Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0





Foto

CORALINE (Henry Selick/USA 2009)



"How dare you disobey your mother!"

Coraline ~ USA 2009
Directed By: Henry Selick


Hinter einer übertapezierten Tür ihres neuen Hauses entdeckt die kleine Coraline den Eingang in eine Art Parallelwelt. Dort waren ihre "anderen Eltern" auf sie, welche im Gegensatz zu ihrer realen Mum und ihrem realen Dad, die für das Mädchen von Berufswegen nur wenig Zeit haben, überaus fürsorglich sind - nur dass sie Knöpfe anstelle von Augen haben. Coraline bekommt hier köstliches Essen serviert, hat ein traumhaftes Kinderzimmer und wird in der Nachbarschaft zu prächtigen Shows und Revueen eingeladen. Irgendwann jedoch muss sie feststellen, dass all das nur Fassade ist und ihre "andere Mutter" eine bösartige Hexe, die es nur darauf abgesehen hat, Coraline, wie schon andere Kinder zuvor, für immer an ihre Welt zu binden.

Nicht ganz so atmosphärisch dicht daherkommend wie Neil Gaimans an Lewis Carroll orientierte, zauberhafte Vorlage, bewahrt Selicks per prachtvoller Stop-Motion animierte Adaption dennoch den Geist des Romans. Es geht um erste pubertäre Widerborstigkeitsphasen,jenes seltsam unentschlossene Gefühl zwischen dem Eindruck eines sich peu à peu einschleichenden Aufmerksamkeitsmangels von "oben" und dem Drang zur persönlichen Mündigkeit sowie der schließlich unweigerlichen Gewissheit, eines gewissen Unzufriedenheitspotenzials zum Trotze am Ende doch stets das sichere eigene statt eines alternativen Zuhauses zu wählen. Wie Myriaden anderer Kinder an der Schwelle zum Erwachsenwerden muss auch Coraline (nicht etwa Caroline) Jones diese notwendige Erfahrung machen - auf beschwerliche, wenn auch umso phantastischere Art und Weise. Möglicherweise ist auch alles bloß ein Produkt ihrer überbordernden Phantasie - aber wen interessiert das letzten Endes?

8/10

3-D Henry Selick Kinder Neil Gaiman Hexen



Mir ist bei der Filmschau nicht ganz klar geworden, wer eigentlich das Zielpublikum des Filmes sein soll. Kinder wohl eher nicht, doch ist für einen Erwachsenen die offenkundig aufgetragene Familienmoral nicht etwas deplaziert?

Die "verzauberte Welt" ist sicher eine schöne Art und Weise, sich überschlagende Kreativkinderhirne vorzustellen (falls es die gibt) -oder auch vor der Realität flüchtende-, mir war der Geschmack der Beliebigkeit der Ereignisse aber etwas zuwider. Möglweise habe ich aber auch nicht die tiefere Bedeutung aller Szenen durchschaut (TIDELAND schien mir da konsistenter). Ein gewisser Unmut gegenüber derer Aufklärung sollte vielleicht nicht beim Zuschauer gesucht werden - vielleicht sollte es mir der Film mit seiner Euphorie aufdrängen. Doch wo ist diese?
  • Melden

Bastro sagte am 31. März 2010, 14:09:

Mir ist bei der Filmschau nicht ganz klar geworden, wer eigentlich das Zielpublikum des Filmes sein soll. Kinder wohl eher nicht, doch ist für einen Erwachsenen die offenkundig aufgetragene Familienmoral nicht etwas deplaziert?
Ich habe den Film als vorgezogenes Osterpräsent am letzten Schultag mit einer zweiten Klasse, also Kindern im Alter von 7 bis 9 geschaut, jene allerdings eine Lerngruppe, von der ich wusste, dass man ihr kognitiv etwas zumuten kann. Die Kids haben sich hervorragend amüsiert und konnten zumindest an der inhaltlichen Oberfläche kratzen, was ich schon als enorme Leistung empfand. Ich schätze, dass Selick, ähnlich wie bei "Nightmare Before Christmas", ein ganz gutes Gespür dafür besitzt, was er Kindern an Morbidität vortragen kann, ohne ihnen emotionalen Schaden zuzufügen. Wie bei allen guten Kinderfilmen zeigen sich die tatsächlichen Qualitäten jedoch erst in Anbetracht der analytischen Abklopfung auf das Vorhandensein einer Metaebene hin, die sich auch von vielen Kindern, allerdings mittels eines eher emotionalen Zugangs, bereits erahnen, aber (noch) nicht recht greifen, respektive verbalisieren lässt. Letztlich bin ich im Gegensatz zu etlichen KollegInnen auch überhaupt kein Freund von diesen generös anerkannten "pädagogisch wertvollen" Kinderfilmen oder diesen diversen verjährten, wenn auch sicherlich nostalgisch betrachtet schönen Programmen. Ich weiß noch, wie ich meine eigene Deutschlehrerin dafür gehasst habe, dass wir bei ihr "Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse" sehen mussten. Genausowenig würde ich heute beispielsweise "Lippels Traum" vorführen. Eine Kollegin war neulich so mutig, die Augsburger PK-Version von "Jim Knopf" zu zeigen und ist damit nach meiner mit Ungläubigkeit quittierten Ankündigung und zu meiner größten Genugtuung völlig auf die Schnauze gefallen. Veränderte mediale Gewohnheiten erfordern eben auch ein verändertes medienpädagogisches Bewusstsein. Also, um es kurz zu machen: "Coraline" ist ein Film für Kinder UND Erwachsene :D

Bastro sagte am 31. März 2010, 14:09:

Die "verzauberte Welt" ist sicher eine schöne Art und Weise, sich überschlagende Kreativkinderhirne vorzustellen (falls es die gibt) -oder auch vor der Realität flüchtende-, mir war der Geschmack der Beliebigkeit der Ereignisse aber etwas zuwider. Möglweise habe ich aber auch nicht die tiefere Bedeutung aller Szenen durchschaut (TIDELAND schien mir da konsistenter). Ein gewisser Unmut gegenüber derer Aufklärung sollte vielleicht nicht beim Zuschauer gesucht werden - vielleicht sollte es mir der Film mit seiner Euphorie aufdrängen. Doch wo ist diese?
Bei dir wohl nicht zur Genüge angekommen. Ich empfehle die Romanlektüre und danach eine weitere Filmbetrachtung :)
  • Melden
Das finde ich mutig, dass du den gezeigt hast! Schön, dass sich das gelohnt hat.

Funxton sagte am 31. März 2010, 14:43:

Ich empfehle die Romanlektüre und danach eine weitere Filmbetrachtung :)
Gut. Ist vorgemerkt. :)
  • Melden
Gerade im Vergleich zum Comic fand ich den Film als unangenehmen Rückschritt. Die Autonomie des Mädchens wird im Film auf ärmliche Weise unterminiert und sie muß sich wieder mal vom Prinzen retten lassen. :gaehn:
  • Melden
:bart::bart::bart:

"Coraline" ist ein formal und inhaltlich, besonders in der Verknüpfung von Form und Inhalt, aus der Masse der amerikanischen Animationsfilme herausragendes und psychedelisierendes Werk, das auf filmforen.de klein geredet und bemäkelt wird, während gute, aber nicht herausragende Animationsilme wie "Cloudy (...) Meatballs" übern Klee gelobt werden, als sei gerade der verfickte Moses mit den zehn Geboten vom Berg geklettert.

Mehr will ich hier auch nicht zur Diskussion beitragen. Schließlich entsinne ich mich, dass ich hier oder auf kino.de (womöglich sowohl als auch) einen Text zu "Coraline" geschwurbelt habe.
  • Melden

The Critic sagte am 31. März 2010, 20:35:

Gerade im Vergleich zum Comic fand ich den Film als unangenehmen Rückschritt. Die Autonomie des Mädchens wird im Film auf ärmliche Weise unterminiert und sie muß sich wieder mal vom Prinzen retten lassen. :gaehn:

Dass das Comic genau so eine Adaption wie der Film ist, ist dir schon klar, ge'?
  • Melden
Hi, Funx,

habe mit Interesse deine Äußerungen über das angestaubte "pädagogisch wertvolle" Kinderprogramm gelesen. Schade, dass ich dich nicht als Lehrer hatte und uns Kinder vor dem öden Zeug bewahrt hast. Das ganze von dir aufgeführte Gedöns (sogar die Lindgren-Streifen) fand ich schon damals äußerst fade. Erschreckend nur das die Geronten vom Kinderkanal den sich ändernden Geschmack nicht wahrnehmen wollen und weiterhin von oben herab furchtbaren Tinneff wie Schloss Einstein fabrizieren.

Wg. Coraline & Selick

Ganz klar, Selick weiss morbides und groteskes kindgerecht zu verpacken, aber gerade dies scheint ja im englischsprachigen Raum durchaus Tradition zu haben. Man denke nur an Roald Dahl, Charles Addams, oder auch aktuelle Zeichentrickserien wie Fosters Haus für Phantasiefreunde (ich oute mich mal als Fan :)) ...
  • Melden

Funxton sagte am 31. März 2010, 23:04:

The Critic sagte am 31. März 2010, 20:35:

Gerade im Vergleich zum Comic fand ich den Film als unangenehmen Rückschritt. Die Autonomie des Mädchens wird im Film auf ärmliche Weise unterminiert und sie muß sich wieder mal vom Prinzen retten lassen. :gaehn:

Dass das Comic genau so eine Adaption wie der Film ist, ist dir schon klar, ge'?

Fein beobachtet, aber irgendwie am Punkt vorbei. Oder gibt es in Deiner Ausgabe des Romans die Figur des Wybie?

scarlett: Nö, Moses ist das Fleischbällchen sicherlich nicht. Aber zumindest verstehen die Macher das Wesen der Komödie: Wortwitz im richtigen Tempo. Selick baut dagegen seine Stationen nach Schnittmuster auf, um sie dann in der anderen Welt in der gleichen Reihenfolge abzuhaken. Das fand ich unglaublich uninspiriert, vom schlaffen Einsatz der 3D-Technik will ich gar nicht wieder anfangen. (Ja. Den Tunnel und den Flug über den Garten nehme ich davon aus.)
  • Melden
Die Fleischbällchen haben nicht genug Arsch in der Hose. Das ist alles nicht skurril und surreal genug dargestellt eingedenk des Umstandes, was da vor sich geht. Und dass er sich dann auch noch in wohlfeil forumulierte Botschaften rettet von wegen menschlicher Verschwendungssucht und von wegen, man solle zu seinem eigenem Ich stehen, anstatt nach Popularität zu streben...
:sof:

Nichtsdestotrotz ist der Film natürlich kreativer und cleverer als "Shrek" oder "Ice Age" oder wie sie alle heißen. Mehr aber auch nicht.

"Coraline" hingegen ist der reifere und subtilere Film, der die Schwierigkeit thematisiert, Wunsch und Realität in Einklang zu bringen. Wie hier in einer Parallel-/Traumwelt die Sehnsüchte und Ängste und Zweifel der heranwachsenden Protagonistin visualisiert werden, ist schon großes Kino, finde ich, das auch nicht vor der Auseinandersetzung mit Sterblichkeit zurück schreckt. Nicht nur ist das mehr als man von einem amerikanischen "Familienfilm" erwarten kann. Auch wird die surreal düstere Bebilderung des Films der Geschichte nicht nur gerecht, sondern trägt sie weitestgehend und lässt den Film zu einem regelrechten Trip durch das menschliche Bewusstsein werden. Ist in meinen Augen alles prima gelungen, auch wenn es ruhig hätte noch krasser und wesentlich verstörender ausfallen können nach meinem Geschmack. An dem Einsatz von 3D habe ich nichts auszusetzen, weil er die Sogwirkung des Films verstärkt und den Betrachter regelrecht hinein zieht in den Kaninchenbau. Apropos: Bei Exemplaren wie "Alice in Wonderland" ist der 3D-Einsatz eher zu bemängeln, weil: what the fuck? und bereichert gar nichts.

Also, wenn ich entweder "Coraline" oder die Fleischbällchen ein zweites Mal sehen *müsste* (was ich nicht mal will, weil ich mir bei beiden Filmen keine Bereicherung davon versprechen würde), würde ich mich freilich für "Coraline" entscheiden.
  • Melden

The Critic sagte am 01. April 2010, 02:38:

Funxton sagte am 31. März 2010, 23:04:

The Critic sagte am 31. März 2010, 20:35:

Gerade im Vergleich zum Comic fand ich den Film als unangenehmen Rückschritt. Die Autonomie des Mädchens wird im Film auf ärmliche Weise unterminiert und sie muß sich wieder mal vom Prinzen retten lassen. :gaehn:

Dass das Comic genau so eine Adaption wie der Film ist, ist dir schon klar, ge'?

Fein beobachtet, aber irgendwie am Punkt vorbei. Oder gibt es in Deiner Ausgabe des Romans die Figur des Wybie?

:m: Entschuldige, war letzte Nacht ziemlich blau, als ich diesen Kommentar abgefeuert habe. Und mit deinem Einwand liegst du schon richtig. Mein und Selicks letzter Rettungsanker: Coraline hätte es (irgendwie) bestimmt auch ohne Wybie geschafft, die olle Hexe zu besiegen :D
  • Melden
@ Phibes: Bei all dem Gediskutiere hätte ich beinahe doch glatt vergessen, mich für deine netten Worte zu bedanken. Hiermit geschehen :cheers:
  • Melden

Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare