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Short Cuts





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3x Bergman Part 4



Såsom i en spegel (Wie in einem Spiegel)


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Karin (Harriet Andersson) leidet an einer psychischen Krankheit, die laut ihrem Mann, dem Arzt Martin (Max von Sydow), unheilbar sei. Zusammen mit ihrem jugendlichen Bruder Minus (im deutschen Peter) verbringen sie einige Zeit auf einer abgelegenen Insel in Schweden. Dazu kommt ihr Vater David, der Schriftsteller (Gunnar Björnstrand), der gerade aus der Schweiz zurückgekehrt ist. Während Karin ihren Bruder neckt, der auch gerne Schriftsteller werden möchte, befindet ihr Vater sich in einer Sinneskrise. In der Nacht liest Karin Tagebucheinträge ihres Vaters, in denen er notiert hat, dass er die Krankheit seiner Tochter als Inspirationsquelle genutzt hat. Sie erzählt dies Martin, der David am nächsten Tag während einer Bootsfahrt damit konfrontiert. Daraufhin erzählt David von seiner Schaffenskrise und dass er in der Schweiz Selbstmord begehen wollte. Karins Krankheit nimmt wieder zu. Sie hat Visionen davon, dass ein Gott sie in Form einer Spinne heimsuchen wird. Nachmittags steigt sie mit Minus in ein Schiffswrack, wo sie einen Anfall bekommt. Sie renn zurück ins Haus auf den Dachboden, wo ihr Anfall schlimmer wird. Martin und David rufen den Notarzt, sie bekommt eine Beruhigungsspritze und wird per Hubschrauber in die Klinik gebracht. Minus und David bleiben im Haus auf der Insel und sprechen zum ersten Mal richtig miteinander. Der Film endet mit den Worten von Minus "Papa hat mit mir gesprochen."


Man kann schon sagen, dass man hier in eine neue Phase in Bergmans Schaffen eintritt. Nicht nur, das es der erste Fårö Insel Film ist, es ist auch der erste Film bei dem die Zusammenarbeit mit Sven Nykvist so richtig ins Auge sticht. Dazu kommt, das "Wie in einem Spiegel" von der Reziption nachträglich als erster Teil einer Trilogie angesehen wurde, der "Trilogie des Glaubens". Was von Bergman allerdings nie so angelegt war auch wenn er die Zusammenhänge der Themen bestätigt hat.

Auffällig ist, das hier eine neue Art von Ernsthaftigkeit Einzug hält. Der Film ist todernst, kammerspielartig, entschlackt, schwer und bedrückend. Dabei beginnt alles noch recht ausgelassen mit einem Abendessen an einem warmen Sommerabend. Doch liegt etwas unausgesprochenes, etwas einschränkendes in dieser Atmosphäre. Die Art wie die Kinder ihren Vater sehen. Nach kurzer Zeit sieht man den Vater ins Haus gehen, er steht am Fenster und weint. Selbst bei dem Theaterstück, welches die Kinder aufführen, drückt etwas auf die Stimmung des eigentlich schönen Abends.
Das Verhältnis des Vaters zu seinen Kindern ist geprägt von einer gewissen Sprachlosigkeit und Verlassenheit. Es findet keine Kommunikation, kein wirkliches Gespräch statt. Aber und das ist ganz Bergmantypisch, es gibt die Sehnsucht des Vaters nach seinen Kindern ebenso wie umgekehrt die der Kinder nach ihrem Vater. Er erzählt seinem Schwiegersohn von einer schöpferischen Krise, kann nicht leugnen, dass er ein Interesse daran hat seine Tochter zu beobachten und sich ihre Krankheit für sein literarisches Werk zu Nutzen zu machen. Er lebt von ihrer Krankheit. Sein Schwiegersohn legt ihm deshalb Gefühlskälte nahe. Einerseits trifft dies zu, anderseits ist es wiederum auch das Wesen des Künstlers, des Schriftstellers zu beobachten. Er lebt nicht mit den Menschen, die ihn umgeben sondern ist in der Rolle des Beobachters. Trotzdem sagt der Vater, "liebe ich."

Das wäre dann auch ein nächstes oft wiederkehrendes Bergmanthema : "Die Verordnung des Künstlers"

Da ist der Künstler und seine Opfer, Menschen, die beobachtet werden und unter dieser Distanz leiden.
Diese Distanz ist auch filmisch immer wieder in Szene gesetzt. Ganz exemplarisch in der Endszene wo die Tochter ihrem Wahn verfällt und auf dem Dachboden einen Anfall erleidet. Der Vater betritt den Raum nicht sondern steht die ganze Zeit in der Tür und beobachtet. Nykvist filmt ihn teilweise wie einen Schatten, während sie in ihrem Wahn versinkt.

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Gleichzeitig macht der Vater aber auch die Erfahrung, das er so als Künstler nicht leben kann und will. Er erkennt die Liebe als Kraft, die ihm Leben schenkt, als Kraft sich zu ändern. Kann dies aber nicht aus eigenem Antrieb.

Die Tochter lebt in der Erwartung, dass sich ihr ein Gott offenbart und als er sich offenbart ist es nicht der Gott, den sie sich wünscht sondern eine Spinne, die in sie hineinkriechen will. Ihre Krankheit wird nie wirklich greifbar. Wir hören nur von ihr was sie sieht und was sie erlebt. Stimmungswechsel, Anklänge von schizophrenem Verhalten. Sie sagt "sie hält es nicht mehr aus in zwei Welten zu leben. Wir erfahren, das ihre Mutter anderselben Krankheit gestorben ist. Sie lebt ein Leben im Endstadium. Am Ende geht sie freiwillig ins Krankenhaus. Sie akzeptiert. Sie will sich ihrem Wahn nicht mehr hingeben.
Max von Sydow als ihr Ehemann und Arzt ist im Grunde die kälteste Figur, da er die reine Wissenschaft verkörpert und keine wirkliche Stütze und Hilfe für sie ist.
Ganz im Gegenteil zu dem Sohn, der in seiner pubertären Phase voller Zwiespälte ganz deutlich leidet und damit durch diesen Zwiespalt seiner Schwester am nächsten ist. Er reagiert auf ihre Wahnvorstellungen am menschlichsten und fungiert auch als Schlüsselfigur. Der Pendler zwischen den Welten und der Mittler zwischen Vater und Schwester. Sein Verhältnis zu ihr ist auch geprägt von einer sexuellen Spannung und Anziehung. Anspielungen tauchen auf als sie ihn neckt wegen eines Sexheftchens und die Szene im Bootswrack könnte auch als Beischlaf zwischen den beiden gedeutet werden.
Am Ende gibt es eine Annäherung zwischen Vater und Sohn, die vielleicht auch durch ihre Krankheit der Schwester ausgelöst wurde. Der Sohn mit dem er spricht wendet sich in seiner Not an den Vater und dieser öffnet sich ihm. Der Sohn erkennt das und sagt "Papa hat mit mir gesprochen."

Der Vater offenbart hier seinen Glauben indem er von Göttlicher Liebe spricht. Gott ist die Liebe. Die Liebe, die er erreichen möchte setzt er mit Gott gleich. Bei seiner Tochter erscheint dieser Gott auch in ihren Wahnvorstellungen doch entpuppt er sich hier als purer Schrecken und so wirkt wie in einem Spiegel für ihn als Vater die Krankheit seiner Tochter. Er findet sich in ihr wieder. Die Krankheit wirkt wie eine Rückprojektion auf ihn bezogen. Oder umgekehrt.

Auch wenn "Wie in einem Spiegel" religiöse Bezüge hat bzw, dies hier verwoben ist und mit der Musik von Bach noch unterstrichen wird, so ist es nicht das Hauptthema sondern das Thema des Künstlers ist es.

Wie oben schon angedeutet kündigt sich hier etwas neues an und zwar die totale Beschränkung auf einen Schauplatz, einen kurzen Zeitraum und die Konzentration auf eine Handvoll Menschen, die immer mehr wie im Exil leben. Sven Nykvists Stil ist hier schon formvollendet und unterscheidet sich um einiges von Gunnar Fischers Expressionismus. Hier sind die extrem harten s/w Kontraste, die Lichtfokussierung auf die Gesichter sowie die langen Kamerafahrten, die eine sehr intensive Atmosphäre kreieren.
Man kann hier gerade mit dem Wissen der zwei nachfolgenden Filme von einer äußerst psychologischen Fotografie und Lichtsetzung sprechen. Besonders was letzteres angeht, so wird dies im folgenden Film wahrlich meisterlich.

8/10


Nattvardsgästerna (Licht im Winter)


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In einer schwedischen Kleinstadt hält Pastor Tomas Ericsson (Gunnar Björnstrand) an einem Sonntag im Winter den Gottesdienst. Nach dem Abendmahl wendet sich Karin Persson (Gunnel Lindblom) an den Pastor und bittet ihn ein seelsorgerisches Gespräch mit ihrem Mann Jonas (Max von Sydow) zu führen. Jonas befindet sich seit langem in einer Art Depression, die u.a. Ängste vor der atomaren Rüstung Chinas beinhaltet. Er teilt ihr mit, dass er für ein späteres Gespräch bereit wäre. Darauf fragt ihn seine ehemalige Geliebte, die Lehrerin Märta Lundberg (Ingrid Thulin) ob er den Brief gelesen habe, den sie ihm gegeben hat. In dem Brief bittet sie ihn doch zu ihr zurückzukommen obwohl er sie missachten würde. Als er den Brief liest wird dieser als von Märta gesprochener Monolog direkt in die Kamera vorgetragen. Jonas Persson sucht Tomas nun auf und erzählt ihm von seinen Ängsten. Dieser hat in seiner Rolle als Pastor allerdings keine Lösungsvorschläge und Halt zu bieten, statt Trost zu spenden, bricht es plötzlich aus ihm heraus, dass Gott nicht mehr zu ihm sprechen würde. Gott habe ihn verlassen. Wenige Minuten später erfahren Tomas und Märta, dass sich Persson draußen erschossen hat. Nachdem sie zum Unfallort gefahren sind versorgt Märta Tomas, der von Fieber geplagt wird, in ihrer Schule mit Medizin. Es kommt zu einer Hasstirade ihr Gegenüber, in der er ihr all seine Verachtung entgegenbringt und sagt, dass er nur seine verstorbene Frau wirklich geliebt habe. Danach fahren sie zu Perssons Frau um die Nachricht vom Selbstmord ihres Mannes zu überbringen. Abends findet eine Gottesdienst in der Nachbargemeinde statt. Doch außer dem Organisten Fredrik (Olof Thunberg), Märta und dem Messdiener Algot (Allan Edwall) bleibt die Kirche leer. Algot spricht Tomas auf die Leiden Jesu Christi an. Er wundere sich warum die Leiden nur in den physischen Qualen der Kreuzigung gesehen werden. Die seelischen Qualen seien doch viel schwerwiegender. Obwohl nur die drei anwesend sind hält Tomas den Gottesdienst ab.


Licht im Winter ist der wohl bedrückendste und deprimierendste Film, den wir in unserer Bergman Reihe gesehen haben. Der Film ist die totale Konzentration auf die Innenräume der Kirche, das Eingeschlossensein mit Gunnar Björnstrand, seinen Dialogen und seinem Hadern mit Gott. Wir sind hier total ausgeliefert.

Das Personal besteht hier aus dem zynisch, ironischen Organisten, dem bescheidenen und verschrobenen, leicht rührenden Hilfsküsters, der frustrierten, jungfräulichen, verzweifelten Lehrerin, einem Ehepaar wo der Mann selbstmordgefährdet ist und sich dann auch noch umbringt und wir haben den Pastor, der nicht mehr glauben kann, weil keine Liebe mehr in ihm steckt sondern nur noch Leere. Die einzige lebendige Person könnte man in der Gestalt des Hilfsküsters ausmachen, die einen gewissen Mut noch an den Tag bringt. Ansonsten herscht die totale Freud und Lieblosigkeit.
Die Figur, die sich aus einer Mischung aus Hilflosigkeit, Verzweiflung, Resignation und Sehnsucht versucht sich zu wehren, ausbrechen will, ist die Lehrerin, die aber letztendlich keine Möglichkeit hat, da sie so in sich eingeschlossen ist. In dem gnadenlosen Gespräch zwischen ihr und dem Pastor zeigt sie sich von einer totalen Unterwürfigkeit und hat ihm auch nichts entgegenzusetzen, weil es nichts entgegenzusetzen gibt in dieser freudlosen Welt.

Liebe ist Glaube. Glaube ist Liebe

In der Figur des Pastors sehen wir jemanden, der daran zweifelt, dem seine Liebe genommen wurde und dadurch sein Glauben. Die Liebe zu seiner Frau und damit zu Gott schält sich erst innerhalb des Films heraus, erst die Briefe dann das Gespräch mit der Lehrerin und am Ende erfahren wir vom Organisten, wie sehr er seine verstorbene Frau geliebt hat.

Gott, warum hast Du mich verlassen ?

Das ganze Dilemma offenbart sich in der ersten Schlüsselszene des Films in dem seelsorgerischen Gespräch mit Persson. Er erzählt von seinem Verhältnis zu Gott und seinen Erlebnissen im spanischen Bürgerkrieg als er sich seinen eigenen Gott kreiert hat und in erster Linie nur noch zu sich selbst gebetet hat. "Ich konnte nicht mehr geben, ich habe nur noch genommen. Gott war nicht da. Gott schwieg."
In dem Gespräch gibt es keine Hinwendung mit Gott an den Menschen sondern ein Verzweifelter wendet sich an den Anderen.
Als ihm das ganze Ausmaß seiner inneren Leere, Verzweiflung und Verbittertheit bewußt wird bricht es aus ihm heraus :"Gott, warum hast Du mich verlassen ?" Von außen fällt schneidendes, gleißendes Licht auf sein Gesicht (siehe Screenshot oben).
Die Situation des Pastors wird am Ende noch einmal durch den Küster auf den Punkt gebracht indem er sagt, wie schrecklich es für Jesus gewesen sein muß als er verlassen wurde und all seine Jünger sich gegen ihn wandten. Im Angesicht seines Todes sich von Gott verlassen fühlte und damit all das was er gelehrt hat : Die Liebe und Gegenwart Gottes nicht wahr ist.

Das Schweigen Gottes

Es ist eine Welt in der die Menschen hilflos sind. Es ist keine gottlose Welt aber eine in der Gott schweigt. Eine Welt, die sich auch in den Ängsten des Persson spiegelt, in der sich die Menschen jederzeit per Knopfdruck in die Luft sprengen können. Die Verzweiflung vor der Sinnlosigkeit des Seins hat hier die Oberhand.

Wie schon bei "Wie in einem Spiegel" vertieft sich hier der neue fotografische Stil durch Nykvist. Klare Strukturen und schneidendes Licht prägen diese Bilder. Das Licht wird hier als erzählerisches und vor allem psychologisches Stilmittel benutzt.
Gunnar Björnstrands Leistung ist unglaublich. Ist er schon immer ein charismatischer Charakterdarsteller gewesen, so spielt er hier vollkommen zur Höchstform auf. Insgesamt ein äußerst bedrückendes Erlebnis, welches neben "Fanny und Alexander" auch autobiografisch eine große Rolle spielt, da Bergmans Vater Pastor gewesen ist.

9/10


Tystnaden (Das Schweigen)


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Die Übersetzerin Ester (Ingrid Thulin) ist mit ihrer Schwester Anna (Gunnel Lindblom) und deren kleinem Sohn Johan (Jörgen Lindstrom) mit dem Zug auf der Heimreise nach Schweden. Sie machen Halt in einem süd-ost-europäischen Land, welches nicht näher benannt wird und dessen Sprache sie nicht verstehen. Sie mieten sich ein Zimmer in einem Hotel in dem sie mit Ausnahme einer Artisten Gruppe von Lilliputanern die einzigen zu sein scheinen. Während Ester, die sehr krank ist, im Hotel bleibt und sich die Zeit mit Arbeit und Alkohol vertreibt, erkundet Anna die Stadt. In einem Café bemerkt sie einen Kellner (Birger Malmsten). Nachdem sie in einem Varieté zusieht wie ein Paar öffentlich Sex hat, geht sie zurück ins Café um sich mit dem Kellner zu treffen. Später wird sie Ester sagen, dass sie mit dem Mann hemmungslosen Sex in einer Kirche hatte und sich wieder mit ihm treffen wird. Derweil wandert Johan durch das leere Hotel und macht Bekanntschaft mit der Artistengruppe sowie mit dem merkwürdigen Portier (Håkan Jahnberg), der seine Uhr immer neu aufzieht und Johan Fotos von Toten zeigt. Er sieht auch wie seine Mutter sich mit dem Kellner in einem Zimmer einschließt und erzählt es Ester, die daraufhin verzweifelt an der Tür klopft und zusammenbricht. Es kommt zum erbitterten Streit zwischen den Schwestern. Ester sagt Anna, dass sie sie liebe, doch Anna will davon nichts wissen und wirft ihr ihre verachtenden Launen vor. Während Ester am nächsten Morgen einen totalen Kollaps erleidet, reist Anna mit Johan ab. Auf der Fahrt liest Johan einen Brief, indem Ester ihm einige Worte der fremden Sprache übersetzt hat. Anna will davon nichts wissen.


Ziemlich vertrackt, surreal und mehrdeutig ist dieser Film, der damals im Nachhinein und im Zusammenhang mit den Vorgängerfilmen als religiöser FIlm und als Abschluss einer Trilogie rezipiert wurde.
"Das Schweigen" ist ein hermetischer Film von ungeheurer Intensität, der leicht surrealistisch, traumähnlich ist und auch einer gewissen Traumlogik folgt. Das was wir sehen, gleicht eher einem Zustand, als ein an einer narrativen Linie interessierter Film.

Man erfährt hier nichts. Das Motiv einer tickenden Uhr zieht sich permanent durch den Film. Ein richtiges Zeitgefühl gibt es nicht. Wir wissen nicht in was für einem Land sich die Schwestern befinden, es könnte Süd-Ost Europa sein und in die Beziehung der beiden Schwestern zueinander erhalten wir auch keine wirklichen Einblicke. Erst am Ende als der Film fast kollabiert.
Was wir sehen ist verfilmte Qual.

Da ist Anna und ihre Gier nach LIebe und Lebendigkeit, die sie im Körperlichen sucht. Sie verschließt sich und versteckt sich bewußt hinter einer Fassade. Ihre Gier erfüllt sich jedoch nicht, da der Sex eine einzige Qual ist.
Ester ist die rationale, intelektuelle, kontrollierende. Sie ist unfähig sich hinzugeben. Hass und Ekel empfindet sie gegenüber Körperlichkeit insgesamt und sich selbst.
Zwischen den beiden gibt es keine Kommunikation sondern nur Leere. Anna blockt jeden Versuch von Ester durch ihre fassadenhafte Abwehr ab. Sie fühlt sich von Ester bedroht, die versucht durch ihre Liebe, die sie Anna gegenüber ausspricht zu kontrollieren und zu besitzen. Esters Krankheit ist absoluter Ausdruck ihrer inneren Qual und Zerrissenheit. Mit der Tendenz zur Selbstzerstörung durch Alkoholkonsum. Sie will leiden.

Ein fremdes Land mit einer fremden Sprache, die sie nicht verstehen, in einem leeren Haus und einer latenten Bedrohung von Außen durch Panzerfahrzeuge, die am Anfang und in der Mitte zu sehen sind, verstärken diese Leere und Kommunikationslosigkeit.

Die Figur des Jungen sollte nicht unerwähnt bleiben. Er ist der Mittler zwischen den beiden Schwestern. Durch seine Augen lernen wir das Innenleben des Hotels kennenmit seinen surrealistischen Elementen. Sei es die Artistentruppe oder der Portier, der ihm Fotos von Toten zeigt.

Wenn man das alles zusammennimmt und sich fragt, was ist das eigentlich für eine Welt, dann kann man schon darauf kommen, dass es eine inhumane, sinnentleerte Welt ist. Eine Welt ohne Gott, ohne Glauben, ohne Liebe. Man kann es so rezipieren, muss man aber nicht. Interessant für die religiöse Deutung ist die Szene in der im Hotelzimmer ein Stück von Bach im Radio gespielt wird und alle im Raum gleich positiv darauf reagieren.

Bei all der Analyse übersieht man oftmals was für ein Austoben von filmischen Möglichkeiten hier stattfand. Licht, Winkel, Perspektiven, Choreographie, Nahaufnahmen bilden hier eine konzentrierte Atmosphäre aus Licht und Schatten.
Bekanntheitsgrad erlangte der Film vor allem durch den weltweiten Skandal den er auslöste. Durch diesen Skandal wurde es zu Bergmans größtem finanziellen Erfolg. Allein in Deutschland sahen ihn in den ersten Monaten 10 Millionen Menschen. Der bis dahin erfolgreichste Film in der Bundesrepublik, der letzten 10 Jahre. Das muß man sich mal vorstellen ! Die sind natürlich alle wegen Gunnel Lindbloms Titten, Ingrid Thulins Masturbationsszene und einem korpulierenden Paar, welches die Lindblom voyeuristisch beobachtet, ins Kino gerannt und bekamen dieses vertrackt, verstörende Werk vorgesetzt. Gut. Auch wenn man aus heutiger Sicht darüber schmunzeln kann, weil man auch fast nichts sieht bei den einschlägigen Szenen, war das für 1963 wohl schon ziemlich freizügig. Die Nouvelle Vague war gerade am Kommen und die sexuelle Revolution noch nicht eingeschlagen, da wird ein Bergman Film auch mal im Bundestag diskuttiert.
Der Film wurde später übrigens mit einem Vorspann versehen, der ihn in eine Relation mit den zwei Vorgängerfilmen setzt und ihn als religiöses Kunstwerk einstuft.
Ob man das so sehen möchte oder nicht, bleibt jedem natürlich selbst überlassen. Ein intensives Seherlebnis ist dieser Film in jeder Beziehung.

9/10

Ingmar Bergman Sven Nykvist Trilogie Religion Glaube Krankheit Wahn Kirche Pastor Zensur Skandal Lichtquelle Nahaufnahmen Depression Sex



Gute Arbeit, starke Texte.

Kleine Anmerkung / Klugscheißerei: Die Beat Ära war 1963 sehr wohl schon geboren. Denn die leitet sich nicht, wie man leicht vermuten könnte, vom Erfolg der Beatles, sondern von der Beat Poetry derer zu Kerouac, Burroughs und Ginsberg ab. Volkstümlich wurden die unrasierten Studenten, die sowas lasen, Beatniks genannt. Und die haben sich sicher auch Bergman-Filme angeguckt. Neben all den Voyeuren.
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Ich schließe mich meinem Vorredner an: schöne, umfassende Texte. Interessanterweise steht bei mir auch in Kürze Tystnaden auf dem Programm, ich weiß noch nicht genau, wann ich ihn sehen werde, aber bestimmt noch diese Woche. Mal sehen, ob ich mich dann zu einem eigenen Text aufraffen kann.
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Danke & Danke :)

@hoolio : Vollkommen korrekte Klugscheißerei ;)
Deshalb werde ich das gleich mal korrigieren bzw. löschen. Insgesamt wollte ich damit zum Ausdruck bringen, dass das was in Tystnaden gezeigt wird, schon recht freizügig gewesen ist, sofern man es im Kontext der damaligen zeit sieht.

@Settembrini : Mach das mal ! Deine Texte sind ja auch immer sehr ausführlich. Interessant zu sehen was ich bzw. mein Mitstreiter und ich, noch übersehen haben ! Werde dann entsprechend kommentieren :)
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