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Cinéma Quebécois - Filmforen.de

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Cinéma Quebécois


261 Antworten in diesem Thema

#1 Praxisphilosoph

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Geschrieben 26. August 2007, 21:52

Liebe Forenmitglieder,

ich befinde mich gerade für vier Monate zu Forschungszwecken in Montréal und werde mich die kommende Zeit intensiv mit dem Cinéma Quebécois im Allgemeinen und mit Robert Lepage im Besonderen beschäftigen. Eine ausgezeichnete Gelegenheit, wie ich finde, ein Filmtagebuch zu beginnen und die ein oder andere Entdeckung hier vorzustellen. Es ist allerdings eher als Raum gedacht, schnell und relativ ungefilterte Eindrücke zu schildern. Es erwarten euch also keine ausformulierten Texte, sondern eher Gedanken und Notizen, mal ausführlich und begründet, mal flüchtig und vage.

Feedback, Anregungen und sonstige Konversation ist herzlich willkommen und kann im Kommentar-Thread ausgelebt werden.

À bientôt,
M.

Bearbeitet von djmacbest, 26. August 2007, 22:07.


#2 Praxisphilosoph

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Geschrieben 27. August 2007, 00:05

Unter dem Cinéma Quebécois versteht man in erster Linie das französisch-sprachige Kino Kanadas, das sich selbst durch einen strengen Regionalismus "eigene" Thematiken und Motive zuschreibt. Die Problematik der Abgrenzung und eine zu erwartende Unschärfe wird an dieser Stelle sicher noch häufiger Thema sein. Auch möchte ich den stellenweise unerträglichen Nationalismus und Anti-Amerikanismus des quebécer Kinos problematisieren oder zumindest darauf hinweisen.

Zu Beginn möchte ich ein paar Filme kommentieren, die ich noch vor meiner Abreise nach Montréal gesichet habe. Das Filmtagebuch beginnt somit in der Vergangenheit....

Viel Spass beim Lesen....

#3 Praxisphilosoph

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Geschrieben 27. August 2007, 00:15

La vrai nature de Bernadette
CAN | 1972 | Gilles Carle


Synopis
Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Umwälzungen in Québec und beseelt von der Idee, ihre "wahre Natur" zu entdecken, zieht eine Großstadtintellektuelle mit ihrem Sohn aufs Land. Dort trifft die romantische Idealistin auf einen Bauern, der gegen die Macht der industriellen Agrarkonzerne vorgehen will. Mit ihrer offenherzigen Weltsicht sucht sie ihren Platz in der Provinz – mit überraschenden Konsequenzen. (Presseheft)


(+) leuchtende Technicolor-Farben; teils böser, teils frivoler Humor; Karikatur der religiösen Wundererwartung der Landbevölkerung Quebecs und der naiven Rückbesinnung der Städter auf ländliche, archaische Lebensgewohnheiten; bissiger und pointierter Erzählstil; gegen Ende einige kurze Momente der experimentellen Narration, etwa durch einfrierende Bilder; im Gesamten eine unterhaltsame Satire auf eine streng religiöse (katholische) Sexualmoral und deren Verwerfung

(-) zeitweilige Längen in der Mitte der Erzählung.



Der Film war Bestandteil der "Marple-Movies"-Reihe, die auch im Frankfurter Filmmuseum Station machte. Eine Artikel über die Filmreihe ist im epd-Film erschienen.

Bearbeitet von Manifesto, 27. August 2007, 00:19.


#4 Praxisphilosoph

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Geschrieben 27. August 2007, 14:37

Wer sich mit dem französischsprachigem Kino Kanadas auseinandersetzt, kommt schwerlich an den beiden Filmen von Jean-Claude Lauzon vorbei. Es war also Zeit für eine erneute Sichtung.


Un zoo la nuit/Night Zoo - Kreaturen der Nacht
CAN | 1987 | Jean-Claude Lauzon


Synopsis
Marcel wird aus dem Gefängnis entlassen und darauf hin von korrupten, anglophonen Polizisten bedrängt. Der Hauptplot ist allerdings die Annäherung an seinen kranken Vater, mit dem er die letzten Tage verbringt.


(+) Schwarzhumorige, groteske, grausame und poetische Momente im Wechsel; in den stilisierten Szenen am überzeugendsten; in den Hauptrollen großartiges Schauspiel

(-) Durch die Vielzahl der Erzählebenen gelegentlich unausgegoren und narrativ nicht geschlossen; schreckliche deutsche Synchronisation


Der Film verhandelt eines DER Themen des Cinéma Qubécois, die Familie in all ihren grausamen und schönen Momenten. Es ist extrem auffällig, wie viele frankophone Produktionen um einen Konflikt innerhalb einer (Groß)Familie aufgebaut sind. Inwieweit damit auch die politische Situation Quebecs reflektiert wird, wird noch herauszufinden sein.

Bearbeitet von Manifesto, 27. August 2007, 14:54.


#5 Praxisphilosoph

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Geschrieben 27. August 2007, 14:53

Leolo
CAN | 1992 | Jean-Claude Lauzon


Lauzons zweiter und leider auch letzter Film ist die Erinnerung an seine Kindheit in einem der Armenviertel Montréals. Der rauschhafte Strom der Erlebnisse verhandelt Familienkonflikte ebenso wie erwachende Sexualität. Die biografische Ebene wird immer wieder von einer nüchternen Erzählerinstanz gebrochen, was, meiner Meinuung nach, zu den Schwächen des Films zählt.


(+) Atmosphärisch dichter und poetischer als Un zoo la nuit; bildgewaltig; schwarzhumorig, böse und bewegend;

(-) Die Etablierung einer übergeordeten Erzählerinstanz in Person eines alten Mannes, der die Tagebücher Leolos findet, halte ich für überflüssig und ist letztendlich auch ein Zugeständnis an eine konsumierbarere Filmstruktur. Der Film als reinen "Stream of consciousness", ohne Erklärungen und narrative Haltegriffe hätte mir sicher noch besser gefallen.

Bearbeitet von Manifesto, 27. August 2007, 14:54.


#6 Praxisphilosoph

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Geschrieben 28. August 2007, 00:40

Le Collectionneur/The Collector
CAN | 2002 | Jean Beaudin


Synopsis
Zur Abwechslung mal etwas Genre-Unterhaltung: Eine toughe québecer Polizeibeamtin jagt einen Serienmörder, der aus Versatzstücken seiner Opfer die Körper seiner Eltern wiederherzustellen versucht. Nebenbei kümmert sich die rührige Frau auch noch um einen jugendlichen Stricher und einen weggelaufenden Rotzlöffel.


(+) spannende Genre-Unterhaltung; starker weiblicher Charakter als Protagonistin

(-) Variation der etablierten Genre-Motive ohne dem wirklich Neues hinzuzufügen; in der Auflösung konventionell und vorhersehbar


Der Film ist als dt. DVD bei Sunfilm erschienen.

Bearbeitet von Manifesto, 28. August 2007, 00:41.


#7 Praxisphilosoph

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Geschrieben 29. August 2007, 14:31

Einer der bekanntesten und sicherlich auch interessantesten Regisseure des Cinéma Québecois ist Denys Arcand. In Europa ist er vor allem durch den satirischen Le Déclin de l'empire américain/Untergang des amerikanischen Imperiums (1986) und dem eher melodramatischen Nachfolger Les Invasions barbares/Invasion der Barbaren (2003) bekannt. Nicht so präsent ist Arcands Schaffensphase in den 1960er und 1970er- Jahren, in der er einige herausragende, meist explizit politische Filme inszenierte. Ursprünglich war Arcand einer der profiliertesten Vertreter des Cinéma Verité/Direct Cinema, eine Strömung der prägenden Dokumentarfilm-Geschichte Kanadas und Québecs. Sein umstrittenes und viele Jahre verbotenes bzw. zensiertes Pamphlet On est au coton (1976) wird an dieser Stelle in naher Zukunft ebenfalls eine Rolle spielen.

In dieser Phase schuf Arcand auch eine Reihe von höchst interessanten Spielfilme, wie beispielsweise...


La maudite galette/Dreckiges Geld
CAN | 1972 | Denys Arcand


Synopsis
Ein introvertierter junger Mann, der bei seinem Chef, einem Schrotthändler, wohnt, gerät in eine Raub- und Mordaffäre, als er sich in den Versuch seiner Chefin einmischt, an das Geld ihres Onkels zu kommen. (Filmdienst)


(+) konzentrierte, genau kadrierte Cinemascopebilder mit langen Einstellungen; erzählt die Geschichte mit aller Konsequenz und Härte; mit L'argent von Robert Bresson einer der wichtigsten Filme über die Gier nach Geld und ihre Folgen; reflektiert eine Gesellschaft, die auf einer materiellen Ungleichheit beruht und verwirft diese, ohne jedoch eine Utopie anzubieten


Mit etwas Abstand überrascht mich immer noch die Konsequenz und die Explizität der Bilder, mit der die Geschichte erzählt wird. Ein konzentrierter Film mit ungeheurer innerer Spannung. Absolut sehenswert!

Leider existiert bis heute keine (angemessene) DVD-Veröffentlichung des Films...

#8 Praxisphilosoph

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Geschrieben 29. August 2007, 14:48

Ein weiterer Film Arcands aus dieser Schaffensperiode ist

Gina
CAN | 1975 | Denys Arcand


Synopsis
In einer kleinen kanadischen Stadt dreht ein Fernsehteam einen Dokumentarfilm über die Lage der Textilarbeiterinnen. Dem Leben der Arbeiterinnen stellt Regisseur Denys Arcand die Tätigkeit der Nachtbartänzerin Gina gegenüber. (Filmdienst)


Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Plotentwicklung dahingehend, dass Gina, die titelgebende Tänzerin von einer Gruppe von Männern in ihrem Hotelzimmer brutal vergewaltigt wird. Mit Hilfe ihrer Zuhälter rächt sie sich schließlich an ihren Peinigern. Die Ausbeutung der Arbeiterinnen in der Textilfabrik wird unmittelbar mit der sexuellen Ausbeutung Ginas verknüpft.

(+) bezieht eindeutig Stellung zugunsten der ausgebeuteten Arbeiterinnen und sexuell attackierten Frauen; Vorausnahme der späteren Erfahrung Arcands als Dokumentarfilmer über die Ausbeutung in Textilfabriken; zum Teil großartige Landschaftsaufmahmen

(-) in Gegensatz zu La maudite galette ist die Kameraarbeit im Gesamten unspektakulär und erinnert eher an eine Fernsehästhetik; stellenweise holpernde Dramaturgie mit einigen Längen


Auch hier überrascht mich die Explizität der Bilder. Die Rachesequenz wird mit aller Härte inszeniert, ohne jedoch explotativ zu werden. Der Film ist vor kurzem in Kanada auf DVD erschienen, allerdings nur in der französischen Originalfassung.

#9 Praxisphilosoph

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Geschrieben 29. August 2007, 15:00

Le Crime d'Ovide Plouffe
CAN | 1984 | Denys Arcand


Synopsis
Ein unbescholtener Schmuckhändler, der mit seiner Sekretärin eine platonische Beziehung unterhält, gerät in Mordverdacht, als seine Frau bei einem Flugzeugunglück ums Leben kommt. (Filmdienst)


Das angesprochene Flugzeugunglück ist in Wirklichkeit ein perfider Mordplan eines Verehrers der Frau. Arcands Film ist versöhnlicher als seine Arbeiten davor, deutet aber bereits den satirischen Witz seiner späteren Arbeiten an. Der Schluss des Films, ein nahezu klassisches Happy-End, verwirrt mich. Ist es wirklich ein Zugeständnis an die Produzenten und Zuschauer, um einen verdaulichen Film abzuliefern oder ist es gerade das Gegenteil, die satirische Überhöhung einer Genre-Konvention. Ich befürchte aber erstes.

(+) der Film erzählt konsequent von einem naiven Liberalen, der auf Druck der bürgerlichen Gesellschaft beinahe unschuldig zum Tode verurteilt wird; Abrechnuing mit der rigiden Sexualmoral des katholischen Québecs und dem Schein einer „sauberen Familie“; teils tragisch, teils mit bösem Witz;

(-) Fernsehästhetik; kitschiges und konventionelles Ende mit einem Zugeständnis an die Zuschauer


Den Film gibt's soweit ich weiß nicht auf DVD.

#10 Praxisphilosoph

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Geschrieben 31. August 2007, 15:37

La grande séduction/Die große Verführung
CAN | 2003 | Jean-Francois Pouliot


Eines der größten Box-Office-Hits der letzten Jahre war diese Komödie des ehemahligen Werbefilmers Pouliot, die es ja bekanntlich bis in die Kinos in Deutschland gebracht hat. Ich denke, die Tatsache deutet schon an, dass eher Unterhaltung angesagt war. Die erste halbe Stunde war es auch so, ich habe mich unterhalten gefühlt, was vor allem an den sympathischen Charakteren und den skurilen Ideen lag. Als dann die Liebesgeschichte begann, fand ich es nur noch langweilig, da vorhersehbar.


(+) Leichte, witzige Komödie mit sympathischen Figuren; atmosphärische (Landschafts)Bilder

(-) In der zweiten Hälfte kitschige Romanze mit vorsehbarer Dramaturgie; mitunter aufdringlicher Musikbombast


Das ist so ein Film, der einmal gesehen in der Versenkung verschwindet, weil er letztendlich auf nichts verweist als auf sich selbst.

#11 Praxisphilosoph

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Geschrieben 31. August 2007, 15:52

Ich nähere mich so langsam der Gegenwart an. Anlässlich des im Moment stattfindenden World Film Festival bietet Telefilm Canada, der öffentliche frankophone Fernsehsender, die Möglichkeit, in einem kleinen Zelt umsonst die größten Hits des Jahres 2006 als Videoprojektionen zu sichten. Ich ergriff die Chance, mir ein Bild von dem produzierten Mainstream des Cinéma québecois zu machen und brauchte, da bin ich ganz ehrlich, gelegentlich ordentlich Sitzfleisch.

Los ging's mit

Duo
CAN | 2006 | Richard Ciupka

Duo erzählt die Geschichte einer vom Bankrott bedrohten Musiker-Agentin, die einen, sich in Ruhestand befindenden, quebecischen Barden zum Comeback verhelfen will. Das alles findet während eines der unzähligen kleinen Chansons-Festivals auf dem Lande statt. Aus dieser Grundsituation entwickeln sich dann, wer hätte das gedacht, allerlei amoröse Verwicklungen mit gelegentlichen Slapstickeinlagen.

(+) Sympathische Darsteller; einige situative Lacher

(-)
Schrecklich pathetisches und kitschiges Ende; konventionelles Genre-Kino ohne den Hauch einer Überraschung


ZEITVERSCHWENDUNG!

#12 Praxisphilosoph

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Geschrieben 31. August 2007, 16:05

Nach dem eher nervenden Erlebnis mit Duo wurde ich anschließend mit einem wunderbaren Film überrascht.


Congorama
CAN | 2006 | Philippe Falardeau

Der Film beginnt in Belgien und erzählt die Geschichte eines erfolglosen Erfinders, der nach der überraschenden Nachricht, er sei in Wirklichkeit adoptiert und in Quebec geboren, nach Montréal reist und dort eine Bekanntschaft mit tragischen Folgen für alle Beteiligten macht. Das erste große Plus des Films ist Olivier Gourmet, den ich aus seinen Auftritten in den Filmen der Dardenne-Brüder zu schätzen gelernt habe. Es ist einfach ein wunderbares Vergnügen, diesem Menschen bei seiner Kunst zu beobachten. Auch in Congorama spielt er so akzentuiert, so präzise und bewegt sich dabei so leise zwischen Komik und Tragik. Wirklich herausragend.

(+) subtiles Musikkonzept, intelligent und sparsam eingesetzt; anti-rassistische Botschaft ohne die Moralkeule zu schwingen; eine konzentrierte und bewegliche Hand-Kamera;

Das ist ein Film, den ich gerne wieder sehen möchte. Er steckt voller Details und sich auffächernden Ebenen, so daß eine erneute Sichtung sogar dringend erforderlich erscheint. Absolut sehenswert!

#13 Praxisphilosoph

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Geschrieben 01. September 2007, 14:48

Der nächste Tag sollte ebenfalls eine eher zweischneidige Angelegenheit werden. Der erste Film des Tages war

Sans elle
CAN | 1996 | Jean Beaudin


Da ich von Jean Beaudin zuvor Le Collectionneur kannte, der zwar spannende, aber letztlich konventionelle Genre-Kost bot, wurde ich von seinem neusten Film positiv überrascht. Eine junge, nach dem mysteriösen Tod ihrer Mutter emotional sehr fragile Frau, kehrt aus Rom nach Québec zurück und durchlebt selbst die letzten, tragischen Tage der geliebten Mutter.


(+) Der Film erzählt dieses Drama in metaphorisch-poetischen Bildern mit bedeutungsvollen Groß- und Detailaufnahmen und wirkt insgesamt ästhetisch ausgereift und rund; ein zum großen Teil subtiles Musik-Konzept trägt zu einer fließenden, eher mediativen Atmosphäre bei;

(-) Gegen Ende verliert sich der Plot für meinen Geschmack in zu vielen Worten; die Sinnbilder treten in den Hintergrund; das übermässig versöhnliche Ende inklusive bombastischer Geigen- und Cello-Musik hinterlässt einen faden Beigeschmack


Ein wirklich sehenswerter Film, der allerdings durch sein Ende den positiven Eindruck schmälert. Das ist vor allem ärgerlich, dass die Inszenierung des Endes völlig aus dem vorher etablierten Konzept fällt und nur als ein Zugeständnis an den Markt zu verstehen ist.

#14 Praxisphilosoph

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Geschrieben 01. September 2007, 15:05

Weiter ging's mit dieser Kanone:

Le Génie du crime
CAN | 2006 | Louis Bélanger


Den Inhalt spare ich mir, es ist es nicht wert in wiederzugeben. Ich habe, so schätze ich, in den vielen Jahren der Beschäftigung mit Film so fast jedem Werk eine Chance gegeben und es bis zum Ende geschaut. Vielleicht eine handvoll Filme habe ich aufgrund ihrer mangelnden Qualität abgebrochen und mit diesem Streifen ist es einer mehr geworden. Ich bin wirklich nach 'ner guten halben Stunde raus!

(-) erschreckend geschwätziges Kammerspiel (der Film basiert auf einem Theaterstück); ästhetisch auf unterstem Fernseh-Niveau; da hat ja jede Sitcom noch intelligentere Bildkompositionen; alles wird bis zum Erbrechen ausdiskutiert

Ein kurzer Hinweis sei mir auf das quebecische französich gestattet. Mit meinem schul-französisch komme ich hier nicht besonders weit, da hier zum Teil eigene Idiome benutzt werden und tendenziell eine krasser Dialekt in atemberaubender Geschwindigkeit gesprochen wird. Es sei dem Film also angerechnet, dass ich den einen oder anderen Wortwitz nicht verstanden habe. Allerdings war auch das restliche Publikum von dem Film nicht sonderlich beeindruckt. Ich habe in der Zeit, in der ich anwesend war, zwei verhaltene Lacher gezählt. Das ist für eine Komödie ein nicht unbedingt überragender Schnitt...

#15 Praxisphilosoph

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Geschrieben 02. September 2007, 13:54

Der nächste Film im Telefilm Canada-Zelt war


Cheech
CAN | 2006 | Patrice Sauvé


Der Plot dreht sich um meinen ziemlich heruntergekommenen Boss einer "Begleitagentur", der verzweifelt ein ominöses schwarzes Buch sucht, das ihm bei einem Einbruch entwendet wurde. Weiter werden diverses Nebenfiguren etabliert, die alle mehr oder weniger in die Vorkommnisse involviert sind. Im Gesamten bewegt sich der Film zwischen Komödie und Drama.

(+) Verschachtelte und sehr dichte Dramaturgie mit stellenweise rabenschwarzem Humor; atmosphärische Kameraarbeit; beeindruckende und spannende Parallelmontage zu Beginn und am Ende des Films

(-) Wie so oft bei Filmen dieses Produktionsbudgets, geht der Plot auf keinerlei über das Medium selbst hinausgehende Diskurse ein und verweist somit nur auf sich selbst. Das ist ja auch erstmal in Ordnung, der Film wird dadurch aber für eine zukünftige Filmgeschichte vorraussichtlich vernachlässigbar sein.


Ein Typus dieser Filme, die man sich durchaus ansehen kann, allerdings auch nicht wirklich etwas verpasst, wenn nicht ...

#16 Praxisphilosoph

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Geschrieben 02. September 2007, 14:12

Einer der erfolgreichsten (in Besucherzahlen!) Filme der letzten Jahre in Québec ist

Bon Cop, Bad Cop
CAN | 2006 | Eric Canuel

eine Action-Thriller-Komödie, der gut gelaunt die Rivalität der der Bewohner von Québec und des angrenzenden Ontario auf's Korn nimmt. Direkt auf der Grenze der beiden Provinzen wird eine Leiche gefunden, was der Anfang der Zusammenarbeit der völlig verschiedenen (nicht nur sprachlich!) Cops ist. Der Plot ist leidlich vorraussehbar: es gibt ein Serien-Killer, den es zu jagen gilt; die zunächst verfeindeten Cops werden Freunde und zwischen drin gibt's allerhand witzige Zoten, Verfolgungsszenen und so weiter...

(+) Das sympathische Spiel der beiden Antagonisten überzeugt; einige Szenen sind von rabenschwarzen Humor getragen, vor allem zu Beginn des Films

(-) Das Ganze ist eine Aneinanderreihung von Versatzstücken aus etablierten Motiven, zwar gelegentlich ironisch gebrochen, im Gesamten will der Film aber einfach die Masse der KinogängerInnen unterhalten; die Kamera ist solide, aber nicht herausragend, die Musik ist durch ihre ständige Überkommentierung der Szenen nervig und banal


Letztendlich kein Film von Relevanz...

#17 Praxisphilosoph

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Geschrieben 03. September 2007, 00:22

Es folgen die beiden letzten Box-Office-Hits aus dem Telefim-Canada-Zelt. Ich bin irgendwie auch nicht böse deswegen. Ich freue mich einfach, die nächste Zeit mal etwas unkonventionelleres Kino zu sichten.

Un dimanche à Kigali
CAN | 2006 | Robert Favreau

Ein Video-Journalist dreht 1994 in Ruanda eine Dokumentaion über AIDS und gerät in den Genozid der Hutu an den Tutsi. Durch seine Liebe zu einer gemäßigten Hutu-kellnerin verschärft sich der Konflikt. Eins vorneweg: der Film erinnert in Plot und Dramaturgie stark an Hotel Ruanda. Und das ist jetzt nicht als Kompliment zu verstehen.

(+) Überzeugendes Schauspiel in den Hauptrollen; realistische Darstellung der Grausamkeiten, ohne explotativ zu sein

(-) Ich halte den Film so unmittelbar nach der Sichtung für eines dieser Werke, das zu einer Entpolitisierung von historischen Ereignissen beiträgt. Der Genozid dient weitestgehend als dramaturgische Klammer, um eine tragische Liebesgeschichte zu erzählen. Der Zuschauer erfährt weder von den Motiven der rassistischen Ausschreitungen, noch von den sozialstrukturellen Ursachen des Konfikts. Es wird lediglich eine Gruppe resp. Horde tötender Menschen gezeigt, die den "Helden" des Films feindlich gesinnt sind. Der Plot könnte so, wie sie hier präsentiert wird, auch im 18. Jahrhundert und sonstwo auf der Welt spielen. Ein Phänomen, das in vielen Produktionen zu beobachten ist, die vermeintlich historische Stoffe "aufarbeiten". Der Untergang ist da nur die Spitze des Eisbergs.

Die Ereignisse werden demnach so ausufernd dramatisiert, was sich ebenfalls in dem Musikkonzept widerspiegelt. Allerdings ist es nicht ganz so unerträglich wie in Hotel Ruanda. Der Film im Film, die Dokumentarbilder des Protagonisten, unterscheiden sich von den erzählenden Bildern auch nur durch einen roten Kreis und "REC" im Bild.

Ich kann solche Filme nicht leiden!

Und das es durchaus gelingen kann, in angemessener Art und Weise eine individuelle Liebesgeschichte und politische Ereignisse, also Privates und Soziales, zu inszenieren, zeigt, wie ich finde, Der ewige Gärtner.

#18 Praxisphilosoph

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Geschrieben 03. September 2007, 00:29

Délivrez-moi
CAN | 2006 | Denis Chouinard

Ich mach's kurz. Eine Frau wird nach 10 Jahren aus dem Gefängnis entlassen, in dem sie aufgrund des Mordes an ihrem gewalttätigen Freund gesessen hat. In Freiheit entpuppt sich die Wiederannäherung an ihre Tochter und Mutter als äußerst schwierig.

(+) Ein solides Drama mit Geneviève Bujold als verbitterte Mutter; langsam inszeniert, mit durchaus poetischen Bilder


Mehr fällt mir dazu nicht ein. Irgendwie habe ich das alles schonmal gesehen.

#19 Praxisphilosoph

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Geschrieben 04. September 2007, 14:59

Exkurs

Ryan Larkin/Chris Landreth

Als eine der Möglichkeiten, sich der, so wahrgenommenen, "Übermacht" des us-amerikanischen Erzählkinos zu widersetzten, förderte das staatliche, kanadische National Film Borad/Office national du film (NFB/ONF) ab den 1960er Jahren verstärkt den Dokumentar- und Animationsfilm. Die Folge ist eine langjährige Tradition in der Produktion dieser Filmgattungen mit zum Teil herausragenden Werken. Teil der Blütezeit der kanadischen Animationsfilmproduktion ist Ryan Larkin.

Sein Debut als Animator ist der Kurzfilm

Syrinx
CAN | 1965 | Ryan Larkin

Der 3-minüter beruht auf dem gleichnahmigen Flötensolo des Impressionisten Claude Debussy und erzählt ein Teil der Pan-Mythologie.

(+) wunderbar gezeichnete, atmospärisch sehr dichte Fantasylandschaft; die Interpretation des Musikstücks in Bildern gelingt eindrucksvoll



En marchant/Walking
CAN | 1969 | Rayn Larkin

(+) Walking ist eine Bewegungsstudie, die mit unterschiedlichen Techniken und Materialen arbeit; ohne die Hilfe der Rotoskopie, zeichnete Larkin menschliche Bewegungsabläufe so präzise, als seien sie gefilmt; Walking zeigt eindruvcksvoll auch das herausragende technische Können Larkins



Street Musique
CAN | 1972 | Ryan Larkin

Street Musique kombiniert Realfilm mit Animationsfilm; psychedelische Farben und Symbole; Form- und Farbspielereien




Der Animator Chris Landreth stammt ebenfalls aus der vom NBF geförderten Szene, obgleich er sich ausschließlich auf Computer-Animationen spezialisiert hat.


The End
CAN | 1995 | Chris Landreth

The End nimmt die fragmentierte Personenanimation von Ryan vorweg. Laut Aussage von Landreth entstand der Film als Versuch, sich in die neuste Software einzuarbeiten.

(+) perfekte Animation von Gesichtern und Körpern inkl. Falten, Haare u.ä.; Frage nach filmischer "Wirklichkeit" durch eine Animation-in-der-Animations-Story;


Bingo
CAN | 1998 | Chris Landreth

Ein weiteren Baustein auf dem Weg zu Ryan. Landreth versucht sich an einem "psycholocical realism", also der Animation von inneren Zuständen, die sich auf den Körper auswirken. In Bingo wird ein junger Mann so lange indoktiniert, er sei Bingo der Clown, bis er schließlich seinen Widerstand aufgibt und die Identität bejaht.

(+) irritierende Geschichte; perfekte Animationstechnik


Ryan
CAN | 2004 | Chris Landreth

Der erfolgreiche Kurzfilm lief auf unzähligen Festivals und bekam dort eine Reihe von Preisen.

(+) großartige Hommage an Ryan Larkin mit einer einzigartigen Ästhetik; die Idee einer "animated documentary";



Der Entstehungsprozess von Ryan wird in dem sehenswerten Dokumentarfilm

Alter Egos
CAN | 2004 | Laurence Greene

reflektiert und ist eine behutsame annäherung an die Animationstechnik und an die Leidenschaft des künstlerischen Schaffens.

(+) traurige Geschichte des Scheiterns eines begadeten Künstlers; auch ein Film über Abhängigkeit und ihre Verleugnung; die bewegendste Szene ist der Moment, als Ryan Larkin den Film Ryan zum ersten Mal zu sehen bekommt: diese Sprachlosigkeit angesichts der Visualiserung seines seelischen resp. körperlichen Zustands ist beklemmend


Alle die hier besprochenen Filme sind auf der Special Edition von Ryan zu finden, die vom NBF herausgegeben wurde.

#20 Praxisphilosoph

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Geschrieben 05. September 2007, 18:08

Auf einem der Flohmärkte hier wurde ich auf folgenden Film aufmerksam, einen "Film du suspense-fanastique" (DVD-Cover). Das ist insofern interessant, als dass die Geschichte des Cinéma quebécois keine wirklichen Genre-Filme kennt. Eine spezielle Entwicklung von Western, SF-Filme, Krimis, Kriegsfilme, Horrorfilme oder Melodramen hat nie stattgefunden. Das einzige "Genre" der Filme Québecs sind Sozialdramen. Erst Anfang der 1990er Jahre beginnt die Produktion von Genre-Filmen. Umso überraschender, dass sich der folgende Film als kleine Perle entpuppte.

Saints-Martyrs-des-Damnés
CAN | 2005 | Robin Aubert

Der Reporter eines, auf übersinnliche Phänomene spezialisiertes, Magazin wird in eine Kleinstadt geschickt, in dem Menschen scheinbar spurlos verschwinden. Der Plot besteht aus nahezu jedem Versatzstück, den das Gerne zu bieten hat. Es gibt myteriöse alte Frauen, einen seltsamen Tankwart, das alte, unheimliche Bates-Motel darf auch nicht fehlen, dazu spukende Bräute, ein Mad-Scientist und diverse Kinderpuppen.

Interessant ist allerdings, wie die eher banale Story erzählt wird; es wird sich viel Zeit gelassen, das Tempo ist durchgängig eher langsam und der Genre-Plot wird mit wunderschönen, poetischen Momenten gebrochen. Das Herausragende an diesem Film ist allerdings die Form...

(+) grandiose Kameraarbeit irgendwo zwischen Slawomir Idziak und Dion Beebe; beeindruckendes Produktions-Design mit herrlichen erdigen Farben; ruhig fließende, poetische Montage; das Musikkonzept ist nicht herausragend, zerstört allerdings auch nicht die Atmosphäre und das ist bei dieser Art von Filmen ein Pluspunkt

(-) Inhaltlich überfrachtet; ein Detail ist sogar eher lächerlich, da vollkommen absurd und aus dem Nichts gegriffen


Bei meiner Recherche habe ich mit Erstaunen festgestellt, dass der Film unter dem Titel Saint Martyrs - Stadt der Verdammten in Deutschland bei Ascot-Elite erschienen ist. Wer sich für atmosphärisch dichtes Genre-Kino interessiert und die ästhetsichen Vorzüge trotz einer eher mittelmässigen Story genießen kann, sollte den Film mal antesten.

Bearbeitet von Manifesto, 05. September 2007, 18:20.


#21 Praxisphilosoph

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Geschrieben 07. September 2007, 14:40

Histoire de famille
CAN | 2006 | Michel Poulette


Wie der Titel des Films schon andeutet, handelt es sich um eine Familien-Saga, die zwischen 1960-1975 und in der filmischen Gegenwart angesiedelt ist. Der Film bewegt sich zwischen Drama und Komödie und vermeidet weitestgehend allzu pathetische Momente.


(+) Einbettung dokumentarischer Aufnahmen der polit. Ereignisse in Québec; wandelt gekonnt zwischen politischen und privaten Ebenen, wobei letztere überwiegt; groß angelegter Erzählstil, mit einer Vielzahl von Charakteren und Handlungszweige; poetische Momente, leise und verhalten inszeniert

(-) Ästhetisch eher Durchschnitt; am Ende wird der ganze Phatos aufgefahren, den der Film vorher vermieden hat und endet in einer, für mich unerträglichen, Feier der quebecischen "Nation" und ihrer vermeintlichen Identität;


Aufgrund der historischen Aufnahmen und der Plotentwicklung mit Einbettung tatsächlicher politischer Ereignisse, quasi als Geschichtsstunde Québecs, sehenswert, sonst aber vernachlässigbar...

#22 Praxisphilosoph

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Geschrieben 12. September 2007, 18:58

Einer der schönsten und ergreifendsten Filme Québecs der frühen 1980er Jahre ist ohne Zweifel

Les bons débarras/Weg mit Schaden
CAN | 1980 | Francis Mankiewicz

Der Titel bezieht sich auf einen quebecer Spruch, der bedeutet, sehr froh zu sein, etwas oder jemand los zu sein. Im Laufe der Geschichte wird sich der Titel noch als böse Ironie entpuppen.

Manon, ein 13-jähriges, sich zwischen Kindheit und Pubertät befindendes, Mädchen lebt mit ihrer Mutter und ihrem geistig behinderten Onkel in einer ärmlichen Hütte in den Laurentides. Verzweifelt kämpft die vorlaute Manon um die Liebe und Zuneigung ihrer Mutter, die sich selbst nicht gefunden zu haben scheint. Die Eifersucht auf Alle, die ihr die geliebte Mutter streitig machen könnten, personalisiert sich in ihrem Onkel, der als Pflegefall die Aufmerksamkeit und körperliche Nähe bekommt, die Manon sich so sehr wünscht. Als das Kind ihren Onkel, bewusst oder unbewusst, schließlich in den Tod treibt, schlägt die Sehnsucht nach Liebe endgültig in Grausamkeit um.

Das klingt erschütternd und ist auch so inszeniert. Die Kamera (Michel Brault) ist unspektakulät, liefert aber dennoch konzentrierte Bilder, die die extremen sozialen Bedingungen realistisch einfangen. Die Musik ist zurückhaltend und so gibt es Raum für die wunderbaren DarstellerInnen, allen voran Charlotte Laurier als Manon, die das Mädchen zwischen Sehnsucht und Zorn überzeugend spielt. Alles in allem ist Les bons débarras eine dichte Studie über die verzweifelte Suche nach Liebe und das Psychogramm von Menschen im "Drift" (Richard Sennett). Absolut sehenswert!


Die vorliegende kanadische DVD ist ohne Extras, aber mit englischen UT. Leider wurde bei der Abtastung keine Restauration der Bilder vorgenommen und so hatte ich gelegentlich das Gefühl, ich schaue eine verranzte 16mm-Kopie. Das hat aber die düstere Beklommenheit des Films nur unterstützt.

#23 Praxisphilosoph

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Geschrieben 12. September 2007, 19:15

In diversen Umfragen in den letzten Jahrzehnten wurde der folgende Film häufig "als bester Film Québecs" auserkoren.

Mon oncle Antoine/Mein Onkel Antoine
CAN | 1971 | Claude Jutra


Diese Ehre kann ich nicht so ganz nachvollziehen. Der Film erzählt vom einfachen Leben in einem Dorf in Québec in den 1940er Jahren, von Entbehrungen und Freuden, von Leben und Tod. Da sich die Story an Weihnachten zuträgt, gibt's auch allerhand christliches Brimbamborium inkl. Gesangeseinlage. Na ja, wem's gefällt. Ich fand's einfach vor alllem langweilig, da die ganze Sache auch ziemlich verhalten und bieder inszeniert ist. Klar, es gibt einige Momente, die von menschlichen Erfahrungen erzählen und eventuell eine gewisse Wahrhaftigkeit ausstrahlen, leider sind diese Szenen etwas rar. Ästhetisch ist nichts erwähnenswert, das ist zutiefst bürgerliches Kino.


Auf der DVD gibt's als Bonus allerdings die wirklich sehenswerte Kooperation zwischen Claude Jutra und dem Experimentalfilmer Norman McLaren. Der Kurzfilm A chairy tale von 1957 ist ein witziges und unterhaltsames Beispiel für die experimentelle Montage- und Tricktechnik jener Zeit.

#24 Praxisphilosoph

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Geschrieben 14. September 2007, 20:15

Michel Brault hat nicht nur die Kamera bei den letzten beiden hier eingetragenden Filme geführt, sondern war selbst als Regisseur und Autor aktiv. Er gilt als Mitbegründer des Cinéma direct, das in Anlehnung an das Direct cinema und an das Cinéma vérité, von der quebecer Wirklichkeit erzählen will. Als wichtigstes Beispiel der frühen Phase dieser Art des Dokumentarfilms gilt das folgene Werk:

Pour la suite de monde/Die Mondfalle
CAN | 1963 | Michel Brault, Pierre Perrault, Marcel Carrière

Der Film spielt auf der kleinen Insel Ile-aux-Coudres im St-Lorenz-Strom, deren Bewohner eine uralte Tradition des Walfangs wiederbeleben. Es wird auf Off-Kommentar verzichtet, vielmehr folgt die Kamera den Entwicklungen, Gesprächen, und Aktivitäten und liefert so einen beeindruckenden Einblick in fast archaische Lebensumstände. Soziologisch höchst spannend und gehaltvoll. Darüber hinaus ist es auch ein Film über die Sprache der Leute, die "joual", einen herben französichen Dialekt sprechen. Sehenswert!


Der Film befindet sich auf der vom NFB/ONF herausgegebenden DVD, die Teil einer Reihe mit sämtlichen Werken von Michel Brault ist.

#25 Praxisphilosoph

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Geschrieben 20. September 2007, 13:51

The journals of Knud Rasmussen
CAN/DEN | 2006 | Zacharias Kunuk, Norman Cohn

Nach dem Erfolg von ATANARJUAT (2001) ist das der zweite Spielfilm von dem Inuit Kunuk, der auf Digital-Video in der arktischen Kanada gedreht wurde. Der Film erzählt eine alte Inuit-Geschichte über die Ankunft der ersten Grönländer und der Christianisierung der Bevölkerung. Alte schamanische Bräuche werden zurückgedrängt, die Gesänge und Predigten der Bibel auf inuktitut werden nach und nach übernommen. Stellenweise ist der Film eine ethnographische Studie mit dokumentarischen Bildern, wenn auch die Geschichte 1922 angesiedelt ist. Der Film refektiert in seiner Dramaturgie die Erzähltradition der Inuit, die sich durch viele Worte und lange Gesänge auszeichnet. Ich fand es erfrischend, eine so minimalistische Dramaturgie zu sehen, stellenweise aber auch ermüdend. Die langen Einstellungen von Gesängen waren für mein Geschmack hin und wieder langweilig. Jedenfalls ignoriert der Film so fast jede "westliche" Filmkonvention und bietet einen interessanten Einblick in das Leben unter extremsten äußeren Bedingungen.

#26 Praxisphilosoph

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Geschrieben 24. September 2007, 20:09

Valérie
CAN | 1969 | Denis Héroux

&

L'initiation
CAN | 1970 | Denis Héroux


2 x belanglose bis ärgerliche Softsex-Grütze voller hirnloser, hölzern vorgetragener Dialoge. Die Filme lassen keine Gelegenheit aus, unter dem Deckmantel der "sexuellen Revolution", ihre Darstellerinnen "oben ohne" bei verschiedensten Aktivitäten wie saunieren, duschen, massieren, schwimmen, (..) zu zeigen. Die Geschichten der vermeintlichen Befreiung enden mit einer übelst moralinsauren, zutiefst bürgerlichen Moralkeule, in dem die jeweiligen Protagonistinnen reumütig die Kleinfamilie als bessere Option erkennen. Beide Filme sind superlangweilig, haben ein grottenschlechtes Drehbuch und keine Dramaturgie und sind voyeuristisch bis sexistisch. Einzig die streckenweise brilliante Kamera und der groovende Soundtrack sind gelungen.

Bearbeitet von Manifesto, 24. September 2007, 20:11.


#27 Praxisphilosoph

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Geschrieben 29. September 2007, 14:14

Michel Brault ist nicht nur einer der einflussreichsten Personen des Cinema direct, sondern hat ebenfalls einige Spielfilme inszeniert, die allesamt jedoch stark von seiner dokumentarischen Arbeit geprägt sind.

Les Ordres
CAN | 1974 | Michel Brault

Les Ordres thematisiert die so genannte "Oktoberkrise" in Québec 1970, in deren Verlauf nach mehreren Bombenanschlägen der FLQ der "War Measure Act", ein umfassende Kriegsrecht, über Montréal verhängt wurde. Auf dieser zweifelhaften Grundlage wurde innerhalb weniger Tage über 400 Menschen verhaftet und ohne Gerichtsverhandlung oder rechtlichen Beistand bis zu mehreren Wochen eingekerkert. Die Betroffenen waren in der Regel Gewerkschaftler, Sozialarbeiter, Kommunisten oder Künstler.

Braults Film erzählt die Geschichte von fünf dieser Verhafteten, die auf authentischen Interviews mit insgesamt 50 Inhaftierten beruht. Am Anfang des Films stellen sich die Schauspieler mit Blick in die Kamera selbst vor und reflektieren ihre Rolle. Die Spielhandlung ist dokumentarisch inszeniert mit Handkamera, O-Ton und vorhandenem Licht. Dazwischen reflektieren die Schauspieler, jetzt in ihren Rollen, die Ereignisse und beschreiben ihre Gefühlslage.

Braults Film wurde damals die Fokusierung auf die emotionale Zustände der Protagonisten zu ungunsten einer politischen Analyse vorgeworfen. Zwar beschreiben zwei Texttafeln die Hintergründe, in der Handlung selbst bleiben die Motive, Ursache und Wirkungen in der Tat im Dunkeln. Trotzdem entwickelt sich eine mitreißende Geschichte über staatlich-militaristische Willkür, die Machtlosigkeit des Individuums dagegen und die daraus resultierenden persönlichen Folgen. Die beklemmende Atmosphäre des Knasts inklusive Scheinhinrichtungen ist subtil und respektvoll inszeniert. Herausragend ist wie in allen Filmen einmal mehr die konzentrierte Kameraarbeit. Sehenswert!

Der Film ist Teil der oben erwähnten DVD-Reihe des NFB/ONF.

#28 Praxisphilosoph

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Geschrieben 10. Oktober 2007, 01:58

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus...

Festival du Nouveau Cinéma
[10.-21. Oktober 2007]

Der Festival-Pass liegt bereit und die Magister-Arbeit wird für 10 Tage auf Eis gelegt. Es laufen einfach zu viele interessante und vielversprechende Streifen auf dem Festival. Am meisten freue ich mich auf DU LEVANDE (Roy Andersson), STELLET LICHT (Carlos Reygadas), IMPORT/EXPORT (Ulrich Seidl), THE MAN FROM LONDON (Bela Tarr) und PLOY (Pen-Ek Ratanaruang). Aber auch die neusten Werke von Peter Greenaway, Brian de Palma, Gregg Araki und Simon Staho sind vertreten plus einer Reihe unbekannter, aber neugierigmachender Filme. Ich werde an dieser Stelle in fragmentarischer Form darüber berichten...

#29 Praxisphilosoph

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Geschrieben 11. Oktober 2007, 19:21

Yella
D | 2007 | Christian Petzold

Ich hatte im vorhinein hohe Erwartungen an den Film, einerseits weil ich Petzolds minimalistische und konzentrierte Inszenierung seit längerem schätze und andererseits, weil der Stoff eine Weiterentwicklung der Petzold'schen Themen versprach. Die Erwartungen wurden für meinen Geschmack voll erfüllt und ich würde mich Moodswings Einschätzung anschließen und Yella als einen der subtilsten und tiefgründigsten Spielfilme der letzten Jahre über die Auswirkungen des High-Tech-Kapitalismuses bezeichnen. Dieser Film erzählt so viel zwischen den Zeilen; unter der narrativen Oberflächenstruktur von Entfremdung (um mal das alte, ideologiebehaftete Wort zu gebrauchen), von einer blutleeren Identitätskonstruktion über materielle Werte und über eine sozialstrukturelle Ungleichheit. Die Tonspur und die Bilder von Hans Fromm erzeugen dabei eine ungeheure innere Spannung über minimalste, aber effektiv eingesetzte filmische Mittel. Als Genre-Beitrag funktioniert Yella nicht sonderlich gut, wie ich finde und so erscheint mir die Auflösung, das Ende, als unpassend. Die Inszenierung des Plot-Twists ist zwar schon sehr subtil, ich hätte mir allerdings noch mehr Ambivalenz und Uneindeutigkeit gewünscht. Trotzdem: eine außergewöhnlicher Film, der konzentrierte und aufmerksame Zuschauer erfordert und über den Film hinaus gesellschaftlich relevante Fragen aufwirft, ohne Antworten zu geben.

Bearbeitet von Manifesto, 11. Oktober 2007, 19:22.


#30 Praxisphilosoph

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Geschrieben 12. Oktober 2007, 13:54

La Antena
ARG | 2007 | Esteban Sapir

Auch La Antena ist in D ein breit rezipierter Film inklusive DVD-Veröffentlichung, deshalb erspare ich mir eine kurze Inhaltsangabe. Ästhetisch ein wirklich reizvoller Film, vor allem die Idee, die im Stummfilm obligatorischen Texttafeln in das Bild zu integrieren und mit ihnen erzählerisch zu spielen, hat mir gut gefallen. Neben der phantasievollen Kulisse blieb weiter die Musik hängen, die sich eindrucksvoll an einer Mischung aus sowjetischer Filmmusik und Tango versucht. Die Narration finde ich erschreckend konventionell, in jeder Szene ist das Schema des ABC-Drehbuchschreibens überdeutlich erkennbar. Jetzt kommt das und das, das ist der Bösewicht, hier ist das Ziel der Helden, das sind die Hindernisse... Bei aller Reichhaltigkeit der Bilder und Töne, sowas finde ich einfach so unglaublich ermüdend und langweilig, weil vorhersehbar. Zudem erinnert das Konzept Film überdeutlich an die Filme von Guy Maddin, der im Vergleich mit La Antena für meinen Geschmack die besseren Filme macht (Careful; The Saddest Music In The World). La Antena ist einer der Filme, der für die erste Sichtung durchaus Reizvolles bot, sich mir aber für eine weitere Auseinandersetzung nicht empfehlen konnte.

An diesem Film kann man, wie ich finde, angesichts des HD-Wahns deutlich die Grenzen von Video erkennen. La Antena lief hier in einem großen Kino mit entsprechender Leinwand. Trotz einer 35mm-Ausbelichtung waren die Artefakte und Treppenverzerrungen so deutlich und stellenweise störend, vor allem bei den Texten. Das soll jetzt kein Vorwurf an die Produktion des Films sein, sondern ich möchte lediglich auf die nach wie vor deutlichen technischen Nachteile von Video hinweisen, wenn ein Film für die große Leinwand gedacht ist; auf DVD ist davon sicher nichts zu sehen.

Bearbeitet von Manifesto, 12. Oktober 2007, 13:55.






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