolit, 01. Juni 2004, 11:07.