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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0





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TWIN PEAKS (David Lynch et. al./USA 1990/91)



"When we meet again, it won't be me."

Twin Peaks ~ USA 1990/91
Directed By: David Lynch et.al.

Als in der nahe der kanadischen Grenze Kleinstadt Twin Peaks, Washington die Leiche der allseits beliebten High-School-Schülerin Laura Palmer (Sheryl Lee) gefunden wird, erdolcht und verschnürt in einem Plastiksack, ist allseitiges, bleiernes Entsetzen die ebenso erwartungsgemäße wie natürliche Folge. Nicht bei restlos jedem Einwohner allerdings und schon gar nicht bei jenen, die Laura besser als nur gut kannten. Denn hinter der blendend-makellosen Fassade der hübschen jungen Frau irrlichterten Drogenkonsum, Promiskuität und psychische Störungen. Für den rasch herbeieilenden FBI-Agenten Dale Cooper (Kyle MacLachlan), einen formvollendeten Gentleman alter Schule, beginnt mit der Untersuchung des Mordfalls eine Odyssee, die durch traum- und halbweltliche Ereignisse führt, durch Rationalität, Freundschaft, Liebe und schließlich die Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit in der Person seines einst wahnsinnig gewordenen Partners Windom Earle (Kenneth Welsh).

"Twin Peaks" wurde zu Beginn der neunziger Jahre global unfassbar aggressiv gehypt und war folglich ein Musterbeispiel für das, was man hierzulande dereinst so gern als "Straßenfeger" zu bezeichnen pflegte. In der Tat eröffnete die nach der dreißigsten Folge (inklusive zweier Pilotfilme für jede der beiden Staffeln) abgesetzte Reihe weit über die bis dahin etablierten Sehgepflogenheiten des Allerweltspublikums eine völlig neue Perspektive auf die bis dato beruhigend antizipierbaren Dinge des Fernsehens. Nicht nur die brillante Form der Serie, die aus ihr, zumindest für die Dauer der ersten vierzehn Folgen, einen erzählzeitlich überdimensionierten Spielfilm machte, deren unterschiedliche RegisseurInnen ihr gleichfalls ihre individuellen Signaturen aufdrückten, sie aber dennoch wie aus "einem Guss" erscheinen ließen, war bis dahin beispiellos. Auch und insbesondere die kommerziell waghalsige Versuchsanordnung, David Lynch bei nahezu völliger kreativer Freiheit fürs seriell strukturierte Fernsehen arbeiten zu lassen, erscheint noch heute basal höchst irrational. Wer damals mit "Eraserhead" und "Blue Velvet" vertraut war, wusste vermutlich zumindest auf halbem Wege, worauf es sich einzulassen galt - die meisten weniger öffnungsbereiten Zuschauer werden nicht schlecht gestaunt haben. Mittlerweile sind Lynchs bevorzugte filmische Pfade und Topoi ebenso identifizierbar wie ausgetreten; eine Kategorisierung seiner auf den ersten Blick inhaltlich wirr erscheinenden Arbeiten unschwer zu vollziehen und, wohl auch für den Regisseur selbst, der seit acht Jahren keinen Langfilm mehr fürs Kino hergestellt hat, weithin obsolet bis uninteressant geworden. Damals jedoch bot "Twin Peaks" eine erzählerische Zäsur von höchsten Gnaden.
Willkommen in der Stadt, in der die hängenden Ampeln immer nur auf rot springen und nie auf grün, in der ein unergründlicher Wasserfall donnert und die uralten Fichten seit den Zeiten der Ureinwohner bedrohlich rauschen, in deren ruralen Randbezirken Dimensionstore lauern und in der das pure Böse allerorten willfährige Leiber und Wirte findet wie auch die Liebe selbst ihre Aspiranten. Und sogar für eine landesweite Renaissance von Kaffee und Cherry Pie taugte sie. Lynch war von Kleinstadtschnulzen wie "Peyton Place" höchst angetan, fand im Hochglanz der Fünfziger stets immense Inspiration und brachte somit in seinem Werk stets eine Vielzahl intertextueller Verweise unter. Davon kündet nicht zuletzt das casting der Serie, die, neben ihrem ohnehin atemberaubenden Ensemble, mit Altprominenz wie Richard Beymer, Russ Tamblyn, Piper Laurie oder Dan O'Herlihy prunkte und für Kleinstrollen sogar Royal Dano und Hank Worden verbuchen konnte. Selbstverständlich stieß jene antiquarische Naivität besonders deshalb auf Lynchs gesteigertes Interesse, weil ihre diametrale Kehrseite umso bösartiger hervorstach. Doch wie stets sollte man auch hier nicht den Fehler machen, naseweise Intensiv-Interpretationen vorzunehmen: Wenn Lynch seine Darsteller im roten Salon rückwärts agieren und sprechen lässt, dann tut er das vor allem deshalb, weil es eben ganz wunderhübsch befremdlich wirkt. "Twin Peaks" ist nämlich im besonderen Maße auch groteske Komödie mit manchmal liebenswert-komischen, manchmal regelrecht albern-verwachsenen Auswüchsen. Permanent werden Leute wahnsinnig, oder sind es längst schon - wobei der stark potenzierte Irrsinn sich im Regelfall auch wieder legt, nicht ganz spurlos freilich. Wie bei Ben Horne (Beymer), der zwischenzeitlich den Sezessionskrieg mit den Konföderierten als Sieger nachspielen muss, um eine persönliche Niederlage zu verwinden, oder bei Nadine Hurley (Wendy Robie), die nach einem gescheiterten Suizid-Versuch Superkräfte entwickelt und sich zwanzig Jahre jünger wähnt. Vermutlich ist auch Bob (Frank Silva), jener Dämon in Jeansjacke, bloß ein Symbol für das, was pathologische Obsession anzurichten pflegt: Ob Leland Palmer (Ray Wise - unglaublich gut) seine Tochter wirklich bloß unter dem Einfluss einer höllischen Entität vergewaltigt und ermordet hat, oder ob der Mann einfach ein perverser Sexualtäter mit gespaltener Persönlichkeit ist, bleibt letztlich der Interpretationsebene überlassen. Vermutlich ist es auch gut, dass man den stets so heldenhaft agierenden Agent Cooper, schwer schattiert von Twin Peaks und all seinen dubiosen Gestalten, mit seinem wahnsinnigen, versehrten Antlitz im Gedächtnis behält. Alles andere hätte bloß Nachhaltigkeit gekostet.

9/10

Kleinstadt FBI David Lynch Uli Edel James Foley Mark Frost Washington Dämon Groteske TV-Serie Serienmord Freundschaft Madness Lesli Linka Glatter Caleb Deschanel



"basal höchst irrational" ... :D
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Eben so :D
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Funxton

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