Objektivität
#1
Geschrieben 22. Februar 2003, 11:32
Die Frage, die ich mir dabei immer wieder stelle, die mir bislang noch keiner beantworten konnte: Was ist Objektivität in der Filmkritik? Ab wann kann eine Kritik als objektiv gelten, ab wann ist der Kritiker objektiv? Konzentrieren möchte ich mich dabei vor allem auf den Genre-Film.
Der Vorwurf, der Kritiker sei überhaupt kein Fan des speziellen Genres und könne allein schon deswegen nicht objektiv sein, ist dabei der am meisten gehörte. Warum sollte aber gerade eine Affinität zum Genre automatisch die Objektivität nach sich ziehen? Ist nicht vielmehr anzunehmen, dass doch gerade ein Genre-Fan einem Film nachsichtiger begegnet, ihn als Liebhaber seiner Ausdrucksform eher abzufeiern bereit ist und dass ferner ein dem Genre nicht Abgeneigter, der aber auch kein glühender Anhänger davon ist, viel eher zur Objektivität befähigt ist, sprich Stärken und Schwächen mit analytischerem Blick herausarbeiten kann?
Und welche Maßstäbe gibt es für Objektivität? Ist es noch objektiv, einen Film jenseits von schauspielerischen Leistung und handwerklichem Geschick zu kritisieren? Und ist es objektiv, als Nicht-Genrefan einem Genre-Film vorzuwerfen, dass er im Genre selbst nur Einheitsware darstellt, keine Impulse setzt, etc. ?
Und grundlegend: warum eigentlich Objektivität? Warum sollte man einem Film, der immerhin zwischen 90 und 120 Minuten Lebenszeit beansprucht, überhaupt objektiv begegnen, sich also als Kritiker im Namen der Objektivität zügeln und ein Korsett überstreifen? Hat eine Kritik Objektivität überhaupt nötig, solange sie sich argumentativ und schlüssig zu artikulieren weiß? Und was ist das schon, Objektivität? Ist Objektivität in der Filmkritik, in der Bewertung von Filmen ganz allgemein überhaupt möglich ?
Warum gilt Objektivität bei vielen Zeitgenossen also als derart wichtige Kategorie? Hat das eventuell etwas mit mangelndem Selbstbewusstsein zu tun, mit einer Überidentifikation der eigenen Vorlieben, mittels der und über die existenzielle Kämpfe ausgetragen werden? Ist das Anklangen mangelnder Objektivität eventuell nur ein Abwehrmechanismus, um als persönliche Angriffe wahrgenommene Kritiken an eigenen Lieblingen und Vorlieben abzuschwächen? Und warum sollte man überhaupt eine Kritik als "universelle Deutung" (miß-)verstehen wollen, wo doch ganz offensichtlich ist, dass Kritik immer nur eine Konzentration von Eindrücken darstellt, eine Widerspiegelung des vorliegenden Films in einem Individuum mit eigener Biographie, (filmischer wie sozialer) Sozialisation, etc.?
'Ne ganz Menge Fragen also - stürzt Euch in die Tasten! Eure Standpunkte interessieren mich wirklich brennend!
Grüße,
IMMO
F.LM - Texte zum Film
#3
Geschrieben 26. Februar 2003, 11:02
Ich kann nur sagen, dass mir das eigentlich immer ganz unbegreiflich ist, wenn jemand gegen Kritiken das "Argument" vorbringt, sie seien nicht objektiv. Das ist mir gerade wieder bei "Good Bye, Lenin" passiert, ich habe etwa in dem Sinne geantwortet, dass, wenn etwas an Kritiken "objektiv" sein könne, dann doch nur die vorgebrachten Argumente. Es gehe also um Begründung und Nachvollziehbarkeit (als Nach-Konstruktion eines Erlebens) und nicht um, was immer das heißen mag, Objektivität. Ihm, dem Lesermailschreiber, ging es zunächst nur um Beschimpfung - er schrieb dann aber lapidar zurück mit einem Ausriss aus der neusten Box-Office-Tabelle und einem Verweis auf den "Blauen Engel" der Berlinale.
Das zeige ja wohl, meinte er, wie es um meine Objektivität bestellt sei.
Tja.
#4
Geschrieben 26. Februar 2003, 16:27
Also Kritik - und überhaupt Diskurse über Kunst - können nur subjektiv sein. So wie Kunst selbst ein sich wertendes Verständigen über Werte darstellt, kann die Position dazu auch nur eine Position sein. Das ist also eine Frage der Methodologie: In dem Maße, wie ich meine Argumente für eine ästhetische Position "objektivierbar" zu machen versuche, schränke ich den Diskurs ein. Zudem ist es ja gar nicht möglich "objektiv" über Kunst zu sprechen, denn dazu ist a) die Sprache nicht das geeignete Mittel und der je verschiedene Kontext der Diskurs-Teilnehmer nicht dazu geeignet Objektivität zu argumentieren ... Jeder sieht halt seinen eigenen Film.
Entscheidend ist, wie Ekkehard sagt, dass der Modus der Verständigung nach einer objektiven Methode von Statten geht. Argumente müssen für jede These vorgebracht werden, sie müssen die Minimalbedingung der Verstehbarkeit (im semantischen Sinne) und der intersubjektiven Prüfbarkeit (ist das am Kunstwerk tatsächlich so vorhanden, was hier argumentiert wird) erfüllen. In diesem Fall kann ein funktionierender Austausch über das Kunstwerk stattfinden - ein Diskursus. In dem Maße, wie der andere in der Lage ist (oder ich ihn in die Lage versetze), meine Filmkritik nachzuvollziehen, ist es ihm möglich, mein Urteil zu bejahen, was nicht heißt, dass er zu dem selben Urteil gelangen muss.
maX
#5
Geschrieben 26. Februar 2003, 16:53
Natur.
#6
Geschrieben 03. März 2003, 16:59
schließe mich dem bereits gesagten an,
die vielfach geforderte objektivität in einem stark emotional
angelegten medium wie dem kino ist eine farce.
selbst scheinbar wertfreie urteile, wie der film sei gut fotografiert,
implizieren ja bereits die tatsache, dass die bilder auch emotional auf mich
wirken, denn eine gute fotografie besticht eben gerade nicht (ausschließlich) durch
eine versierte bildgestaltung, sondern vielmehr durch die
psychologische wirksamkeit des gezeigten.
in der fotografie und der bildenden kunst ist diese weisheit schon
längst keine mehr, der film als populäres medium dagegen prostituiert sich
nach wie vor mit formalen monströsitäten, die die tendenzielle belanglosigkeit
des inhalts zu verschleiern versuchen.
persönlich neige ich daher zu der forderung nach einer radikalen
subjektivität in der filmkritik, einer betrachtungsweise, die nicht versucht,
das kunstwerk film nach fest vorgegebenen kriterien zu fassen und systematisch
zu umschreiben (urteile wie „handwerklich solide“ sollten aus dem filmtheoretischen
repertoire gestrichen werden), die ihre stärke nicht daraus bezieht mit wissenschaftlich-
philosophischen (
weit interessanter scheint mir hingegen eine stark individuelle und tief
emotional geprägte herangehensweise, die versucht, das kino in seiner wirkung zu fassen.
ein geeignetes versuchsfeld hierfür könnte das kürzlich ins leben gerufenen filmtagebuch
sein, eine fantastische idee übrigens. einschränkend muß ich sagen , dass die beiträge bisher
zwar sehr aufschlussreich sind und (ebenso wie die reviews) auf hohen cineastischen
sachverstand schließen lassen. dem angestrebten offenlegen der psyche werden sie
allerdings nur teilweise gerecht. zu oft gleiten die texte in den gängigen
rezensionsmodus ab, der zwar informativ,
dafür aber wenig persönlich ist.
versteht mich bitte nicht falsch, das hier stellt keinen versuch dar,
die filmkritik im ganzen, wie sie hier und anderswo praktiziert wird, in frage
zu stellen. vielmehr ist es ein anstoss, in anderen kategorien zu denken, und das
kunstwerk film aus einem anderen blickwinkel zu betrachten.
vielleicht ist es auch einfach nur geschwätz, das mir an einem verregneten
samstagnachmittag durch den schmerzenden schädel geschwirrt ist, nachdem ich die zweite
kanne kaffee in mich hereingeschüttet hatte.
egal, als diskussionsgrundlage sollte es genügen...
in diesem sinne
cheers
rocknrollriot
alle zur ältesten Festfreude des Menschen gehörend, alle insgleichen im anfänglichsten
»Künstler« überwiegend.
#7
Geschrieben 04. März 2003, 13:09
Die immer anti-intellektuell gemeinte Forderung nach dem Subjektiven endet in neun von zehn Fällen in Gesülze: der stupiden Repdroduktion derselben Klischees. Vor allem: An dem, was dann gesagt wird, lassen sich die Filme nicht mehr unterscheiden. Der Bezug auf den Gegenstand also muss, darauf würde ich beharren, gewahrt bleiben - im Wissen um die Bedingtheit der eigenen Urteile. Bedingheit wiederum ist ja nun nicht Beliebigkeit, sondern - mehr oder weniger - ausweisbar. Als relativ z.B. im Verhältnis zu anderen Filmen: daher im guten Fall - und nicht aus Protzerei - der Verweis auf Vergleichbares. Die Maxime des filmkritischen Handelns lautet für meine Begriffe also ungefähr so: Es sollte aus jeder Kritik das Bezugsfeld sichtbar werden, innerhalb dessen sie zu ihren Beschreibungen und Urteilen kommt.
#8
Geschrieben 04. März 2003, 18:17
Zitat
was bitte ist anti-intellektuell daran, den versuch zu wagen,
das medium in seiner (oft unterschwelligen) wirkung zu fassen, anstatt
die qualität eines films grundsätzlich an gesellschaftlicher oder philosophioscher
relevanz, kurz gesagt an seinem anspruch zu messen.
das schließt sich ja auch nicht aus,
für den gebildeten zuschauer besteht ein nicht unwesentlicher
teil des vergnügens darin, intelektuelle anspielungen und zusammenhänge
aufzudecken und zu verstehen.
mein anliegen ist es ganz sicher nicht, einer dilettantischen
filmkritik auf "echt geil, ey"-niveau tür und tor öffnen. ganz im gegenteil.
wer klar stellung bezieht, kommt nicht umhin, präzise zu argumentieren, um seine
- vielleicht unpopuläre - sicht der dinge glaubhaft zu begründen.
Zitat
mal abgesehen von formalen kriterien (und selbst über die läßt sich streiten)
doch . hättest du vor etwa 200 jahren einem kunstverständigen eine arbeit von beuys
vorgeführt, die reaktion wäre vernichtend ausgefallen.
Zitat
das habe ich nie bestritten.
cheers
rocknrollriot
alle zur ältesten Festfreude des Menschen gehörend, alle insgleichen im anfänglichsten
»Künstler« überwiegend.
#9
Geschrieben 18. September 2003, 22:43
"weshalb gehen die leute eigentlich ins kino? (...) normalerweise geht der mensch ins kino wegen der verlorenen, verpaßten oder noch nicht erreichten zeit. er geht dorthin auf der suche nach lebenserfahrung, weil gerade der film wie keine andere kunstart die faktische erfahrung des menschen erweitert, bereichert und vertieft, ja diese nicht einfach nur bereichert, sondern sozusagen ganz erheblich verlängert.hierin und nicht etwa in "stars", abgedroschenen sujets und ablenkender unterhaltung liegt die eigentliche kraft des films" (andrej tarkovskij; die versiegelte zeit)
resultiert daraus -und unter annahme, dass film eine "matrix der realen zeit" sei- nicht zwangsläufig die forderung nach einer rein subjektiven auseinandersetzung mit dem medium film, jenseits aller üblichen, formalen kriterien ? verliert das medium unter diesem blickwinkel nicht alle eigenschaften einer zur wiederholung verdammten "videothek von babel", da zeit sich grundsätzlich nicht wiederholt und damit, das in der filmkritik häufig geäußerte kriterium, film könnte nichts neues mehr erzählen, jegliche legitimation verlieren? weil film nicht erzählt, sondern uns "sich selbst vor augen führt" ?
Bearbeitet von Ippolit, 18. September 2003, 22:49.
#10
Geschrieben 18. September 2003, 22:45
http://www.horschamp.qc.ca/new_offscreen/d...n_pressure.html
http://www.horschamp.qc.ca/new_offscreen/d..._pressure2.html
#11
Geschrieben 18. September 2003, 23:34
Ippolit sagte am 18.09.2003, 23:43:
Wenn ich dann einen Text zum Film schreibe (egal ob review, Filmkritik oder filmwissenschaftliche Arbeit), soll der ja auch "verstanden" werden und muss demzufolge nachvollziehbar sein - das bringt dann das Intersubjektive ins Spiel. Das die Auseinandersetzung zuvor subjektiv ist, ist klar - nur wenn dann etwas Geschriebenes über einen Tagebucheintrag hinausgeht, werden andere Menschen - Leser - mit in den Diskurs einbezogen. Selbst hier im Forum: wenn ich weiß, dass etwas von mir Geschriebenes ("Tagebuch") von anderen gelesen wird, schreibe ich schon anders. Logisch.
Nur lassen sich ja nie alle Erkenntnisse in den Text (und über den Text hinaus) transportieren, man kann sich ja selber nie ganz erklären, weshalb man etwa einen Film mag. Nur sollte - und jetzt komme ich zum Punkt - nie verschwiegen werden, dass die Erkenntnisse im Text auf der eigenen Subjektivität begründet sind, die sich nie ganz ausschließen lässt.
Oder so: Text von Leuten, die Absolutes (zu) predigen (scheinen), sind elend. Texte hingegen, die den Diskurs offenhalten, sind schön. Selbst wenn sie einen Film, den ich liebe, verreißen.
Ach so: formale Kriterien sind dabei schon vonnöten, sonst ginge wieder die Verständigung verloren (etwa: zu wissen, was eine "Kreisblende" ist, deren filmhistorischer Kontext etc. [Wobei es, auch klar, nicht DIE KREISBLENDE gibt - solche Begriffe sind immer auch Krücken, weil der Film selber immer schon viel weiter ist als der nachgeschriebene Text dazu.]). Falsch ist nur, wenn dann einer schreibt: "Der Film enthält mindestens 10 Kreisblenden. Darum ist er schlecht, weil die sind mittlerweile out."
Gutnacht,
Kasi
#12
Geschrieben 06. Oktober 2003, 18:57
Frage: Ist Erdbeer- respektive Walnußeis respektive Eis im allgemeinen gut oder schlecht? Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht! Aber ich esse gern Erdnüsse.
Bearbeitet von Wildheart, 06. Oktober 2003, 18:59.
#13
Geschrieben 06. Oktober 2003, 19:10
Wildheart sagte am 06.10.2003, 18:57:
#14
Geschrieben 06. Oktober 2003, 19:15
Ippolit sagte am 06.10.2003, 20:10:
#15
Geschrieben 06. Oktober 2003, 20:20
Dorkheimer sagte am 06.10.2003, 19:15:
Ippolit sagte am 06.10.2003, 20:10:
allerdings must du zugeben, dass die erdnüsse aus dem supermarkt doch bei weitem nicht so gut schmecken, wie jene aus dem reformhaus.
#16
Geschrieben 06. Oktober 2003, 21:35
Kasi sagte am 18.09.2003, 23:34:
vor einigen monaten habe ich in odo marquards “abschied vom prinzipiellen” eine kleine abhandlung namens “der angeklagte und der entlastete mensch in der philosophie des 18. jahrhunderts” entdeckt, welche sehr großen einfluss auf meine ansichten zum thema kunst hatte; damals schrieb ich auch eine kleine zusammenfassung für meinen geschichtslehrer, welcher mir nicht glaubte, dass der begriff “übertribunalisierung” existiert und so will ich daraus einen teil übernehmen, um den ursprünglichen ansatz nachvollziehbar(er) zu machen:
“Der allmählichen Wandel jener Rollen, welche Gott und Mensch im Laufe der Geschichte zu erfüllen hatten, mündete letzten endes in der “Übertribunalisierung”, welche aus der Zweieinigkeit von absolutem Ankläger und Angeklagtem im Menschen -durch die radikalisierung der Theodizee zur Geschichtsphilosophie- resultierte.
Augrund der der “optimistischen” Form der Rechtfertigung Leibnitz' in der 1710 erstellten Theodizee kommen Zweifel an der Güte Gottes auf:
“Das Optimum als Zweck rechtfertigt die Übel als Bedingung seiner Möglichkeit.Das geheime Grundprinzip dieser Theodizee ist also: Der Zweck heiligt die Mittel” (S.47)
Der Schöpfer trägt also ebensoviel böses in sich, wie gerade notwendig, was zur Folge hatte, dass er “Ein wenig zum Teufel stilisiert” (S.48) wurde.
Die folgenden 3 Schritte sollen nun den Wandel vom ursprünglichen, christlichen Weltbild über die Theodizee zur radikalisierten Theodizee, der Geschichtsphilosophie erläutern:
1.Im christlichen Weltbild kam dem Menschen ursprünglich die Rolle des -durch den Absoluten: Gott- für die Sünde absolut Angeklagten zu; Durch die göttliche Gnade allerdings wurde diese Schuld absolut ausgeglichen- Die Rechtfertigung blieb dem Menschen erspart.
2.Durch die Theodizee kam dem Menschen gegen Anfang des 18 Jahrhunderts die Rolle des absoluten Anklägers zu- gleichzeitig wurde die Anklage gnadenlos, denn Gott zu begnadigen steht dem Menschen nicht zu. “Wo dann die radikalisierte 'Theodizee statt Gottes den Menschen zum absoluten Angeklagten macht, bleibt die absolute Anklage gnadenlos” (S.50)
3.Durch den Freispruch Gottes aus seiner Schöpferrolle durch die Nichtexistenz kommt ihm absolute Unschuld zuteil und der Mensch wird zum Schöpfer seiner Wirklichkeit: die Geschichte. Er wird also gleichermaßen zum Ankläger und Angeklagten. “Die Leibnizfrage an den Schöpfer: Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?” (S.50) wird zu der absoluten Legitimationsfrage, der sich jeder Einzelne stellen muss: “Mit welchem Recht gibt es dich überhaupt und nicht vielmehr nicht, und mit welchem recht bist du so, wie du bist, und nicht vielmehr anders?” (S.50)
“Das dieser totale Legitimationszwang für jedermann um 1750 durch die Radikalisierung der Theodizee zur Geschichtsphilosophie der Tendenz nach entsteht, nenne ich die Tribunalisierung, dass er dabei total und gnadenlos wird, nenne ich die Übertribunalisierung der menschlichen Lebenswirklichkeit: Sie- und ihr Paradebeispiel in der Realität ist natürlich die Tribunalsucht der Französichen Revolution- sie wirkt für die Menschen als Lebensweltbedrohung und Lebensweltverlust, denn- ich wiederhole es- sie ist unaushaltbar, sie ist unlebbar.” (S.51)”
“die Übertribunalisierung – malum - erzwingt – bonum – durch – malum - den Ausbruch in die Unbelangbarkeit.” (S.51)”
die kunst ist also (Die Kunst wird autonom “Wovor die Frage: Mit welchem Recht...? verstummt” (S.55)) eine von vielen fluchtmöglichkeiten in die unbelangbarkeit.
Nun stelle ich mir die frage, mit welchem recht mache ich mich an einem film, einem kunstwerk also, dass sich und seinen schöpfer -zumindest als mittel zum zweck- rechtfertigt, zu schaffen?
Sofern ich die tarkovskijsche these “film ist eine matrix der realen zeit” als geltend annehme, dann ist es doch eine kunstform, welche die wirklichkeit nicht nachahmt, oder darstellt, sondern konserviert und damit für jedermann erfahrbar macht (benjamin würde wohl den verlust der aura bemängeln, allerdings ist mir die definition im wortlaut nicht mehr erinnerlich). Im mann ohne eigenschaften sagt ulrich einmal “(...) ein perfektes leben würde das ende der kunst bedeuten.”, ich will meinen, der film kommt dem sehr nahe, denn er erhebt das menschliche leben selbst zur kunst, zum ästhetischen objekt, der mensch ist nicht länger mittel, sondern zweck! (unter diesem aspekt erscheint mir übrigens auch die körperwelten austellung in einem ganz anderen licht) Der schreibende ist dem gefilmten also grundsätzlich unterlegen (nicht zuletzt weil die videothek von babel im gegensatz zur bibliothek ständig wächst und somit unendlich groß ist), doch: wessen “alltägliche wirklichkeit” nicht genügend material bietet, um selbst künstlerisch tätig zu sein, soll sich der konservierten zeit, welche zur subjektiven erfahrung bereit steht, bedienen; das ist in etwa so, als würde er auf der suche nach inspiration in ein anderes land fahren.
Die forderung nach einer “radikal subjektiven filmkritik” impliziert also die forderung nach einer erhebung des kritikers zum künstler, welcher sich, meiner ansicht nach nicht einmal zwangsläufig in worten auszudrücken hat, siehe beispielsweise immos eintrag zu black mask 2
von diesem standpunkt aus sehe ich allerdings keinen sinn in der filmwissenschaft.
für mich selbst gilt:
"unverantwortlich ohne notizen filme anzusehen, selbst zu leben" (frei nach franz kafka)
PS: ich bin trotzdem atheist
Bearbeitet von Ippolit, 06. Oktober 2003, 22:07.
#17
Geschrieben 06. Oktober 2003, 21:58
#18
Geschrieben 06. Oktober 2003, 22:10
Wildheart sagte am 06.10.2003, 21:58:
#19
Geschrieben 06. Oktober 2003, 22:20
Schön erstmal, dass Du Dich hier wieder mal zu Wort meldest!
Aber so ganz komme ich mit Deinem Posting nicht zurecht, ehrlich gesagt. Vielleicht, weil ich nicht weiß, an wen Du es gerichtet hast oder wen Du hier im Forum (oder ob überhaupt hier jemandem im Forum) ansprechen willst. Du schreibst recht undeutlich von einem "man", der sich's schwer macht, und von einem "Ihr", das noch so sehr herum theoretisieren kann, um irgendwas zu beweisen. Vor allem dieser letzte Satz birgt doch etwas gallige Lakonie in sich, weswegen ich da gerne nachhaken möchte, wer dieses "Ihr" denn überhaupt ist. Denn in dieser Diskussion kamen ja schon vielfältige Standpunkte zum Thema zum Ausdruck, ein eindeutiges "Ihr" gibt es da meiner Meinung nach schon mal nicht. Und dann ist es ja auch so, dass die wenigsten - eigentlich ja sogar keiner, wenn ich das jetzt richtig überblicke - eine "objektive Filmbetrachtung" (bzw. -wertung) für möglich halten. Ist dieses "Ihr" also an die Teilnehmer dieser Diskussion gerichtet, dann bin ich mir nicht so recht sicher, ob Du die Diskussion selbst richtig nachvollzogen hast. Denn letztendlich sind das "Du" und Dein "Ihr" einer Meinung, ja mein Diskussionsvorschlag war sogar genau von dieses Skepsis gegenüber "der" Wahrheit zu einem Film, die manche Zeitgenossen - fern von dieser Diskussion - zumindest für möglich anzusehen scheinen, geprägt.
Deswegen meine Nachfrage: An wen richtest Du Dich?
Und ich denke auch, Deine Beispiele aus der Geschichtswissenschaft wird Dir jeder hier unterschreiben. Ich sehe auch keine möglichen Gegenpositionen, die sich aus den Bekundungen in diesem Thread ergeben könnten.
Grüße,
Thomas
#20
Geschrieben 06. Oktober 2003, 22:25
Zitat
von diesem standpunkt aus sehe ich allerdings keinen sinn in der filmwissenschaft.
Den kann es auch von diesem Standpunkt aus nicht geben, weil wir hier über "das Problem" der Wertung über einen Film sprechen. Und die Filmwissenschaft hat die Wertung eines Films weder zum Ziel noch zum Inhalt. Das vermischst Du recht häufig und ich denke darin liegt auch der "Konfliktpunkt", an dem sich immer wieder zwischen Dir und MaxRenn lange (meines Erachtens sinnlose) Diskussionen entbrennen.
Ich vergleiche das mal mit Sex: Um daran Freude zu haben, muss man sich nicht im einzelnen biologischer Vorgänge bewusst sein. Man muss auch nicht sonderlich viel biologisches Wissen mitbringen, um darin gut zu sein. Man kann Zeit seines Lebens soviel rumficken wie man will, ohne auch nur einen Blick in ein Biologiebuch geworfen zu haben (etwas Wissen zur Verhängnisverhütung vorausgesetzt ). Macht das jetzt aber die Biologie sinnlos?
#22
Geschrieben 06. Oktober 2003, 22:36
Immo sagte am 06.10.2003, 22:25:
die naturwissenschaften machen (angeblich) das leben bequemer und insgesamt lebenswerter.
die philosophie gibt anleitung zu einem erfüllteren leben und sinnvollen lebensgestaltung.
die psychologie bewahrt vor psychischen krankheiten.
von einem radikalen standpunkt aus betrachtet, ist die wissenschaft also dazu da, den menschen in einem zustand zu erhalten, der ihm das kunstschaffen ermöglicht. die filmwissenschaft erfüllt diese funktion nicht, ist also für den künstler nutzlos. oder um auf dein fickbeispiel zurückzukommen: die wissenschaften ermöglichen ihm eben die "verhängnisverhütung", die notwendige strategie um die dazugehörige tussi rumzukriegen und ein flauschig weiches bett, dass beim ratzen danach obendrein den rücken schont
Bearbeitet von Ippolit, 06. Oktober 2003, 22:50.
#23
Geschrieben 06. Oktober 2003, 22:54
die naturwissenschaften machen (angeblich) das leben bequemer und insgesamt lebenswerter.
die philosophie gibt anleitung zu einem erfüllteren leben und sinnvollen lebensgestaltung.
die psychologie bewahrt vor psychischen krankheiten.
von einem radikalen standpunkt aus betrachtet, ist die wissenschaft also dazu da, den menschen in einem zustand zu erhalten, der ihm das kunstschaffen ermöglicht. (die filmwissenschaft erfüllt diese funktion nicht, ist also für den künstler nutzlos.) [/quote]
Boah ippolit, watt bist Du denn für ein Technokrat!
Wisenschaft hat mit den von dir skizzierten Aufgaben nichts, aber auch rein gar nichts zu tun.
Wissenschaft artikuliert sich strukturell gesehen per se nicht normativ. Die Applikation ihrer Erkenntnisse geschieht in der Praxis und wird auch von dieser- zum Zwecke ihrer Transformation- bewerkstelligt. Deine Bestimmungen würden die Politik als Strukturort der Transformation für nichtig erklären und die Geschicke der Gesellschaft in die Hände der Wissenschaft legen.
#24
Geschrieben 06. Oktober 2003, 22:56
die radikale subjektivität sowie die radikale theodizee finde ich viel interessanter
#25
Geschrieben 06. Oktober 2003, 23:02
Dorkheimer sagte am 06.10.2003, 22:54:
was ein paar kaschper während der letzten jahre im bundestag veranstalteten, hatte doch nicht annähern eine so tiefgreifende wirkung auf die gesellschaft wie beispielsweise die (weiter)entwicklung des computers, oder des internets.
Bearbeitet von Ippolit, 06. Oktober 2003, 23:03.
#26
Geschrieben 06. Oktober 2003, 23:03
Von dieser Unsichtbarkeit der Wissenschaft erzählst aber auch Du, wenn Du die Filmwissenschaft als "nutzlos" bezeichnest. Ohne die Filmtheorie, die letzten Endes die Filmwissenschaft begründet, wäre der Film heutiger Tage nicht der Film, den wir kennen. Ohne den Filmtheoretiker, und somit eben auch -wissenschaftler, Godard sähe es heutzutage im Kino ganz anders aus. Auch ist es ein Verdienst der Filmtheorie überhaupt, dass Film heutzutage als Kunst überhaupt gelten darf. Diese Zuschreibung ist es überhaupt erst, die die heutige Beschäftigung mit Film - auch Deine! - jenseits bloßer Tagesaktualität ermöglicht. Gälte Film nicht als Kunst, nicht als würdiger Gegenstand geistiger Auseinandersetzungen, wäre Film wohl nie als zu archivierendes Kulturgut verstanden worden. Und hätte somit kaum eine Geschichte (die in der Tat eine verzerrte ist, da sind wir wieder bei Wildhearts Posting), somit kaum die Möglichkeit einer Entwicklung. Auch wenn Lynch nie im Leben etwas mit Filmwissenschaft zu tun hatte (was ich nicht glaube, aber das ist reine Spekulation), so sind deren Verdienste doch auch in seinen Filmen zu sehen. Der Text schreibt sich fort und lässt seinen Autor hinter sich.
Nutzlos also? Wirklich?
#27
Geschrieben 06. Oktober 2003, 23:10
Ippolit sagte am 06.10.2003, 23:56:
#28
Geschrieben 06. Oktober 2003, 23:18
Immo sagte am 06.10.2003, 23:03:
(leider habe ich den eco gerade nicht zur hand, doch dieser meinte, er würde keine zeile mehr schreiben, sofern er nicht die hoffnug hegen würde, dass selbst nach dem verglühen dieses planeten noch irgend ein wesen fähig sei, seine texte zu restaurieren...wie kann man da schreiben, in der gewissheit, dass man eines tages überholt sein wird?)
Bearbeitet von Ippolit, 06. Oktober 2003, 23:23.
#29
Geschrieben 06. Oktober 2003, 23:22
Immo sagte am 06.10.2003, 23:10:
mein obiger text versucht doch eigentlich eine alternative form der filmkritik zu rechtfertigen, unabhängig von den bisher bestehenden möglichkeiten, über filme zu sprechen.
#30
Geschrieben 06. Oktober 2003, 23:25
Zitat
Ich weiss es nicht, ganz ehrlich. Drehen wir das Rad noch etwas weiter: Eco bezieht sich ja eindeutig auf eine physisch manifeste Art des Schreibens: Zeitungsartikel, Essays, Bücher. Wir hier bewegen uns in einem förmlich immateriellen Universum: Ein einziger Crash in irgendeinem Rechenzentrum, vom dem ich noch nict mal weiß, wo es sich befindet, könnte den absoluten Verlust unserer Auseinandersetzungen zur Folge haben. Für was also schreiben wir? Zumal in einem gänzlich anonymisierten Raum! Der Text verschafft sich Geltung, auf Kosten des Autoren. Nicht wir als personen kommunizieren, sondern allein die Diskurse befinden sich im Widerstreit. Marionetten?
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