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Restekiste

Mediale Prokrastination

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Wasserstände und Exkurs: Kick-Ass (Matthew Vaughn, 2010)


Einfach damit das Ganze hier nicht komplett einschläft; ins Stocken ist meine Restesichtung ja offensichtlich ohnehin schon geraten. Doch man verzage nicht: Wenn ich irgendwann in den nächsten Wochen meinen Studienabschluss über's Knie gebrochen haben werde, fahre ich in den Urlaub und schaue danach elf vergessene Western am Stück. Das ist doch was.

In der letzten Zeit jedoch hat mich weniger die Arbeit vom Nachholschauen abgehalten als vielmehr die Erkenntnis, dass des abends manche Serienfolge doch schneller (und vor allem vollständiger, sprich: ohne einzuschlafen) geschaut ist, was die Sichtung von vier Folgen DEXTER und dreiundzwanzig Folgen SIMPSONS zum Ergebnis hatte. Dabei habe ich aber nichts Festhaltenswertes erlebt (Abgesehen davon, dass ich mich in unendlicher Nerdiness endlich dazu entschlossen habe, mein Coming-Out zu begehen und mich als Lisa-Fan zu brandmarken. Homer und Bart mein Arsch. Und zu DEXTER: Nervt.).

Doch genug der Wasserstände und hin zum zweiten Teil der Überschrift.

In seinen guten Momenten möchte ich glauben, in KICK-ASS eine höchst gelungene Superhelden-Satire gesehen zu haben (vielleich der SCREAM des Genres?), wobei ich nicht so recht festmachen kann, woran das liegt. Mag an den schlechten Momenten liegen, die manches überschatten und einem unangenehm planlos vor sich hin zitierenden Monstrum wie KILL BILL VOL. 1 (mit Abstand Tarantinos blödester Film btw) nahekommen. Allein Hit Girls Auftritt in der Lobby zur Musik aus FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR. Grausig.

Überhaupt die Musik: Hier und da werden der Thematik angemessen ein paar an die Soundtracks beispielsweise von Burtons BATMAN oder Donners SUPERMAN angelehnte Stücke eingestreut, mal übernimmt der Film Musik direkt (28 DAYS LATER, SUNSHINE (diesem grandiosen Soundtrack wird ein ähnliches Schicksal blühen wie einst REQUIEM FOR A DREAM. Der inflationäre Einsatz vor allem in Trailern kann als Vorausschau hierauf gewertet werden.)). Ich verstehe die Strategie nicht. Indirektes Zitat versus direktes Zitat? Und? Keine Frage: Ich schreibe derzeit eine Abschlussarbeit.

So oder so: KICK-ASS hat einige schöne Bilder, was mir als harmonischem Eierschaukler im Zweifel natürlich genügt. Ein gewisses Gefühl des Unverständnisses vermag ich dennoch nicht abzulegen.


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Exkurs: Vier Fäuste für ein Halleluja (Enzo Barboni, 1971)


Weil ich derzeit beim Abarbeiten meines Restestapels ein wenig schludere, aber dennoch - wie Kurzkommentar- und Abbruchthread belegen - den ein oder anderen Film sehe, sei hiermit die Restekisteregel eingeführt, hier ab und zu im Interesse eines vitalen Filmtagebuchs exkurshaft über andere Filme zu schreiben, die eben nicht seit jeher unangerührt in meinem Regal liegen, sondern unmittelbar angeschafft, im Kino gesehen oder im TV aufgechnappt wurden. In diesem Sinne widme ich mich heute der religiösen Meditationbsübung VIER FÄUTE FÜR EIN HALLELUJA.

Wirkt das sechstletzte Wort des vergangenen Satzes offenkundig wie ein dusseliger Kalauer, zumal im syntaktischen Verbund mit dem Titel eines SpencerHill, so wird bei näherer Betrachtung vielleicht doch ein unbeabsichtigter Schuh draus. Denn ich habe den Film heute insgesamt zum dritten, vollständig zum zweiten und in der alten Synchronisation sowie offenbar ungeschnitten (?) zum ersten Mal gesehen. Die Vorteile dieser Fassung liegen auf der Hand: Das Gesamtpaket wirkt weniger hektisch, lässt sich mehr Zeit und macht einen konsistenteren Eindruck, was nicht nur an den bei der späten Wiederaufführung fehleneden Szenen liegt, sondern in erster Linie an den hier fehlenden, unzählbaren Zwischenkommentaren des Duos, das insgesamt einfach wesentlich stiller daherkommt, was den Film zu einer sehr angenehmen Eierschaukelei werden lässt.

Ich würde jedoch keinesfalls der These zustimmen, der Film sei in der alten Synchronfassung wesentlich ernster. Ich halte ihn für (hypothetisch davon ausgehend, dass so etwas messbar ist) ebenso lustig wie in der neueren Fassung, jedoch auf andere Weise. Der Fokus liegt hier nicht auf den Wortwitzen der Synchronisation, sondern fast ausschließlich auf der Komik, die sich aus dem Bild heraus ergibt. Und hier ist VIER FÄUSTE FÜR EIN HALLELUJA wahrlich ein Meisterstück! Beispiel: Mir ist heute erst wirklich aufgefallen, dass die Bande vom Beginn des Films auch in der abschließenden Schlacht (die Musik währenddessen ist unbedingt mit der oben eingeworfenen 'Meditationsübung' zu verbinden) wieder auftaucht; die Art und Weise wie der durch Kopfnüsse untherapierbare Bandit immer wieder im Bild platziert wird, als absurd der Welt entrückter Beobachter des Spektakels, könnte man fast schon als prätentiös bezeichnen. Ein Wort, das ich im Zusammenhang mit einem SpencerHill nie und nimmer benutzen zu müssen geglaubt habe. Wie schön!

Um Missverständnissen vorzubeugen: All dies findet sich fast alles natürlich auch in der neueren Synchronisierung wieder, doch gefällt mir die Fokussierung der Komik in der alten Fassung vorläufig erstmal besser. Was in keinem Fall bedeuten soll, dass ich die neuere Fassung nicht mag, denn die hat doch ihre ganz eigenen Qualitäten, die ich, obwohl ich den Film erst vor zwei Jahren kennengelernt habe, also keineswegs mit ihm aufgewachsen bin, keinesfalls missen möchte.


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Blow-Up (Michelangelo Antonioni, 1966)


Endlich mal wieder ein schönes Warum. Ein früher höchst aktiver Filmforen-User hatte das tolle Plakatmotiv des Films eine zeitlang als Avatar. Das Bildchen gefiel mir, der Film wurde angeschafft, bereits sechs Jahre später habe ich ihn einmal angefangen, um bei einer Lehreinheit zu 'Las babas del diablo' auftrumpfen zu können, zog es jedoch vor, nach einer guten Viertelstunde ins Reich der Träume zu driften. Da fallen die weiteren 18 Monate, die es nun noch gebraucht hat, BLOW-UP einmal komplett zu sehen, kaum mehr ins Gewicht.

Da ich meine Restekisten-Sitzungen in erster Linie als Entspannungsübung und nicht Analysezirkel betreibe, versuche ich bei den meisten Filmen auf jeden analytischen Ansatz zu verzichten, zumal mir Werke wie BLOW-UP ohnehin regelmäßig vergegenwärtigen, dass ich von Film keine Ahnung habe, und mich stattdessen einfach am ästhetischen Genuss des Filmeschauens zu erfreuen. (Falls sich das als biliges Kaschieren meines punktuellen Unverständnisses von Antonionis Film liest: Bitte nicht weitersagen!)

Toll: Die wundervoll körperliche Fotosession zu Beginn, die den Akt des Fotografierens nicht zuletzt durch die derbe Sprache Hemmings' an die Grenze einer sexuellen Handlung treibt.

Toll: Die Fotojagd im Park. Die Stille, der Wind, das unheilvolle Klicken des Auslösers.

Toll: Die Wiederholung obiger Ereignisse über die Fotos im Studio. Der Wind kehrt über die Tonspur des Films zurück zu seinen Bildern. Die Fotos erzählen die Geschichte als Bildsequenz. Grenze zwischen Realität und ihrer Nachahmung aufgehoben. Auf die Spitze getrieben im abschließenden Tennisspiel, an dessen Ende sich Hemmings in seinem Verschwinden einem Ball anschließt, der im Gegensatz zu ihm aber niemals da war.

Hat mich gut erfreut.


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Shadow of a Doubt (Alfred Hitchcock, 1943)


Drei Heldentaten, alle noch locker vor Halbzeit des Films, die ein Scheitern von SHADOW OF A DOUBT unmöglich machen:

1.) Die minimalistische Exposition. Eine Vermieterin / ein Zimmermädchen betritt Onkel Charlies Zimmer und weist darauf hin, dass zwei Männer nach ihm gefragt hätten. Die Situation der Figur wird unmissverständlich klar und dies durch nur zwei oder drei kurze Sätze. Hat Hitchcock zwar wahrscheinlich nicht erfunden, fand ich aber ungeheuer Effektiv.

2.) Die selbe Szene: Der Bildvordergrund wird von Onkel Charlie ausgefüllt, der auf seinem Bett liegt. Sein Kopf endet exakt am rechten Bildrand. Kurze Zeit Später: Nichte Charlie füllt ebenfalls auf dem Bett liegend den Vordergrund des Bildes aus, aber mit dem Kopf zum linken Bildrand. Allein schon über die Bildkomposition verschmelzen die beiden Charlies zu einer Janusköpfigen Gestalt, das tiefe Band zwischen ihnen leuchtet unmittelbar ein. Ähnliche Konstruktionen ziehen sich durch den ganzen Film und hätten die Namensdopplung vielleicht sogar überflüssig gemacht.

3.) Unmittelbar nachdem Onkel Charlie Nichte Charlie die entwendeten Zeitungsseiten samt minimalistischem Wutausbruch aus der Hand gerissen hat, beginnt die nächste Szene mit einer markanten Diagonale. Die Ordnung im Haus ist gestört, das Böse hat die Familie auch in der Bildkomposition endgültig erreicht.

Kann ein Film, der schon in der ersten Hälfte mit derariger Virtuosität aufwartet, noch absaufen? Nein, gewiss nicht. Daher: Großartig! Und selbst wenn die obigen inszenatorischen Spitzfindigkeiten nicht wären: Allein der üble Kontrast zwischen der unbändigen Freude der Familie (vor allem der Mutter) über die Ankunft Charlies in ihrem Haus und der Abgründigkeit dessen Charakters sorgt für Schauer über Schauer. Ganz fantastisch. (Ich schwelge!)

Ich scheine mir die echten Highlights meines Restestapels für das letzte Drittel aufbewahrt zu haben. So darf es gern weiter- und zu Ende gehen!


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The Dreamers (Bernardo Bertolucci, 2003)


Zeit für eine von Ekel und Pein geprägte Selbstrückschau mit doch hoffnungsvollem Ende:

Eine frühere Version meiner selbst hätte angesichts von Isabelles ungeniertem Menstruieren in der Badewanne vor lauter Entsetzen nächtelang nicht mehr schlafen können, THE DREAMERS im Folgenden auf eben jene Szene reduziert, ihn als großes Pfui abgetan und wäre Gedanken an den Film im Idealfall für immer aus dem Weg gegangen. Genau das wäre mir, beziehungsweise meiner jüngeren Version, beispielsweise mit TAXI DRIVER einmal fast passiert!

Zum Glück jedoch ist dieser Teufel mittlerweile ausgetrieben, wenngleich er gelegentlich noch zur Stipvisite vorbeischaut, dabei aber nur selten Schaden anrichtet. Und deshalb sehe ich heute wohlwollend über solche Grausamkeiten hinweg und kann mich stattdessen nicht entscheiden, ob Bertolucci hier einen sehr hochtrabenden Nerdfilm gedreht hat oder schlicht ein wenig über das Erwachsenwerden sinniert. Im Idealfall einfach beides. Fest steht aber, dass mich der Bildrausch der letzten Minuten des Films, die die drei Hauptfiguren in einen unaufhaltsamen Straßenstrom jagen, sehr beeindruckt und mitgerissen haben. Spätestens beim alles zur Eskalation treibenden Cocktailwurf und den abschließenden Bildern von in Kriegslust vorpreschenden Polizisten leuchten in meinem Hirn die Sterne auf. Und allein dafür will ich mich schon zum Kniefall vor THE DREAMERS hinreißen lassen. Ganz ausgezeichnet.


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The Adventures of Robin Hood (Michael Curtiz/William Keighley, 1938)


Welch schöner, bunter und fröhlicher Film. Ich habe nichts auszusetzen. Die Farben, die Musik. Ein Traum. Der Film schließt mit einer sich schließenden Tür. Das mag ich. Die pergamentenen Zwischenspiele erinnern noch an den Stummfilm. Schon damals ein altmodisches Stilmittel? Juckt keinen, sieht toll aus. Die enthemmten Fressgelage zu Beginn und in der Mitte Wegbereiter für manche SpencerHill-Schote? Bestimmt! Ich habe keine Ahnung, weshalb ich diesen Film besitze, aber es erscheint mir gut so.


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The Thin Red Line (Terrence Malick, 1998)


Endlich mal gesehen. Bin weitestgehend weggeblasen und mir fällt dennoch (oder dementsprechend?) kaum etwas ein zu THE THIN RED LINE zu schreiben. Festhalten will ich aber in jedem Falle die Unaufdringlichkeit, mit der der Film zu Werke geht und das obwohl er auf ein gängiges Stilmittel setzt, das dieser Unaufdringlichkeit für gewöhnlich doch zuwider läuft, nämlich den Voice-Over-Kommentar, der die Gedanken der Soldaten immer wieder artikuliert und sich dabei in ein paar Fällen mit visuellen Erinnerungen, Vermutungen, Visionen der Heimat abwechselt. Ganz stark die kurze Sequenz, in der Jack den umkämpften Hügel hinaufkrabbelt, um herauszufinden, ob dort noch Gegner warten und schließlich einen gut gefüllten Bunker vorfindet: Auf dem Weg dorthin Erinnerung, Hoffnung und Nahtodvision in einem. Großartig! Dass eben dieser Jack später noch einen unheilvollen Brief erhalten soll, sitzt natürlich zusätzlich. Als nächstes die Natur. Ja, die Natur scheint das eigentliche Thema des Films zu sein oder vielmehr die Frage danach, wo Krieg, Böses und sonstiges Unheil seinen Platz in einer naürlichen Ordnung finden könnten. Wenn überhaupt, versteht sich. In diesem Zusammenhang ist mir einiges unklar geblieben, aber das macht nichts. Wie sollte dies einer solchen Urgewalt von Film etwas anhaben können?


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Fata Morgana (Werner Herzog, 1971)


Werner Herzog ist mein Lieblingsregisseur. Kein Faktum meiner Mediensozialisation liegt so deutlich offen wie dieses. Und doch brauche ich nun schon ziemlich lange Zeit, mich durch sein Werk zu pflügen und habe dabei noch längst nicht (nein, nichtmal annähernd) zumindest die Hälfte der Titel gesehen. Dies gilt insbesondere für die Schaffensphase ab 1987, aus der mir einzig LITTLE DIETER NEEDS TO FLY und MEIN LIEBSTER FEIND bekannt sind (und natürlich der tolle INCIDENT AT LOCH NESS, der aber nunmal nicht von Herzog stammt (vermutlich zumindest!)). Ändern wird sich das noch. Aber wie lange das noch dauert? Keine Ahnung. Vielleicht scheue ich die Sichtung der mir unbekannten Filme, weil ich Angst habe, dass ein jeder möglicher nächster Film die ultimative Gurke darstellen könnte, die meine hohe Meinung von Herzog zu beschädigen droht.

Einer der letzten Filme aus den Siebzigern, die ich noch nicht kannte, ist also FATA MORGANA. Vor Jahren mal angefangen, nach zehn Minuten abgebrochen (vermutlich aufgrund obiger Gurkenangst!), später die entsprechende Sitzung in einem Herzog-Seminar geschwänzt und dem Film in der Folge wohl bewusst immer wieder aus dem Weg gegangen. Das Konzept der Restekiste verbot allerdings ein weiteres Ausweichen und da stehe ich nun, FATA MORGANA von Anfang bis Ende durchgehalten und beruhigt.

Herzog auf der Suche nach eksatischer Wahrheit und dem unmöglichen Bild hier in Reinform. Keine Narration, nur Stimmungsbilder, die grob in drei Abteilungen angeordnet sind, untermalt von Texten aus Maya-Schöpfungsmythen. Die ekstatische Wahrheit und Unmöglichkeit des Bildes, von der Herzog insbesondere in den Audiokommentaren zu eigentlich allen seinen früheren Filmen gern und ausgiebig erzählt, scheint sich mir in seinem ästhetischen Anliegen mittlerweile zwar nicht mehr allzu stark vom literarischen Verfremdungseffekt nach Šklovskij (Namedropping) zu unterscheiden, doch schreckt mich dies nicht, sondern lädt mich vielmehr dazu ein, beim nächsten Herzog nebenbei in einem beliebigen Roman von Tolstoj zu blättern. Mal sehen, was passiert.


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The Shining / US-Fassung (Stanley Kubrick, 1980)


Die Begegnung mit einer bis dato unbekannten Schnittfassung eines Films kann einem Gespräch mit einem alten Freund gleichen, der einer abgegriffenen und hundertfach angehörten Anekdote unverhofft doch noch ein paar Takte hinzuzufügen hat - sie deshalb aber noch lange nicht interessanter macht. Sicher ist THE SHINING nicht der einzige Film, von dem ich mehrere Schnitte kenne, doch vielleicht neben TERMINATOR 2 der einzige, von dem ich ewig lange Jahre lang nur eine einzige kannte und das Kennenlernen etwaiger weiterer Versionen tatsächlich oben beschriebenem Treffen nahekommen könnte. Bei anderen Filmen (z.B. DAWN OF THE DEAD oder ALIENS) habe ich die unterschiedlichen Fassungen meist einigermaßen zeitnah kennengelernt, weshalb sich noch keine familiäre Beziehung zu dieser und jener aufbauen konnte. Ich hoffe, ich fasele nicht zu kryptisch daher und ein jeder Leser hat den Unterschied verstanden. Falls nicht, ist mir das selbstverständlich völlig egal.

Nach großkotzig-pathetischem Einstieg in den Text folg nun auch schon schonungsloses Relativieren, denn mit Gewissheit habe ich nicht alle Szenen und Dialogfetzen bemerkt, die aus der US-Fassung von THE SHINING zum Europastart verschwunden sind, und das, obwohl ich mich in diesem Film an sich recht gut auszukennen glaube. Appropos: Ich habe den Film heute zum ersten Mal auf einem Bildschirm gesehen, der eine größere Diagonale als geschätzte 16 Zoll aufweist. Soviel zum Auskennen. Als ich Kubricks 2001 mal auf zumindest annähernd so etwas wie einer Kinoleinwand gesehen hatte (Beamer im Hörsaal), hatte ich erst bemerkt, wie sehr die Bilder Kubricks dazu einladen, sich in ihnen umzusehen, den Film (Sakrileg!) auch mal zu pausieren und sich am Standbild zu ergötzen. Alles bis zur Benommenheit vollgestopft. Aber so schön. THE SHINING wäre also vermutlich - welche Schnittfassung auch immer - heute in jedem Fall ein neues Erlebnis gewesen.

Bereits zwei Absätze Meta-Gequatsche, auf zum Film. Gequatsche trifft es allerdings ganz gut. Die längeren Einschübe, die der Europaversion fehlen, machen THE SHINING in meinen Augen zu einem ungemein schwatzhaften Film, der Dinge in Halbsätzen erklärt, die ich mir in der Vergangenheit über zahllose Sitzungen verteilt erarbeiten musste. Und das gilt sicherlich nicht nur für mich. THE SHINING wirkt bei weitem nicht mehr so enigmatisch, so brutal auf seinen fast einzigen isolierten Handlungsort zugeschnitten. Der Terror wirkt noch immer, doch bei weitem nicht mehr so intensiv. Ich kann da nichtmal so recht mit dem Finger drauf zeigen, doch denke ich, dass THE SHINING in dieser Form der doch etwas regelmäßigere Aufbruch des Handlungsraums nicht gut tut. Vom unnötigen Gruselkabinett zum Schluss fange ich lieber gar nicht erst an.

Klar, dass ich mich in dieser Sichtung hauptsächlich mit einem Fassungsvergleich im Geiste befasst habe (Eurofassung siegt um Längen) und die "Essenz" des Films vielleicht ein wenig an mir vorbeigeflogen ist. Dennoch ist mir heute wieder aufgefallen, wieviel Zeit sich dieses Monstrum nimmt, die Räumlichkeiten des Hotels vorzustellen. Und dies mit einer subtilen Dringlichkeit, die einem "Alles ist wichtig!" entgegenbrüllen möchte, ohne dabei aber zu laut zu werden. Ich höre gern hin.


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Torn Curtain (Alfred Hitchcock, 1966)


Schlimme Geständnisse zum Auftakt: Erstens habe ich noch nie einen Film mit Paul Newman gesehen und zweitens habe ich diesen Mangel mit der Sichtung des langweiligsten Hitchcocks geheilt, der mir bis dato untergekommen ist. Was in diesem Fall aber nichts heißen soll, da mir TORN CURTAIN dennoch ausnehmend gut gefallen hat, wenn seine Bilder für mich auch nicht leicht zu entschlüsseln sind. Einige Male erinnert der Film mit seinen statischen Frontalaufnahmen an abgefilmtes Theater, insbesondere der Streit zwischen Armstrong und seiner Verlobten im deutschdemokratischen Aufenthaltsraum nach der Ankunft in Berlin und die spätere Enthüllungsszene zwischen den beiden auf'm Hügel unter der fassungslosen Aufsicht Günter Stracks. Da nun der Showdown im Rahmen einer Ballettaufführung nebst höchst theatraler Umgebung eingeleitet wird, scheint das formale Programm in sich abgeschlossen, wenn es auch von mir bisher nicht verstanden wurde. Weitere schöne Szenen: 1.) Die Hetzjagd zwischen Menschenschmuggel- und Linienbus, die so fein als gediegene Verfolgungsjagd wider Willen (zumindest seitens des Verfolgers) inszeniert ist. 2.) Der Dreikampf mit Gromek auf der einen sowie Armstrong und einer Person, die eigentlich nur die böse Hexe aus Hänsel und Gretel gewesen sein kann, auf der anderen Seite. Ich würde das dort Geschehene gern als unbehagliche Körperlichkeit bezeichnen. Aber machte mich das nicht zur verklärten Duckmaus?