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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0





Foto

ÉTAT DE SIÈGE (Constantin Costa-Gavras/F, I, BRD 1972)



"Dead?" - "Dead."

État De Siège (Der unsichtbare Aufstand) ~ F/I/BRD 1972
Directed By: Constantin Costa-Gavras

Der für die vorgeblich technische Beratungsfirma A.I.D. in Montevideo tätige Philip Michael Santore (Yves Montand) wird unter großem Gezeter der amtierenden Militärregierung als eines von drei Zielen von der Stadtguerilla, den Tupamaros, entführt und verhört. Er soll für den erpressten Austausch politischer Gefangener herhalten. Während seiner siebentägigen Geiselhaft konfrontiert man Santore mit unumstößlichen, bewiesenen Fakten, die er zunächst vehement zu leugnen versucht: Tatsächlich ist er inoffizieller Polizei- und Militärberater, der für die US-Regierung in wechselnde lateinamerikanische Krisenherde reist, um dort die jeweilige Junta zu unterstützen und die Bildung von Todesschwadronen, die gezielt gegen revolutionäre Strömungen vorgehen, zu forcieren. Zu seinem "Lehrplan" zählen die Vermittlung brutalster Verhör- und Folterpraktiken sowie die praktische Schulung in Waffen- und Spengstoffgebrauch. Nach einigen Tagen gesteht Santore und äußert seine wahre politische Überzeugung: Dass sozialistische und kommunistische Strömungen überall auf der Welt systemzersetzend seien und mit allen Mitteln bekämpft werden müssten. Dass seine Person dabei nur ein austauschbares Zahnrädchen des sich immer weiter ausbreitenden, verselbstständigenden imperialistischen Virus von US-Banken und -Großkonzernen ist, wird ihm dabei selbst offenbar. Die Regierung geht auf die Forderungen der Tupamaros nicht ein und Santore wird exekutiert. Noch am Tage seiner Beerdigung steigt bereits sein Nachfolger aus dem Flugzeug.

"État De Siège" bildet den vorläufigen Abschluss von Costa-Gavras' Trilogie um Machtmissbrauch in repressiven Staatssystemen nach seinem Meisterwerk "Z" und dem mir zu meine größten Bedauern noch unbekannten "L'Aveu", der sich mit der Lage in der damaligen ČSSR befasst (in diesem Zusammenhang möchte ich es einmal mehr als große, ja, peinliche Schande anprangern, dass bis dato keiner von Costa-Gavras' "frühen", bis 1988 entstandenen Filmen - mit Ausnahme des unpolitischen "Clair De Femme" - trotz oftmals bundesdeutscher Produktionsbeteiligung hierzulande auf DVD erhältlich ist). In "État De Siège" (dessen Titel korrekt wahlweise als "Belagerungszustand" oder "Belagerungsstaat" übersetzt werden kann) schwenkt Costa-Gavras nach Südamerika und berichtet von dem - wiederum authentischen - Fall des in Uruguay offiziell als "Sicherheitsberaters" tätigen Daniel Anthony Mitrione, der tatsächlich im Auftrag der CIA jen- und auch diesseits der nordamerikanischen Grenzen die regierenden, faschistischen Kräfte im Kampf gegen revolutionäre Strömungen unterstützte, indem er ihnen Sonderausbildungen in Auspür- und Foltermethoden ermöglichte. Mitrione wurde von den Tupamaros gekidnappt und als Druckmittel für einen möglichen Regierungswechsel infolge antizipierter staatlicher Hilflosigkeit eingesetzt. Jener Plan schlug fehl und führte zu Mitriones Hinrichtung.
Weitaus weniger als noch "Z", der sich immerhin in Costa-Gavras' Vaterland verortete, versteht sich "État De Siège" als eindeutiges Pamphlet. Er erliegt nicht der falschen, wenngleich naheliegenden Versuchung, Santore/Mitrione als gewissenloses Monster und Projektionsfläche kapitalistischer Einflussnahme darzustellen, sondern als Opfer seines Berufsstandes, seiner fehlausgeprägten Ansichten und vor allem der unglücklichen Umstände. Dies verdankt Costa-Gavras nicht zuletzt der wiederum nuancierten Darstellung Montands, der seine Figur als einen seiner Sache selbst kaum mehr sicheren Handlanger darstellt, welcher seinen nahenden, gewaltsamen Tod mehr oder weniger akzeptiert, da er die Denkweise seiner eigenen Seite nicht nur begreift, sondern sogar entscheidend mitgeprägt hat: Ein funktionierender Militärstaat darf nicht erpressbar sein, sondern muss über personelle Kollateralschäden hinwegsehen können. Dennoch lässt der Regisseur die aus "Z" bekannte Leidenschaft auch hierin nicht vermissen: Die von einem überparteilichen, von O.E. Hasse gespielten Journalisten vorgetragenen, essayistischen Gedanken erläutern vorzüglich den großen Komplex, um den es bei alldem letzten Endes und einzig und allein geht: Einflussnahme, Fremdbestimmung, Geld. Kurz: Macht.

10/10

Constantin Costa-Gavras Uruguay CIA Südamerika Kidnapping



Schöner Text. :)

Welche DVD-Fassung hast du denn gesehen? Kannst du sie empfehlen?
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Vielen Dank :)

Ich besitze von dem Film leider nur einen VHS-Rip mit deutschem Ton, wobei die (wenigen) herausgekürzten Sprachpassagen im frz. Original belassen sind.

Soweit ich weiß, gibt es sonst nur eine koreanische DVD, die lt. amazon auch englische subs mitbringt. Wie die qualitativ ausfällt, kann ich dir leider nicht sagen.
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Zitat

und dem mir zu meine größten Bedauern noch unbekannten "L'Aveu",

Kann ich sehr empfehlen ! :) Großartiger Eintrag ! Trifft auf beide Costa-Gavras zu. Z werde ich dann innerhalb der MHT auch mal besprechen :)
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