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Untergetaucht im Spinnwebwald





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Magical History Tour: Kiss Me Deadly / Rattennest (Robert Aldrich, 1955)



Mike Hammer, Privatdetektiv, versucht nach einem Anschlag auf sein Leben das Mysterium um Christina zu lösen, eine junge Frau, die ihm - aus dem Irrenhaus flüchted - nachts vor den Wagen gerannt war. Bei seinen Nachforschungen stößt er auf ein Rattennest an Gangstern, die es ebenfalls auf Christinas Vermächtnis abgesehen haben. Und keiner weiß so richtig, was das überhaupt ist. Aber eines ist klar: es ist ist ungemein wertvoll.

Mickey Spillane, von dem die Story stammt, ist einer jener berühmten amerikanischen Pulp Crime - Writer ab Ende der 40er, die ihre Hard Boiled-Helden als Sympathiefiguren dem Untergang weihen. Mike Hammer ist ein Raubein, das zuschlägt, schreit, Leute fertig macht, säuft, herumhurt und im Zweifel auch Gegner erschießt. Kein Wunder hasst ihn der Polizeikommandant. Die Pulp Novels gingen in die Geschichte ein für ihren sensationalistischen Inhalt, für die sexuelle Explizitheit und ihre extreme Gewalt. Ein Autor wie James Ellroy steht ganz klar in dieser Nachfolge. Die Titel der Mike Hammer-Serie haben denn auch sprechende Titel: I, THE JURY, MY GUN IS QUICK, THE BIG KILL, oder eben: KISS ME DEADLY.

Während die drei vorherigen Mike Hammer-Verfilmungen ziemlich gerdeaus waren, kann man dies beim besten Willen von KISS ME DEADLY nicht behaupten. Der Plot mäandert - manchmal geradezu verwirrend - durch den Film, Anschlüsse können verpasst, Handlungsfolgen übersehen werden. Ereignisse, die übrigens sich gut zusammenfügen, bei mehrfacher Sichtung (dies meine dritte). Die durchaus zähe Ermittlungsphase wird dabei immer wieder von Actionhandlung unterbrochen, die dann gegen Ende zunimmt, wenn sich die Auflösung langsam zuspitzt. Dennoch ist KISS ME DEADLY meines Erachtens kein einfacher Film "für zwischendurch".

Neben der komplexen Handlung gibt es aber vor allem die tolle Kamerführung von Ernest Laszlo zu bewundern, die an den Film Noir erinnert. KISS ME DEADLY ist schwarzweiß, spielt häufig nachts, in seedy Bars, mit Jazzmusik und whiskygeschwängerter Atmosphäre. Die Barmänner fragen in diesen Filmen nie nach den Sorgen der Gäste. Da wird einfach die Flasche abgestellt. Wer sich in Robert Aldrichs Werk und Biographie besser auskennt als ich, wird vermutlich auch die Frage beantworten können, warum er nach seinen beiden erfolgreichen Technicolor-Filmen (APACHE und VERA CRUZ) nun ausgerechnet so einen Low Budget-Film gedreht hat. On Location, übrigens. Das sieht man ihm an, und macht auch ein Stück weit seinen Charme aus. Seine Stylishness und seine immer wieder auftauchenden literarischen Verweise, gepaart mit der Genre-Gangstergeschichte, müssen auch die Elemente gewesen sein, die die europäische Nouvelle Vague an Aldrich interessiert haben muss. Es ist ein Film, von dem viele Verzweigungen abgehen, und der wohl bis heute wirkt... vermutlich bis hin zu Quentin Tarantino.

Genrefilm Gangster Film Noir Hard Boiled Pulp



Tja, nun, Robert Aldrich wird gerne als Regisseur gesehen, den man übersehen hat. Das ist bullshit. Tatsächlich hängt das eher damit zusammen, dass Aldrichs Werk so komplex und vielschichtig ist, dass die Sender dieser Aussage sein Werk nicht erfassen und deswegen glauben, Aldrich sei ein übersehener Regisseur. Tatsächlich wird kaum ein Regisseur, eben aufgrund seines komplexen Werkes, so häufig als einer der bedeutendsten Regisseure Hollywoods benannt wie Aldrich. Andrew Sarris hat ihn sogar in seine Kategorie "Knapp am Paradies vorbei" eingeordnet, wo nur die absoluten Meister-Regisseure reinkamen, die eben leider gewisse Unebenheiten in ihrem Schaffen haben.

Die hat Aldrich in jedem Fall, weil er das System für sich zu nutzen wusste, wie kaum ein zweiter. Weiterhin gehört er zu den wichtigen Beteiligten der "angry men", die in den 1950ern aufkamen. Dazu gehören Regisseure wie Don Siegel, Sam Fuller, Phil Karlsson, Sam Peckinpah, John Sturges und eben Aldrich. Aldrich war von Anfang an ein Feind des Hollywood-Systems und wollte - anders als Ur-Meister wie Walsh, Ford, Vidor, King oder Hawks - nicht nach seinen Regeln spielen und diese unterwandern, sondern sie zerstören.

RATTENNEST war der erste Film, bei dem Aldrich die völlige Exekutive hatte und das bedeutete, die WIRKLICH völlige Exekutive. In einer Form, wie es damals absolut ungewöhnlich war. Deswegen hat er sich ja an die Verfilmung der Spillane-Geschichten gehalten. Sie waren der letzte Dreck und er nahm, nach eigener Aussage, den Titel und warf den Inhalt weg. Alles, was Mike Hammer verkörperte und was Spillane an seiner Figur völlig Ernst meinte - den Machismo, den Chauvinismus, die stumpfe Brutalität, die ekelerregende Coolness - führt Aldrich in die Demontage. Der film noir, der vorgab einen Anti-Helden zu schaffen und tatsächlich nur ein anderes Hollywood-Heldenbild durch die Hintertür etablierte widerte Aldrich derart an, dass er in Mike Hammer den Inbegriff der Zuspitzung einer Widerwärtigkeit sah, die er in seinem Film aufs Perfideste auseinandernahm. Formal demontiert Aldrich nicht nur die Figur, sondern das ganze Genre und sogar seinen eigenen Film.

Am Ende, als die symbolische Weltvernichtung in Gang gesetzt wird, waren auch Fassungen im Umlauf, welche nach der Zerstörung des Hauses endeten. Andere zeigten noch, wie Mike Hammer, der ins Wasser lief, zum Haus guckt und dann ist der Film zu Ende. Auf die Frage, welches das korrekte Ende sei, meinte Aldrich natürlich das Ende, wo Mike Hammer noch mal hinguckt. "Der Idiot sollte sehen, was er angerichtet hat". Aldrichs Aussage, dass männliches Durchblicker- und Alleswissertum, wie es der film noir zeigte, nur Untergang und Zerstörung bringt. Ein Archetyp Hollywoods, der sich in vermeintlich neuem Gewand gibt, als abgeklärter Säufer und damit Heldenstrukturen widerspricht, aber doch genauso wie immer angeblich alles kann. Selbst wenn er's nicht kann. Dieses Bild entlarvt Aldrich als genauso scheiße wie die vorherigen Hollywood-Bilder. Deshalb wäre Tarantino ein gefundenes Fressen für ihn gewesen. Tarantino zelebriert nämlich auf genau die gleiche hinterfotzige Art neue Heldenbilder der Coolness, die so verlogen sind, wie die, die Aldrich in RATTENNEST gnadenlos auseinandernimmt.
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Formal demontiert Aldrich nicht nur die Figur, sondern das ganze Genre und sogar seinen eigenen Film.
Ich sehe den durchaus auch als eine Art "Anti-Noir". Schon allein die Title-Credits, die umgekehrt als "Deadly kiss me" erscheinen bereiten einen auf das vor was da kommen mag. Die totale Überspitzung der damaligen Private Detective Filme. Der Film steht fast kopf.

Zitat

Tarantino zelebriert nämlich auf genau die gleiche hinterfotzige Art neue Heldenbilder der Coolness, die so verlogen sind, wie die, die Aldrich in RATTENNEST gnadenlos auseinandernimmt.
Ganz schöner Punkt. Nach einigen Interviews, u.a. zu Budd Boeticher (im Zusammensein mit Clint Eastwood), die ich sah, wo er auch über Aldrich sprach, glaube ich fast, das ihn ausschließlich die Oberflächenstruktur seiner geliebten und bevorzugten Regisseure beeindruckt. Das er daraus wiederum seinen ganz eigenen Stil weiterverfolgt ist ne andere Geschichte, die ich ihm auch nicht ankreiden will.

Aber mal weg von Tarantino : Als ich Kiss me deadly vor 2 Jahren das letzte Mal sah, MUSSTE ich mir gleich danach LOST HIGHWAY von David Lynch anschauen. Ich kann nur jedem raten das mal zu machen, die 2 Filme ähneln sich nämlich frapide. Es gibt unzählige Motive, die Lynch aus Aldrichs Film übernommen hat. Was ich witzigerweise so auch nie in der Literatur, die ich über ihn habe, wiederfand. Es fällt einem aber sehr ins Auge, besonders wenn man ihn im Anschluß schaut.
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Offenkundigstes Merkmal füer die Demontage seines eigenen Films und der Hollywood-Struktur wäre z.B. die Demontage der Heldenfigur. Mike Hammer, der am Anfang vielleicht noch als Sympathiefigur identifiziert werden könnte, da er im Zentrum der Erzählung steht, wird zunehmend unangenehmer... bis man am Ende kaum mehr jemanden findet (evtl. noch eine Frauenrolle?), der in diesem Film sympathisch ist. Die Identifikationsfigur für den Zuschauer fehlt völlig.

Ob ich das Ende genauso lesen würde, weiß ich nicht. Die "Weltvernichtung" ist doch ein wenig ein großes Wort dafür, dass im ganzen Film nicht ein einziges Mal das Wort Radioaktivität fällt. Dass Mike Hammer nach fast zwei Stunden Spielfilm aber letztlich scheitert, ist in der Tat ein vernichtendes Urteil.

Zum Thema Tarantino: dass dieser Regisseur an einer Re-Mystifizierung alter, dem Kino inhärenter Heldenbilder arbeitet, ist doch per se nicht völlig abzulehnen. Er importiert dadurch eine Geschichtlichkeit in das aktuelle Genre-Kino (das es so nicht mehr, oder kaum mehr, gibt), die ein Bewusstsein für die Historie transportiert, die heute vielen Zuschauern abgeht. Kulturpessimistisch gesehen. Das hat ja doch beinahe etwas von fröhlicher Anarchie. Ob er diese Heldenbilder per se zugleich gutheißt, wage ich zu bezweifeln. Es ist doch immer eine Meta-Ebene, oder eben ein Augenzwinkern mit zu bedenken.
Und natürlich: danke für Deine Ausführungen! :cheers:
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Short Cut sagte am 28. Juli 2014, 19:40:

Ich sehe den durchaus auch als eine Art "Anti-Noir". Schon allein die Title-Credits, die umgekehrt als "Deadly kiss me" erscheinen bereiten einen auf das vor was da kommen mag. Die totale Überspitzung der damaligen Private Detective Filme. Der Film steht fast kopf.
Das ergibt sich aber auch daraus, dass die Credits wie auf die Fahrbahn getüncht, eben so da stehen müssen, wenn man sich im Wagen sitzend in dieser Vorwärtsbewegung befindet. Aber natürlich liest man in diesem Fall, ungewohnterweise, von unten nach oben. Das ist schon sehr geschickt gemacht, guter Punkt. :cheers:
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Bastro sagte am 28. Juli 2014, 20:12:

Offenkundigstes Merkmal füer die Demontage seines eigenen Films und der Hollywood-Struktur wäre z.B. die Demontage der Heldenfigur.
Die geschieht auf tieferer Ebene durch die formale Gestaltung. Ich kenne nur wenige Filme, die so mit permanenten Gegenlinien arbeiten. Ein Höhepunkt der Demontage wird erreicht, als auf inhaltlicher Ebene eigentlich ein schnelles Eingreifen Mike Hammers erforderlich ist und stattdessen zeigt Aldrich die Figur auf dem Sofa liegend, hat sich mit der Position der Kamera in eine leicht verkantete Vogelperspektive begeben und steigert die aufreizende Lethargie der Figur durch eine Überblendung, welche den gleichen Bildinhalt zeigt, sich aber noch mal eine Einstellungsgröße von Hammer entfernt und dies noch durch die Musik im Moment der Überblendung unterstreicht.

Bastro sagte am 28. Juli 2014, 20:12:

Ob ich das Ende genauso lesen würde, weiß ich nicht. Die "Weltvernichtung" ist doch ein wenig ein großes Wort dafür, dass im ganzen Film nicht ein einziges Mal das Wort Radioaktivität fällt
Als ich den Film zum ersten Mal sah und nur die Stimmung einsaugte, dachte ich am Ende "Das ist doch jetzt eigentlich ein Kataklysmus". Später erfuhr ich dann, dass es eine Standardinterpretation ist, dass mit dem Öffnen der Büchse der Pandora das Ende der Welt eingeläutet wird. Das ist ja auch gerade der Zeitgeist-Kommentar des Films. Wäre hier tatsächlich ein Wort über Radioaktivität verloren worden, hätte es die gesamte künstlerische Vision Aldrichs kaputt gemacht.

Bastro sagte am 28. Juli 2014, 20:12:

Zum Thema Tarantino: dass dieser Regisseur an einer Re-Mystifizierung alter, dem Kino inhärenter Heldenbilder arbeitet, ist doch per se nicht völlig abzulehnen. Er importiert dadurch eine Geschichtlichkeit in das aktuelle Genre-Kino (das es so nicht mehr, oder kaum mehr, gibt), die ein Bewusstsein für die Historie transportiert, die heute vielen Zuschauern abgeht. Kulturpessimistisch gesehen. Das hat ja doch beinahe etwas von fröhlicher Anarchie.
Ich lehne daran gar nichts ab. Im Gegenteil, ich liebe es. Ich habe nur die Methode Aldrich erläutert und dies mit Flammen-Schwert getan, weil es in den 1950ern nun mal besonders war, wenn ein Künstler Machismo demontiert hat und sich nicht in die weitaus längere Schlange der Verfechter gestellt hat. Der historische Bezug ist relevant. Was Tarantino macht, ist besonders in der heutigen Zeit. Was Aldrich damals getan hat, wird immer außergewöhnlich sein.

Bastro sagte am 28. Juli 2014, 20:12:

Ob er diese Heldenbilder per se zugleich gutheißt, wage ich zu bezweifeln. Es ist doch immer eine Meta-Ebene, oder eben ein Augenzwinkern mit zu bedenken.
Bei Tarantino, so wie ich ihn in Interviews inzwischen kennen gelernt habe, glaube ich das nicht. Der meint das im Grunde schon ernst und nutzt "das Augenzwinkern" auch ein wenig als Schutzmantel.
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