Zur Sache:
Das war kein Überfall, sondern ein zufälliges Zusammentreffen zweier Fanbusse an einer Raststätte, bei dem sich jeweils nur wenige Businsassen an der gerichtsnotorischen Auseinandersetzung beteiligten. Der Angriff ging klar von den Bayern aus, fünf, vielleicht sechs Leute der insgesamt rund dreißig Busfahrer waren dran beteiligt, einer warf die Flasche. Gewiß war sein Ziel nicht die Frau des Busfahrers. Der Fan Club, aus dem der Täterkreis stammt, ist ergreifend harmlos. Wie ich es beschrieben habe: Es handelt sich um junge, gebildete Leute, die sich als politisch bewußt und engagiert begreifen, gegen die Kommerzialisierung des Ballsports protestieren und offensiv für gute Sachen eintreten. Es sind garantiert keine Hooligans, sondern Leute, die im Stadion feiern und für Stimmung sorgen, und positiv was bewegen wollen. Die Schickeria München ist mit den Ultras von St. Pauli befreundet, was garantiert nicht der Fall wäre, wenn es sich um asoziale Wegelagerer handelte. So gesehen haben wir es hier vielleicht tatsächlich mit einem Jugendstreich zu tun, der aus dem Ruder lief. Shit happens.
Zu meiner Form:
Mal unter uns. Manche von uns schützen sich vor den Schrecken dieser Welt durch einen Panzer aus flapsigem Zynismus. Da gehöre ich vermutlich dazu. Gerade hier, wo ich meine Worte nicht so auf die Korrektheitsgoldwaage legen muß, in meinem persönlichen Tagebuch. Und weil ich obendrein für eine Pointe oder ein komisches Bild meine Großmutter verkaufen würde, wird so etwas wie das von dir vermutlich völlig zu recht kritisierte Zitat doch immer mal wieder passieren. So würde ich nämlich auch über das Attentat auf JFK, den Tribüneneinsturz von Heysel oder andere Slapstickgewaltmomente der Geschichte schreiben. Auch, weil ich weiß, daß Kennedy, die Turiner Ultras oder die bedauernswerte Frau vom Busfahrer hier nicht mitlesen. Schätze ich jedenfalls mal. Anderswo würde ich’s anders schreiben.
Das bedeutet aber nicht, das mir so etwas weniger nahe ginge als anderen, und hoffe, das man das auch hier und da mal zwischen den Zeilen liest. Da schreibe ich nämlich besonders gern. Ich werde dir mal eine persönliche kleine Gruselgeschichte erzählen, hier so in aller geschützten Intimität des Worldwide Web. Als ich zwölf Jahre alt war, fuhr ich mit meinem besten Freund auf dem Fahrrad zum Schwarzangeln an die Ruhr bei Wetter. Unter einer Brücke parkten wir die Gefährte, begaben uns zum Wasser, montierten unsere Ruten und striffen das Ufer ab auf der Suche nach einem geeigneten Angelplatz. Plötzlich hörte ich spitze Schreie hinter mir. Ich blieb stehen, drehte mich um und sah, daß der Blinker, den ich fahrlässigerweise frei an der Rutenspitze hatte baumeln lassen, fest hing UNTER DEM AUGENLID eines vielleicht acht- oder zehnjährigen Mädchens. Geistesgegenwärtig vermied ich jegliche Bewegung, so daß die ansatzweise panische Mutter hinzu eilen und den Haken behutsam lösen konnte. Auf wundersame Weise war er nicht ins Fleisch eingedrungen. Die Mutter war nicht einmal wirklich wütend auf mich, nur glücklich, daß es glimpflich ausgegangen war, und wir gingen beide unsere Wege. Mir war auf die harte Tour beigebracht worden, Angelhaken beim Transport fest einzuhängen.
Was ich damit sagen will. Seither ist wahrscheinlich keine Woche in meinem Leben vergangen, in der ich nicht an diesen Moment denken mußte. Und es rollt mir jedes mal die Zehen auf. Ich fühle den Moment bis in die Fingerspitzen. Und ich sage Gott sei Dank. Gott sei Dank. Danke, Gott. Hatte ich ein Schwein. Ich war ein dummes Kind, aber es war hundertprozentig meine Schuld. Der Typ von der Raststätte hatte nicht so viel Glück. Und ist bestimmt kein kalter Holzklotz. Bedenke, wie er sich fühlen wird, den Rest seines Lebens. Shit happens.
Bearbeitet von hoolio21, 04. Oktober 2008, 03:24.